Startseite » Allgemein »

Hilfe vom virtuellen Arzt

Telemedizin: Moderne Kommunikationsmittel sollen Diagnostik und Therapie verbessern
Hilfe vom virtuellen Arzt

Die Telemedizin will durch den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnik die medizinische Behandlung und Versorgung verbessern. Hinter dem virtuellen Arzt steckt dabei immer ein leibhaftiger Mediziner.

Unter den Begriff Telemedizin fallen sehr unterschiedliche Leistungen: Sie können mit Diagnose und Patientenüberwachung, aber auch mit der Therapie verschiedener Krankheiten und Krankheitsbilder zu tun haben. Gemeinsam ist ihnen, dass der Arzt und sein Patient oder sein Fachkollege beim telemedizinischen Einsatz räumlich voneinander getrennt sind.

Ein Beispiel für eine vergleichsweise einfache telemedizinische Anwendung ist die regelmäßige Übermittlung von Blutdruckmessungen eines Herzinsuffizienzpatienten via Internet an einen Arzt oder ein Behandlungszentrum. Schon etwas komplizierter wird es mit einem sturzmeldenden Bodenbelag, der vor unentdecktem Liegenbleiben schützen soll.
Die Erwartungen an die Telemedizin sind vielfältig, und die Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten ist groß. Zwar hat sich in der Praxis längst nicht alles bewährt, doch gibt es positive Beispiele, wo die Telemedizin Einsparungen erzielt oder die Versorgung verbessert. Ob sie allerdings eine Lösung für den Ärztemangel sein oder grundlegende Organisationsdefizite ausgleichen kann, muss vorerst dahingestellt bleiben.
Hohe Erwartungen haben auch Medizintechnik-Hersteller: Sie beteiligen sich an einer Vielzahl von Projekten zur Entwicklung telemedizinischer Anwendungen. Laut einer internationalen Expertenbefragung des Verbandes der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. (VDE-MedTech 2020) zu Entwicklungen in der Medizintechnik-Industrie, die Anfang September 2009 publiziert wurde, tut die Branche gut daran, hier zu investieren. Die Studienergebnisse besagen, dass die Bedeutung der Telemedizin in Europa im Vergleich zu Asien und Nordamerika zunehmen wird. Die Prognose ist, dass Europa bis 2014 am bisherigen Innovationsführer Nordamerika vorbeizieht. Demnach wird Asien zwar aufholen, es aber auch bis 2020 nicht schaffen, Europa die Spitzenposition streitig zu machen.
Deutschland kommt dabei insbesondere im Bereich der Telemedizin sehr gut weg: Laut der Studie zählen Telemedizin und E-Health zusammen mit der regenerativen Medizin sowie Prothesen und Implantaten zu den dynamischsten Innovationsfeldern hierzu-lande. Keine schlechten Aussichten für die deutsche Medizintechnik-Branche, deren Umsatz auch im schwierigen Jahr 2008 um 2,5 % auf 17,8 Mrd. Euro gewachsen ist.
Kein Wunder also, dass sich darüber hinaus auch zahlreiche Initiativen und Vereine des Themas annehmen. 2005 wurde die Deutsche Gesellschaft für Telemedizin e. V. (DGTelemed) gegründet, um die Verbreitung telemedizinischer Anwendungen zu fördern. Und das Wirtschaftsnetzwerk Baden-Württemberg Connected e. V. (bwcon) hat ebenfalls 2005 den Arbeitsbereich Health Care und seit 2007 eine Fachgruppe zum Thema E-Health und Telemedizin ins Leben gerufen. „Die Unternehmen und Einrichtungen, die am Gesundheitswesen beteiligt sind, müssen sich vernetzen, wenn sie mit dem internationalen Wettbewerb Schritt halten wollen“, so Hans-Günter Hohmann, bwcon-Vorstand und verantwortlich für den Arbeitsbereich Health Care. „Ihnen wollen wir eine Plattform zum Austausch und zur Zusammenarbeit bieten.“
Auch die Zahl der Studiengänge zum Thema nimmt zu. Beispielsweise startete zum Wintersemester erstmals das fünfsemestrige Fernstudium Medizinische Informatik an der Beuth-Hochschule Berlin. Inhaltlicher Schwerpunkt ist unter anderem Telemedizin.
Die Teleradiologie ist ein Anwendungsgebiet innerhalb der Telemedizin, das vergleichsweise hohe Anforderungen an die Technik stellt. Ein Grund dafür ist, dass die Übertragung von digitalen Röntgenbildern immer größere Datenmengen bewältigen muss. Auch für die Beteiligten ist die Teleradiologie eine besondere Herausforderung: Obwohl an verschiedenen Orten verteilt, müssen sie beim gemeinsamen Untersuchungsauftrag an einem Strang ziehen.
Damit dies in der Praxis überhaupt möglich ist, war zuvor eine rechtliche Neuregelung nötig: Der sogenannte Teleradiologie-Paragraph (§ 3 Abs. 4 Röntgenverordnung) hält fest, dass unter streng definierten Voraussetzungen Röntgenaufnahmen und Computertomografien angefertigt werden dürfen, ohne dass ein fachkundiger Arzt, also ein Radiologe, vor Ort ist.
Da der Teleradiologe durch die räumliche Distanz die Untersuchungsüberwachung und Aufklärung nicht selbst übernehmen kann, muss ein Arzt vor Ort dies für ihn tun. Ein ausgebildeter Radiologie-Assistent (MTA) ist für die technische Durchführung der Untersuchung zuständig. Sind die Aufnahmen angefertigt, gehen diese innerhalb eines definierten Zeitraums an den Teleradiologen, der trotz Abwesenheit für die Untersuchung verantwortlich ist. Deshalb muss er zuvor die Indikation zur Untersuchung geprüft haben und das exakte Untersuchungsprotokoll vorgeben, nach dem die Bilder erstellt werden.
