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Hot Spot mit Schönheitsfehlern

Medizintechnik-Markt Schweiz: Hightech-Branche kämpft mit Preis- und Wettbewerbsdruck
Hot Spot mit Schönheitsfehlern

Im internationalen Vergleich schneidet die Schweiz als Hot Spot für die Medizintechnik immer noch gut ab. Doch den rund 1600 Unternehmen der Branche schlägt zwischenzeitlich ein rauer Wind entgegen. Preis- und Wettbewerbsdruck sowie der starke Franken zwingen viele Hersteller zum Umdenken.

Die Schweizer Medizintechnikbranche kommt nicht zur Ruhe: Im April kündigte Straumann den Abbau von rund 110 Stellen am Hauptsitz in Basel an. Der größte Teil werde über Entlassungen vollzogen. Schon im Herbst 2012 waren – um Kosten einzusparen – bei dem Zahnimplantate-Hersteller 150 Stellen gestrichen worden, davon ebenfalls 50 in Basel. Im Juni meldete dann der Medtronic-Konzern, dass er die Tochterfirma Medtronic-Invatec in Frauenfeld schließen wolle. 168 Arbeitsplätze sind gefährdet. Sie sollen bis Ende Juli 2014 gestaffelt abgebaut werden. Man habe in den vergangenen Monaten verschiedene Szenarien durchgespielt und auf ihre Wirtschaftlichkeit hin überprüft. Die Aufgabe des Standorts sei der einzige Ausweg. Eric Grasser, Mediensprecher von Medtronic, begründet die Entscheidung mit dem äußerst schnelllebigen Medizintechnikmarkt, starken Wettbewerbern und dem wachsenden Preisdruck. Das amerikanische Medizintechnikunternehmen hatte die auf Herz-Kreislauf-Instrumente spezialisierte Invatec im Jahr 2010 übernommen.

