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Hochzeit für ungleiche Paare

Werkstoffe: Hybride ermöglichen neue Eigenschaften
Hochzeit für ungleiche Paare

Für chirurgische Instrumente oder Autobauteile werden Komponenten aus verschiedenen Keramiken oder Metall-Keramik-Hybride benötigt. Mit einem neuen Verfahren lassen sich diese nun zu robusten Hochleistungskomponenten verschmelzen.

Keramik und Metall sind ein schönes Paar. Sie ergänzen sich: Metall leitet Wärme und Strom. Keramik isoliert. Allerdings muss, wer Metall an Keramik fügen will, kleben, löten oder schrauben. Für stark beanspruchte Komponenten – etwa im Automotor oder in chirurgischen Instrumenten – reicht das oftmals nicht aus. Die Keramik könnte abplatzen, und auch die Kombination verschiedener Keramiken ist schwierig.

Nun versuchen aber Experten vom Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme IKTS in Dresden mit Unternehmen und anderen Instituten, die nahtlose Verbindung, quasi das Verschmelzen verschiedener Keramiken sowie von Keramik und Metall, zu ermöglichen. Sie arbeiten unter anderem an einer korrosionsbeständigen Glühkerze für Dieselmotoren, einer Präzisionszange mit elektrisch leitfähiger Spitze für die Chirurgie und an Bremsklötzen für Hochgeschwindigkeitszüge.
Für das Verheiraten der verschiedenen Werkstoffe haben die Dresdner das Spritzgießen gewählt. Metall und verschiedene Keramiken lassen sich allerdings nicht so einfach kombinieren wie zum Beispiel verschiedenfarbige Kunststoffe. Die Forscher müssen zunächst Keramiken und Metalle finden, die zueinander passen. In einer Form werden sie als Pulver bei etwa 1400 °C miteinander zum Bauteil verbacken – gesintert. Damit sich das Pulver spritzen lässt, wird es zunächst mit einem Binder-Kunststoff vermischt. Das Problem: Beim Sintern schrumpfen Metall und verschiedene Keramiken unterschiedlich stark. Dieses „Schwinden“ kann bis zu 20 % betragen, so dass Spannungen im Material das Bauteil bersten lassen können.
„Wir müssen also Materialien finden, die bei gleichen Temperaturen gleich stark schwinden“, erläutert erläutert Dr. Reinhard Lenk, Abteilungsleiter am IKTS und Projektleiter des Fraunhofer-Demonstrationszentrums AdvanCer. Bei der Suche danach wurden er und seine Mitstreiter von Forschern des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik IWM in Freiburg unterstützt.
Wie interessant Metall-Keramik-Hybride für die Medizintechnik sind, zeigt das Projekt GreenTaPIM: Mit dem Hamburger Hersteller Olympus Winter & Ibe und anderen Partnern entwickeln die IKTS-Forscher hier eine minimal-invasive Zange. Das nur etwa 5 mm dünne chirurgische Instrument wird von hochfrequentem Strom durchflossen und erhitzt sich an seiner Spitze, um krankes Gewebe zu durchschneiden oder zu veröden.
Herkömmliche Zangen besitzen nur einen elektrischen Pol. Deshalb fließt der Strom von der Zange durch den Körper des Patienten zurück. Die Belastung für ihn ist zwar nicht groß, dennoch geht es auch anders: Die Backen einer neuen metallkeramischen Zange fungieren zugleich als Plus- und Minuspol. Der Strom fließt hier durch den einen Schenkel der Zange zum Gewebe und durch den anderen zurück. Die elektrisch leitende Komponente liegt im Zangenschenkel und wird von isolierender Keramik umhüllt.
Für die Herstellung greift das IKTS auf eine klassische Variante des Spritzgießens zurück – das Folienhinterspritzen. Hierbei wird die Bauteilform mit einer Keramikfolie ausgekleidet und dann mit der Metallspritzgussmasse gefüllt. „Eine solche Folie lässt sich schnell und wirtschaftlich in großen Mengen herstellen“, sagt Andreas Baumann, der das Projekt GreenTaPIM am IKTS betreut. „Der Prozess vereinfacht sich, auch weil man nur noch eine Komponente spritzgießen muss.“
Da auf die Zangenschenkel beim Kneifen zum Teil starke Kräfte wirken, muss die Zwei-Komponenten-Verbindung besonders stabil sein. Baumann hat deshalb in sein Verfahren einen Trick aus dem klassischen Löten eingebaut: Keramik und Metall lassen sich beim herkömmlichen Aktivlöten nur dann verbinden, wenn man für das Lot Metalle wählt, die mit der Keramik reagieren. Der Keramik wächst auf diese Weise eine Art Haut, auf der die angelötete Metallkomponente gut haftet.
Doch das Löten war Baumann zu aufwendig. Er mischt die Lotmetalle – Refraktärmetalle wie etwa Titan oder Silizium – einfach unter das Metallpulver. Beim Sintern wandern diese zur Keramik und bilden eine feste Verbindung zwischen Metallbauteil und Keramikfolie. Mit dem Folienspritzguss lassen sich so auch beliebige 3-D-Bauteile fertigen. Das war mit dem klassischen Lötverfahren kaum möglich, da das Lot abfließt.
Dr. Uwe Schöler, bei Olympus Winter & Ibe für das Projekt verantwortlich, hält das neue Folienspritzgussverfahren für sehr vielversprechend. „Noch müssen wir aber ausführliche Bauteiltests durchführen“, sagt er, „denn die häufige Reinigung der chirurgischen Instrumente unter aggressiven Reinigungsbedingungen im Autoklaven kann der Keramik zusetzen.“ Eine Alternative wäre für Schöler der Einsatz von Einwegzangen. Dass sich derartige Instrumente mit der neuen Methode preisgünstig herstellen lassen, davon ist Schöler überzeugt. Bis zur Serienfertigung, sagt er, dürften allerdings noch einige Jahre vergehen.
Tim Schröder Fachjournalist in Oldenburg

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