Die Herausforderung liegt darin, dem Radiologen die fertigen Bilder in kurzer Zeit und in der richtigen Qualität zur Verfügung zu stellen, damit dieser seinen Beitrag zur schnellen Versorgung des Patienten leisten kann. Dass dabei die umfangreichen Datenschutzbestimmungen eingehalten werden müssen, versteht sich von selbst – und ist zugleich eine weitere Hürde im Prozedere.
In Baden-Württemberg entstand das Teleradiologienetzwerk nach dem Beschluss der Schlaganfallkonzeption des Landes von 1997. Ziel des mehrstufigen Konzepts war es, eine flächendeckende, schnelle und qualifizierte Diagnostik und Therapie von Schlaganfallpatienten in Baden-Württemberg zu erreichen. Dafür wurden drei Ebenen eingeführt: lokale Stationen, regionale Schwerpunkte und Schlaganfallstationen (Stroke-Units), die seither teleradiologisch vernetzt sind. Seit 2001 unterstützt das Land das Teleradiologieprojekt Baden-Württemberg mit rund 4,9 Mio. Euro. Anfangs gab es sechs geförderte Einzelprojekte, die sich ab 2005 miteinander vernetzt haben. „2008 haben wir mit dem weiteren flächendeckenden und fachübergreifenden Ausbau begonnen und investieren zurzeit weitere 2,7 Millionen Euro“, erklärt Andreas Eytner, Referent Krankenhausplanung am baden-württembergischen Ministerium für Arbeit und Soziales. „Und die Erweiterung zusätzlicher Notfallversorgungen und weiterer medizinischer Gebiete ist aktuell in vollem Gang.“ Denn neben den bisherigen Leistungen für Schlaganfallpatienten und Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma hat sich das Netzwerk zusätzlich die Notfallversorgung für Herzinfarkt- und Polytraumapatienten sowie die onkologische Versorgung als Schwerpunkte gesetzt. Beim Projektstart 2001 beteiligten sich 35 periphere Krankenhäuser, die von der Förderung profitieren konnten, 2007 waren es 57 und mit der Erweiterung sind nochmals 12 Kliniken dazugekommen.
Das Teleradiologie-Projekt Rhein-Neckar-Dreieck (RND) war von Anfang an dabei. Mittlerweile fasst es alleine über 50 Kliniken und mehr als 20 Praxen über den Rhein- Neckar-Raum hinaus zusammen, weitere streben eine Teilnahme an. Die Standorte tauschen Röntgenbilder und andere medizinische Daten aus. Dabei wird im RND nach dem Push-Prinzip gearbeitet: Die Daten werden nach Bedarf versendet und es gibt keine Möglichkeit, aktiv darauf zuzugreifen. Das erleichtert den Datenschutz. Die Standorte Heidelberg, Mannheim und Karlsruhe sind über redundante Mailserver mit Internetanbindung verbunden. Die Mails werden in regelmäßigen Zeitintervallen automatisch auf Workstations abgerufen, die über Standard-Protokolle (POP3, IMAP4 und SMTP) auf die Mailserver zugreifen. Mails und Leitung sind jeweils verschlüsselt. Die Ausfallsicherheit ist über ISDN-Router gewährleistet. Insgesamt sind über die Dauer des Projekts hinweg zehn MedTech-Unternehmen beteiligt gewesen, aktuell sind es sieben.
Beim Austausch von Daten sind fehlende Standards regelmäßig eines der größeren Probleme. In der Radiologie haben die Hersteller bildgebender oder -verarbeitender Systeme einen offenen Standard in ihren Produkten implementiert: Digital Imaging and Communications in Medicine (DICOM) sorgt dafür, dass Bilddaten system- und herstellerübergreifend lesbar sind. Darüber hinaus kombinieren DICOM-E-Mails die Standards von DICOM und von E-Mail mit einer Standardverschlüsselung. Diese Art der DICOM-E-Mail, wie sie im RND zum Einsatz kommt, empfiehlt auch die Deutsche Röntgengesellschaft e. V. Ungelöst ist aber beispielsweise das Problem der Fremddatenintegration: Der Patient hat in dem Haus, in dem er untersucht wird, eine andere ID als dort, wo der Teleradiologe seinen Befund erstellt. Deshalb bleibt für den Vergleich mit Voraufnahmen oft nur die Möglichkeit, die Aufnahmen manuell zusammenzuführen.
Bis zum reibungslosen Einsatz von Telemedizin sind noch einige Hürden zu nehmen. So sind zum Beispiel einige Haftungsfragen ungeklärt, und auch die Frage, wie mit privatärztlichen Leistungen umzugehen ist, die eine persönliche Leistungserbringung verlangen, ist offen. Trotzdem kommt das Gefühl auf, dass durch die Telemedizin nicht alles besser, aber vieles einfacher werden kann. Erfolgreiche Beispiele wie das Teleradiologie-Projekt zeigen das Potenzial, das in telemedizinischen Anwendungen schlummert. Auch die gesundheitsökonomische Auswertung eines Telemonitoring-Projekts bei Herzinsuffizienz hat gezeigt, dass die Krankenhauskosten deutlich reduziert werden können. Insgesamt wurden bei der Fallstudie 650 Versicherte der Taunus BKK, die zumindest einen Krankenhausaufenthalt aufgrund von Herzinsuffizienz hinter sich hatten, beobachtet. Ergebnis nach zwölf Monaten: niedrigere Re-Hospitalisierungsrate, kürzere Verweildauer und um 70 % geringere Krankenhauskosten, so die PHTS Telemedizin GmbH. Ganz abgesehen von den Kostensenkungen, stecken hinter diesen Daten Patienten – und ihnen ging es offensichtlich durch die telemedizinische Überwachung so viel besser, dass sie seltener das Krankenhaus aufsuchen mussten.
Ramona Riesterer Fachjournalistin in Stuttgart
Experten sagen der Telemedizin goldene Zeiten voraus
Teleradiologienetzwerk deckt Lücken in der Stroke-Versorgung

