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Harte Knochenarbeit

Aufstickverfahren: Vakuumhärtung bei chirurgischen Instrumenten
Harte Knochenarbeit

Härte und Korrosionsbeständigkeit sind maßgebend für die Leistung und Beständigkeit chirurgischer Instrumente. Ein auf der Vakuumhärtung beruhendes Aufstickverfahren verbessert die Eigenschaften von rostfreiem Stahl und bietet neue Perspektiven in der Bauteilegestaltung und Werkstoffauswahl.

Chirurgische Instrumente sind die Handwerkzeuge der Chirurgen. Für die Herstellung dieser Werkzeuge greift der Konstrukteur in erster Linie auf Legierungen aus der Klasse der martensitisch-härtbaren Chrom- stähle zurück, da nur diese die meist hohen Anforderungen an Härte und Korrosionsbeständigkeit erfüllen können. Die Halbzeuge werden in der Regel in einem weichen Gefügezustand verarbeitet. Die gewünschten Anwendungseigenschaften wie Härte, Festigkeit, Zähigkeit und Korrosionsbeständigkeit werden durch eine abschließende Wärmebehandlung eingestellt. Im Vordergrund stehen dabei durchgreifende Wärmebehandlungsverfahren, welche die chemische Zusammensetzung der Instrumente unverändert lassen und eine durch das gesamte Instrument hindurch gleichmäßige Ausbildung der Mikrostruktur gewährleisten.

Thermochemische Diffusionsverfahren, die neben der durchgreifenden, rein thermisch kontrollierten Härtung auch noch eine chemische und strukturelle Modifikation der Oberfläche ermöglichen, werden für die Herstellung der chirurgischen Instrumente noch wenig angewendet. Sie bieten aber, wie am Beispiel der Hochtemperaturaufstickung gezeigt wird, ein beachtliches Potenzial zur Beständigkeit chirurgischer Instrumente.
Eine Mehrzahl der chirurgischen Instrumente wird heute in Vakuumöfen mit Gasüberdruckabschreckung gehärtet. Das Verfahren härtet mit hohen Abkühlgeschwindigkeiten oder innerhalb einer geschützten Ofenatmosphäre. Während die rasche Abschreckung wichtig ist für die Einstellung einer maximalen Härte und Korrosionsbeständigkeit, erlaubt die geschützte Ofenatmosphäre die Endformfertigung bis zur Härtung.
Technisch neu und noch wenig verbreitet ist die von der Ruhr Universität Bochum entwickelte Randaufstickung im Vakuumofen unter Stickstoffpartialdruck. Der Nutzen einer Randaufstickung mit einer Aufsticktiefe im Bereich zwischen 0,1 und 0,5 mm lässt sich metallurgisch begründen:
  • Stickstoff hat ungefähr dieselbe Härtungswirkung wie das Legierungselement Kohlenstoff. Die Randaufstickung ermöglicht daher eine tiefgreifende Steigerung der Oberflächenhärte eines Bauteils.
  • Stickstoff bewirkt, ähnlich wie Nickel, die Stabilisierung der austenitischen Phase bei hohen Temperaturen und ermöglicht daher die Härtung von Stählen, die ansonsten nicht oder nur sehr begrenzt härtbar sind. Unter diese Kategorie fallen Stähle mit den Werkstoffnummern 1.4016 und 1.4104.
  • Stickstoff, welcher in der Eisenmatrix gelöst ist, steigert wie Chrom und Molybdän die Korrosionsbeständigkeit des Stahls. Die Randaufstickung bei hohen Prozesstemperaturen steigert daher die Korrosionsbeständigkeit eines Bauteils.
Die relative Wirkung von Stickstoff auf die Korrosionsbeständigkeit wird in der Literatur durch eine PRE-Zahl (Pitting Resistance Equivalent) angegeben. Diese PRE-Zahl ermöglicht ein auf die Beständigkeit gegen Lochfraßkorrosion bezogenes Ranking von Stählen mit unterschiedlichen Gehalten an Chrom, Molybdän und Stickstoff. Stähle mit höheren PRE-Zahlen weisen erfahrungsgemäß eine höhere Korrosionsbeständigkeit auf als Stähle mit niederen PRE-Zahlen.
Die Realisierung von hochstickstoffhaltigen und härtbaren Chromstählen auf schmelzmetallurgischem Wege ist technisch wohl möglich, aber deutlich aufwendiger als die Herstellung der sonst weit verbreiteten stickstofffreien Güten. Die in der Medizintechnik bekannten stickstofflegierten Chromstähle für Instrumentenanwendungen haben die Werkstoffnummer 1.4108 oder 1.4123. Die Vakuumhärtung der stickstofflegierten Stähle macht die Anwendung eines Stickstoffpartialdrucks notwendig, da die Härtung dieser Stähle unter reinen Vakuumbedingungen eine Randentstickung und damit eine Reduktion von Härte und Korrosionsbeständigkeit zur Folge hat. Von größerer Bedeutung ist umgekehrt die Tatsache, dass die Randaufstickung der klassischen Legierungsvarianten neue Optionen in der Werkstoffauswahl eröffnet. Sind hohe Anforderungen an Oberflächenhärte und Korrosionsbeständigkeit gestellt, kann der Konstrukteur neben den Hochleistungsstählen 1.4108 und 1.4123 nun auch auf Legierungen vom Typ 1.4016, 1.4057, 1.4104 und 1.4122 zurückgreifen. Randaufgestickte Legierungen vom Typ 1.4016 und 1.4113 können sich heute hinsichtlich der Korrosionsbeständigkeit mit austenitisch rostfreien Stählen vom Typ 1.4301 (304L) und 1.4404 (316L) messen. Sie bieten aber im Gegensatz zu den austenitisch rostfreien Stählen ein Härtepotential bis über 55 HRC. Ist neben einer maximalen Härte und Korrosionsbeständigkeit auch noch eine hohe Kernzähigkeit gefragt, steht dem Konstrukteur als Alternative ein 1.4057 zur Verfügung. Dieser Stahl ist nickellegiert und weist daher eine inherent höhere Zähigkeit auf als die anderen Legierungen. su
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