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Geruch und Gesundheit

Elektronische Nasen: Was Schweiß und Atem über Krankheiten verraten
Geruch und Gesundheit

Dass kranke Menschen über Atemluft oder Körperflüssigkeiten andere Stoffe ausscheiden als Gesunde, wissen Ärzte schon lange. Mit Hilfsmitteln, die diese Unterschiede erfassen, täte sich ein neues Feld für die Diagnose auf. Noch aber ist Grundlagenforschung gefragt.

Ausatmen. Nochmal ausatmen, direkt ins Mundstück. Abwarten, was die Analyse der Atemluft ergibt, wie die Software die Ergebnisse bewertet. Erleichterung: Keine Hinweise auf einen Tumor in der Lunge. So könnte in ein paar Jahren ein Risiko-Patient seine Vorsorgeuntersuchung erleben, ohne Schmerz, Blut- oder gar Gewebeentnahme, ohne banges Warten für mehrere Tage. So könnte es sein, vorausgesetzt, die Forschung an Systemen mit elektronischer Nase verläuft weiterhin erfolgreich.

Medizinische Projekte dazu gibt es eine ganze Reihe. Ihr gemeinsamer Reiz ist die Eleganz der erhofften Lösung: Die nicht-invasiv erhobenen Ergebnisse liegen nach wenigen Minuten vor, und wenn ein entsprechendes Gerät einmal angeschafft ist, verursachen selbst zahlreiche Untersuchungen kaum weitere Kosten.
Diese Vorteile einer elektronischen Nase nennt auch Oberarzt und Lungenexperte Dr. Kaid Darwiche als wichtige Argumente für seinen Forschungsansatz. Er überprüft in der Abteilung Interventionelle Pneumologie der Essener Ruhrlandklinik die Möglichkeiten, einen Lungenkrebs im sehr frühen Stadium anhand charakteristischer Gase im Atem zu erkennen.
„Für die Patienten wäre das ein großer Vorteil, da es bisher praktisch kein Verfahren zur Früherkennung gibt“, erläutert Darwiche. Da die Lunge nicht über Schmerzrezeptoren verfüge, würden die Patienten selbst nicht aufmerksam. Wenn die Geschwüre im CT zu sehen sind, sei der Zeitpunkt für eine Heilung in der Regel schon überschritten und die Lebenserwartung auf wenige Jahre beschränkt. Werden im bildgebenden Verfahren kleine Veränderungen eher zufällig rechtzeitig entdeckt, ist heute eine Operation zur Entnahme einer Gewebeprobe praktisch der einzige Weg zu genaueren Erkenntnissen. „Aber die Untersuchung zeigt in nur 30 von tausend Fällen tatsächlich eine bösartige Veränderung, womit man die anderen 970 Eingriffe schlecht begründen kann.“ Bronchoskopische Untersuchungen, bei denen Krebszellen anhand ihrer Fluoreszenz zu erkennen sind, versprächen Erfolg. „Aber es gibt viele Bereiche der Lunge, die wir mit den immer noch recht großen Instrumenten nicht erreichen“, schränkt Darwiche ein. Den Auswurf des Patienten auf Tumorzellen zu untersuchen, sei wiederum eine langwierige Angelegenheit.
Angesichts dieser Situation wäre ein Screening der Atemluft eine willkommene Alternative. Es könnte helfen, unter den gefährdeten Patienten die auszufiltern, bei denen es ratsam erscheint, eine Gewebeprobe operativ zu entnehmen. Das Gerät, das über verräterische Bestandteile in der Atemlut Auskunft geben soll, ist dabei nicht einmal eine Sonderanfertigung: Darwiche nutzt die Ionenmobilitätsspektrometrie, ein Verfahren, mit dem an Flughäfen Proben vom Gepäck auf Rauschgift oder Sprengstoffe untersucht werden. Auch die Raumluft in der Internationalen Raumstation ISS wird mit dieser Technik überwacht, und das Militär setzt sie zum Nachweis chemischer Kampfstoffe ein.
„Speziell für uns wurden nur ein Mundstück und ein Verbindungsstück entwickelt“, sagt der Essener. Ansonsten verwendet er Geräte der Dortmunder B & S Analytik GmbH, die im Jahr 2009 als Spin-off des Dortmunder Institute for Analytical Sciences (ISAS) gegründet wurde. Damit lassen sich gasförmige Bestandteile schon in winzigen Spuren nachweisen, und zwar in Nano- oder gar Pikogramm pro Liter Luft.
Was immer sich in der Atemluft eines Patienten an unterschiedlichen Molekülen befindet, wird im Analyse-Bereich des Gerätes zunächst sortiert, und zwar nach der Größe, der Ladung und der Form der Moleküle. Die Aufnahme eines solchen Spektrums dauert 50 ms, die anschließende Auswertung ein paar Minuten. Ergebnis: ein zwei- oder dreidimensionales Muster, das das Vorhandensein oder Fehlen von Molekülen mit unterschiedlichen Eigenschaften anzeigt.
Das aber ist noch längst keine Diagnose, wie Darwiche betont. Die bisherigen zwei Jahre seiner Forschung waren dem Versuch gewidmet, die Zusammenhänge zwischen den beschriebenen Mustern und einer Krebserkrankung zu erkennen. Welche Moleküle tauchen bei gesunden Patienten auf, welche bei erkrankten? Da es bei einem so empfindlichen Messsystem eine unüberschaubare Menge an Störgrößen gibt, ist die Unterscheidung nicht leicht. Medikamente, Ernährung, Rauchen, die Lederjacke, die neben dem Gerät hing, alles spielt eine Rolle. „Sogar der Wechsel der Bohnerwachsmarke im Krankenhaus spiegelt sich in den Mustern wider, ebenso wie das mentholhaltige Hustenbonbon, das der Patient vor der Untersuchung lutscht“, sagt der Forscher.
