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In Japan ist der Kunde Kaiser

Exportmarkt: Die erste Super Aged Society der Welt legt großen Wert auf Service
In Japan ist der Kunde Kaiser

Der japanische Markt für Medizintechnik ist der zweitgrößte der Welt. Fast die Hälfte des Bedarfs wird eingeführt. Mit einem Importanteil von 6 % bleibt Deutschland beim Export nach Japan aber noch deutlich unter seinen Möglichkeiten.

„Japaner sind grundsätzlich sehr zurückhaltend gegenüber neuen Produkten und neuen Marken“, sagt Yuji Shioi. Sie wollten eben kein Risiko eingehen, erklärt der Geschäftsführer von Techno-Tools. Seit 2009 vertreibt Shioi die Produkte der Tanos GmbH im asiatischen Raum, darunter auch die des noch jungen Medical-Bereichs. Im April präsentierte der japanische Händler die Systainer aus Neu-Ulm erstmals auf der Medtec Japan in Yokohama. „Wir wissen, dass es einige Jahre dauern wird, bis wir gute Ergebnisse erzielen“, sagt Yuji Shioi, denn der Firmenname und die Produkte seien seinen Landsleuten noch neu.

Für ausländische Firmen ist es nicht leicht in Japan Fuß zu fassen. Doch wer Geduld hat und einen langen Atem mitbringt, für den kann sich der Schritt durchaus lohnen. Mit einem Umfang von rund 25 Mrd. Euro ist der japanische Markt für Medizintechnik hinter dem US-amerikanischen der zweitgrößte der Welt. Das Gesundheitssystem des Landes gilt als eines der besten überhaupt, und das Versorgungsniveau ist hoch, was sich unter anderem bei der technischen Ausstattung zeigt. Die Krankenhäuser sind bestens mit hochmodernen Diagnosegeräten wie Computer- tomographen versorgt, die – wie etwa auch zahnärztliche Instrumente – überwiegend aus Deutschland kommen. Insgesamt jedoch liegt der drittgrößte Produzent von Medizintechnik in Japan bei einem Importanteil von 6 % „Made in Germany“ nur auf einem vergleichsweise schwachen dritten Platz, hinter den USA (59 %) und Irland (10 %).
Importe und im Land hergestellte Produkte ausländischer Hersteller prägen den Markt. Fast die Hälfte der benötigten Medizintechnik wird eingeführt, im Jahr 2007 waren dies Waren im Wert von 1,02 Bio. Yen (rund 11 Mrd. Euro). Trotz Sparmaßnahmen der Regierung gilt Japan mit seinen derzeit 127 Mio. Einwohnern als großer Wachstumsmarkt. Das hat nicht nur mit den hohen Ansprüchen der Menschen und technischem Fortschritt zu tun, sondern vor allem auch mit Überalterung. Japan ist die erste Super Aged Society der Welt. In fünf Jahren wird bereits jeder vierte Japaner über 65 sein, im Jahr 2055 soll der Anteil dieser Altersgruppe bei über 40 % liegen. Eine vor zehn Jahren eingeführte Pflegeversicherung soll dazu beitragen, die steigenden Ausgaben in den Griff zu bekommen.
Deutsche Hersteller sehen das Potenzial und reagieren. So wie Zwick: Der Prüfmaschinenhersteller aus Ulm arbeitet seit fünf Jahren in den Bereichen Vertrieb und Service mit der japanischen Takes Group zusammen, ebenfalls Spezialist für Prüfmaschinen. Eine Kooperation, die den Markteinstieg erleichtern soll. „Die haben zum einen die Kundenkontakte und zum anderen auch die volle Servicefähigkeit“, sagt Friedhelm Goeke. Als Area Sales Director Japan der Zwick GmbH & Co. KG arbeitet Goeke vor Ort in den Räumen der Takes Group. Aufgrund der Nachfrage hat Zwick die Aktivitäten im Bereich der Medizintechnik verstärkt und wie Tanos 2010 erstmals an der Medtec in Yokohama teilgenommen. Goeke spricht von interessanten Anfragen: Die Medizinindustrie sei sich der hohen Sicherheitsanforderungen an ihre Produkte bewusst und bereit, in qualitätssichernde Prüfmaschinen zu investieren.