Aus Expertensicht
Herr Dr. Weisser, Sie sind einer der Mitbegründer von Teleradiologie RND. Was macht den Erfolg des Projekts aus?
Wir haben schon mit der ersten Ausschreibung festgelegt, dass wir mit offenen Standards arbeiten wollen, also mit komplett dokumentierten und für jedes Unternehmen zugänglichen Standards. Daran haben wir uns konsequent gehalten: Unsere Referenz-Software beispielsweise, die wir verwenden, ist für jedermann frei zugänglich und kann auch von anderen Firmen kommerziell genutzt werden.
Besteht dabei nicht die Gefahr, dass unbeteiligte Unternehmen damit Geld verdienen und die eigentlichen Entwickler auf der Strecke bleiben?
Ja. Unsere Vorgehensweise ist nicht allen Unternehmen recht gewesen. Aber unserer Meinung nach ist der Erfolg mit proprietären, also urheberrechtlich geschützten Lösungen viel unwahrscheinlicher. Zu viele Projekte sind schon genau daran gescheitert, dass sie von einem Anbieter abhängig waren. Viele der Kliniken und Praxen, die bei uns im Projekt sind, haben die Anbindung selbst finanziert – und hätten das vielleicht nicht getan, wenn noch eine teure Lizenzierung notwendig gewesen wäre. Auch die beteiligten Unternehmen haben mehr davon, weil durch die breitere Beteiligung am Ende eine größere Zahl von Auftraggebern vorhanden war und ist. Die heterogene Struktur der Medizin ist nicht geeignet für kostspielige und komplizierte Einzellösungen.

Schlaganfall/Stroke
Gerade bei einem Schlaganfall, der laut der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft die dritthäufigste Todesursache in Deutschland (nach Herzinfarkt und Krebserkrankungen) und die häufigste Ursache für eine bleibende Behinderung darstellt, ist eine schnelle und spezialisierte Behandlung besonders wichtig. Dass Patienten, die in einer Stroke-Unit betreut werden, weniger häufig sterben oder pflegebedürftig werden, ist seit geraumer Zeit bekannt.

Ihr Stichwort
  • Telemedizin
  • Teleradiologie
  • Kommunikationstechnik
  • Diagnostik
  • Datenübertragung
  • Unsere Whitepaper-Empfehlung
Aktuelle Ausgabe
Titelbild medizin technik 2
Ausgabe
2.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Titelthema: PFAS

Medizintechnik ohne PFAS: Suche nach sinnvollem Ersatz

Alle Webinare & Webcasts

Webinare aller unserer Industrieseiten

Aktuelles Webinar

Multiphysik-Simulation

Medizintechnik: Multiphysik-Simulation

Whitepaper

Whitepaper aller unserer Industrieseiten


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de