Und schließlich schockte der amerikanische Gelenkersatz-Hersteller Biomet die Region Neuenburger Jura mit der Nachricht, sein Werk in Le Locle zu schließen. Davon sind rund 230 Angestellte betroffen. Bis Juni 2014 wolle man die Produktion weitgehend heruntergefahren haben, so das Unternehmen. Biomet ist auf die Herstellung von Implantaten an Hüfte, Knie, Schulter und Ellenbogen spezialisiert. Der Konzern hatte das Werk erst im April vergangenen Jahres von Johnson & Johnson übernommen. Doch bereits ein Jahr nach der Übernahme meldete Biomet, dass die Wirtschaftslage schwierig und die Fertigungskosten in Le Locle zu hoch seien. Weitere Gründe für die Werksschließung seien die Frankenstärke sowie die Preisrückgänge für Spezialprodukte im Medizinbereich. Man wolle nun die Produktion auf andere ausländische Standorte verlagern.
Trotz der schwieriger gewordenen Wirtschaftslage ist die Schweiz immer noch ein globaler Hot Spot für die Medizintechnik und gehört zu den führenden europäischen Produzenten der Branche. Die Unternehmen profitieren von einem modernen Gesundheitswesen, der wirtschaftlichen und politischen Stabilität, den guten steuerlichen Bedingungen und qualifizierten Arbeitskräften. Aber auch die Spitzenforschung sowie die vergleichsweise rasche Zulassung von neuen Diagnose- und Therapiemethoden tragen ihren Teil zum Hightech-Standort Schweiz bei.
Über 1600 Unternehmen der Schweizer Medizintechnikbranche nutzen diese Rahmenbedingungen und erwirtschaften im Jahr einen Umsatz von rund 12,5 Mrd. CHF. Das Exportvolumen liegt bei knapp 11 Mrd. CHF pro Jahr, die meisten Produkte werden in die USA und nach Deutschland geliefert. Im gleichen Zeitraum werden Medizinprodukte im Wert von knapp 3 Mrd. Euro in die Schweiz importiert. Hohe Anteile deutscher Hersteller an den Importgütern entfallen auf Medizinmöbel, Elektromedizin und zahnmedizinische Instrumente. Die diesjährige Wachstumserwartung der Branche liegt den Angaben zufolge noch bei 6,6 %, doch das Wachstum habe sich in den letzten Jahren fast halbiert, meldet das Branchen-Netzwerk Medical Cluster.
Neben zahlreichen internationalen Großkonzernen, die sich in der Schweiz niedergelassen haben, besitzt das Land eine hohe Anzahl von Familienbetrieben sowie kleinen und mittelständischen Unternehmen, die von einem starken Netzwerk lokaler Partner profitieren. „Doch auch bei ihnen besteht dringender Handlungsbedarf, wolle man die starke Position auf dem Weltmarkt behalten“, erklärt Peter Biedermann, Geschäftsführer des Medical Cluster in Bern. Das Netzwerk von Herstellern, Zulieferern und Dienstleistungs- und Forschungsunternehmen in der Wertschöpfungskette Medizintechnik aus der ganzen Schweiz wurde 2006 gegründet und zählt aktuell 376 Mitglieder.
Gemeinsam mit dem Netzwerk Medtech Switzerland und der IMS Consulting Group untersucht der Medical Cluster außerdem jedes Jahr die Branche und stellt die Ergebnisse der Befragung im Bericht „Swiss Medical Technology Industry“ vor. Dabei, so Biedermann, habe sich das Umfeld der Schweizer Medizintechnik-Unternehmen gegenüber der erstmaligen Publikation der Untersuchung 2006 bis heute stark gewandelt: Unter anderem habe die Export-Industrie seit Anfang 2010 eine Aufwertung von 23 % gegenüber dem Euro zu verkraften. Von dieser Problematik sind laut Umfrage 81 % aller Schweizer Medtech-Firmen betroffen. Insbesondere die Zulieferer leiden unter den aktuellen Bedingungen. 98 % davon gaben bei der letzten Befragung an, dass die aktuellen Wechselkurse einen negativen Einfluss auf ihr Geschäftsergebnis haben.
Um sich gegen Wechselkursschwankungen besser abzusichern, planen 15 % aller Unternehmen in den nächsten drei Jahren Investitionen in Produktionsstätten im günstigeren Ausland. Dies ist, gemessen an der ausgeprägten KMU-Struktur der Schweizer Medtech-Industrie, ein hoher Anteil. Auch wollen Zulieferer und Hersteller ihre Vorleistungen und Investitionsgüter vermehrt außerhalb der Schweiz beschaffen. In diesem Zuge würde die Loyalität gegenüber traditionell etablierten Partnerschaften zwischen Herstellern und Zulieferern schwinden – bislang eine der Stärken des Medtech-Ökosystems Schweiz. Zusätzlich gehen immer mehr Firmen in ausländischen Besitz über: Laut Studie hängen bereits 50 % der zehn größten international tätigen Medizintechnik-Firmen der Schweiz von Entscheidungen in ihren weiter entfernten Hauptsitzen ab.
Dennoch – die Schweiz gehört auch künftig zu den Global Playern auf dem internationalen Medizintechnikmarkt. Und die Innovationskraft der Unternehmen bleibt das Zugpferd der Branche. Nicht umsonst ist die Schweiz das ideenreichste Land der Welt: Setzt man die Zahl der Patentanmeldungen eines Landes in Verhältnis zu den Einwohnern, steht die Schweiz 2012 auf Platz eins des Erfinder-Rankings mit 1046 Erfindungen je 1 Million Einwohner. Deutschland landet bei dieser Betrachtung mit 423 Patentanmeldungen je 1 Million Einwohner auf Platz 4.
Aus einer guten Idee ein gutes Produkt zu machen, ist beispielsweise Dr.Stefan Tuchschmid gelungen: Der Jungunternehmer gründete 2007 als Spin-off der ETH in Zürich die Virtamed AG und entwickelt, produziert und vertreibt heute mit 23 Mitarbeitern Virtual-Reality-Simulationssysteme für Chirurgen. Sie können so außerhalb des Operationssaals und ohne Gefährdung von Patienten effizient trainieren. Ärzte und Techniker nutzen weltweit diese Simulatoren in Ausbildungsspitälern und bei Herstellern von Medizintechnik. Im Juni gewann das Unternehmen aus Schlieren für seine hochmodernen Simulatoren den prestigeträchtigen Swiss Economic Award für junge Unternehmen in der Kategorie Hightech/Biotech. Zum Wettbewerb sind alle Unternehmen zugelassen, die nicht älter als sechs Jahre sind. Und ihren Firmensitz in der Schweiz haben. Hunderte Start-Ups hat das Land bisher hervorgebracht, begünstigt durch die innovative Hochschullandschaft. Die Medizinbranche stellt dabei den größten Teil – ein Zeichen für die Innovationskraft dieses Wirtschaftszweigs.

Ihr Stichwort
      • Wachstum der Branche halbiert
      • Hoher Preis- und Wettbewerbsdruck
      • Unternehmen profitieren von Netzwerken
      • Innovative Start-Ups

Beste Versorgung
Die Schweiz hat für ihre rund 8 Millionen Einwohner eines der besten Gesundheitssysteme der Welt – und deshalb einen hohen Bedarf an moderner Medizintechnik. Hauptabnehmer im Land sind die über 310 Krankenhäuser (circa 130 Akut- und über 180 Spezialkiniken). In öffentlicher Hand sind knapp 190 Kliniken, der Rest wirtschaftet privat. Jährlich ordert das Krankenhauswesen Waren und Dienstleistungen im Wert von rund 6,8 Mrd. CHF. Seit der Einführung der neuen Spitalfinanzierung und Fallpauschalen (SwissDRG) im Januar 2012 müssen die Kliniken Kosten senken. Deshalb schauen die Abnehmer vermehrt auf Preise und beziehen ihre Produkte verstärkt aus einer Hand – entweder über Einkaufsgemeinschaften oder größere Anbieter. Gefragt sind modulare Lösungen und auf die Krankenhäuser zugeschnittene Produkte-Sets.
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