Trotzdem scheuen sich noch immer viele deutsche Unternehmen vor dem Schritt nach Japan. „Es ist entweder sehr teuer, hier auf den Markt zu kommen, wenn man mit der eigenen Firma anfangen möchte“, sagt Friedhelm Goeke. „Oder man braucht einen guten Partner.“ Und den zu finden ist nicht leicht. In westlichen Ländern werde vieles über Verträge geregelt, erklärt Goeke, der das Land seit 20 Jahren kennt: „Hier ist es wichtig, dass man persönliches Vertrauen hat.“ Eine Anbahnung dauere lange, habe man aber erst einmal ein gutes Verhältnis etabliert, sei dieses meist auch sehr stabil. Daher sei es für Neueinsteiger schwer, das gute Verhältnis einer japanischen Firma zu einem Wettbewerber zu knacken und ins Geschäft zu kommen.
„Um wirklich ernsthaft wahrgenommen zu werden, müssen Sie vor Ort agieren“, weiß Jörg Warrelmann, Business Manager der Medical Division Lighting and Imaging der Schott AG. Der Mainzer Technologiekonzern startete bereits 1966 mit einem japanischen Vertriebsbüro. Heute gibt es neben Schott Nippon mit Sitz in Tokio ein Joint-Venture-Unternehmen, vor zwei Jahren übernahm Schott zudem die Mehrheitsanteile des japanischen Mitbewerbers Moritex .
„Wenn bei uns der Kunde König ist, dann ist er in Japan Kaiser“, sagt Jörg Warrelmann. Japaner hätten eine ganz andere Erwartungshaltung. So rechne ein japanisches Unternehmen auf die Anfrage nach einer Systemlösung in der Medizintechnik bereits binnen 24 bis 48 Stunden mit einer qualifizierten Antwort. Dass die Geschäftssprache in Japan Japanisch ist, macht es nicht eben leichter, solche Erwartungen zu erfüllen. Kulturelle Unterschiede kommen hinzu. „Wenn ein Japaner ,hai‘ sagt, bedeutet das noch lange nicht ,ja‘, sondern nur: Ich habe verstanden und fange jetzt an, darüber nachzudenken“, erklärt Warrelmann.
Verwöhnt sind die Kunden im Land der aufgehenden Sonne auch in puncto Service. Servicedienstleistungen sind häufig schon im Verkaufspreis enthalten – ein Grund für das hohe Preisniveau. Um die Kosten im Zaum zu halten, hat das Gesundheitsministerium verschiedene Methoden zur Preisbegrenzung entwickelt. Die steigenden Ausgaben stellen das zu 80 % öffentlich finanzierte japanische Gesundheitssystem auf eine harte Bewährungsprobe, dabei liegen die Aufwendungen – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – sogar unter dem OECD-Durchschnitt. Das hat auch mit der gesunden Ernährung zu tun, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugt. Werden sie krank, sind japanische Patienten dann allerdings anspruchsvoll und suchen auch bei leichteren Krankheiten gerne ein Krankenhaus auf. Arzt und Klinik können sie frei auswählen.
Obwohl die Zahl der Kliniken in den vergangenen Jahren beträchtlich zurückgegangen ist, gehört Japan bei der Krankenhausversorgung weltweit zu den Spitzenreitern. Neue Kliniken werden gebaut, alte modernisiert. „Wir sind an zahlreichen Krankenhausprojekten in Japan beteiligt“, sagt Andreas Frahm, Leiter der Region Asia-Pacific bei der Dräger Medical AG & Co. KG. Ein Joint Ven-ture markierte 1983 den Markteinstieg, heute wird die Medizintechnik von Dräger durch Draeger Medical Japan Co. Ltd. vertreten. Dräger versorgt die Akutbereiche und die Neonatologie mit Medizinprodukten und -lösungen. 146 Mitarbeiter arbeiten in Tokio in den Bereichen Service, Marketing und Sales. In der demografischen Entwicklung sieht Frahm Herausforderung und Chance zugleich für die Medizintechnik. Er weiß aber auch, dass mehrstufige Vertriebsstrukturen den Marktzugang erschweren: Hersteller beliefern die Endkunden im Regelfall nicht direkt, sondern über Krankenhaushändler. Zudem führten die regulatorischen Anforderungen in der Regel zu einer Zulassungszeit von zwölf Monaten, sagt Andreas Frahm: Erst dann lägen die erforderlichen Genehmigungen für den Vertrieb vor.
Bettina Gonser Freie Journalistin in Stuttgart
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