Da sich Störgrößen nicht gänzlich eliminieren lassen, kann man nicht das Muster als Ganzes interpretieren, sondern muss nach Signalen suchen, die ausschließlich und eindeutig für den Lungenkrebs typisch sind. Und die könnte es tatsächlich geben, rund zehn Kandidaten haben die Essener bisher ausgemacht.
Welche Moleküle es im Einzelnen sind, die diese Signale verursachen, wissen die Mediziner noch nicht. Es könnten spezielle Stoffwechselprodukte der Tumorzellen sein oder auch Stoffe, die der Körper als Reaktion auf den Tumor produziert. Nach den bisherigen Ergebnissen aber waren die markanten Stellen im Muster bei gut zwei Drittel der untersuchten Patienten vertreten, die einen Tumor hatten. Welche Substanzen sich hinter den charakteristischen Ergebnissen verbergen, wäre gut zu wissen – zum Einen, um Fehler auszuschließen und eventuell mit spezifischeren Sensoren arbeiten zu können, zum Anderen, um die Biologie der Krebszellen und die Antwort des Körpers darauf besser zu verstehen. Davon sind die Forscher allerdings noch ein gutes Stück entfernt, und der Schwerpunkt ihrer Untersuchungen ist derzeit noch ein anderer. „Bisher haben wir nur retrospektiv gearbeitet, also Daten von Personen verglichen, von denen wir wußten, ob sie gesund waren oder krank“, sagt Darwiche. Als nächstes soll seine elektronische Nase in einer klinischen Studie zeigen, wie sicher sich Patienten ohne dieses Hintergrundwissen der einen oder anderen Gruppe zuordnen lassen.
Bei der Auswertung sind auch Forscher aus anderen Disziplinen gefordert. Dr. Jan Baumbach zum Beispiel leitet die Gruppe Computational Systems Biology am Saarbrücker Exzellenzcluster. Dort wird erforscht, welche Rechenverfahren aus der Informatik geeignet sind, um die riesigen Datenmengen, die neue Analysetechniken liefern, effizient und zuverlässig zu durchsuchen. Im Rahmen eines Kooperationsprojektes mit dem Korea Institute for Science and Technology Europe (KIST Europe) analysierten die Saarbrücker die Daten von Medizinern, die im Rahmen von klinischen Studien die Ausatemluft von Patienten mit bekannten Erkrankungen, wie beispielsweise Lungenkrebs und Infektionen, untersucht hatten. Baumbachs Forschergruppe setzt dazu auf Verfahren, die sonst beim Maschinellen Lernen im Bereich der Künstlichen Intelligenz verwendet werden. „Das große Problem ist, dass wir Abermillionen möglicher Spuren haben, von denen möglicherweise nur zwei oder drei relevant sind“, sagt der Saarbrücker. Welche Kombination von Metaboliten auf eine Krankheit hinweist, sollen speziell entwickelte Klassifikations-Algorithmen erkennen. Aufgrund von Trainingsmaterial erlernen diese auch solche Muster, die für den menschlichen Betrachter nicht erkennbar sind. Zukünftig sollen sie dann unbekanntes Datenmaterial automatisch, aber zuverlässig in die Kategorie „gesund“ oder „Krankheit X“ einordnen. „Chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (COPD) lassen sich beispielsweise schon sehr genau identifizieren, mit einer Fehlerrate von unter fünf Prozent“, berichtet Jan Baumbach. Wegen der vielen störenden Umwelteinflüsse stünden jedoch noch einige klinische Studien an. Dennoch ist der Wissenschaftler vom Erfolg des Ansatzes überzeugt. In fünf Jahren, so glaubt er, könne die notwendige Hardware in ein Smartphone eingebaut werden und die heute noch bis 18 Kilogramm schweren Geräte ersetzen. Mit den entsprechenden Algorithmen ließen sich dann beispielsweise Bakterien und Tumore schneller und zuverlässiger bestimmen, der Blutzuckergehalt per Pusten ins Smartphone überprüfen – oder das Toastbrot auf Schimmelpilze testen.
Die Tatsache, dass noch Grundlagenforschung vor ihnen liegt, schreckt die Wissenschaftler jedoch nicht. So wollen Mitarbeiter der Fachhochschule Jena in der Arbeitsgruppe Biosignalanalyse Herzerkrankungen erkennbar machen. Dafür verwenden die Wissenschaftler in der Gruppe von Prof. Andreas Voß ein Multi-Sensor-Array, also ein System aus drei Dickschicht-Gassensoren auf der Basis von Metalloxiden, die auf unterschiedliche Gasmoleküle reagieren. Patienten mit unterschiedlicher Krankheitsgeschichte sollten sich also anhand der Abweichungen in den Sensorsignalen voneinander unterscheiden lassen.
Diese so genannte Jenaer Elektronische Nase, kurz Jeena, „schnüffelt“ in der Armbeuge – wo sich besonders viele Schweißdrüsen befinden – und meldet, welche Typen gasförmiger Substanzen aus dem Schweiß freigesetzt werden. „Generell verändert eine innere Krankheit offenbar die Metabolik spezifisch“, erläutert Prof. Voß. Das sei aus Vorstudien schon zu Beginn des Projektes klar gewesen. „Dadurch tauchen im Schweiß oder auch in der Ausatemluft Biomarker auf.“ Um diese zu erfassen, habe man ein möglichst breitbandiges Sensor-Array gewählt. „Dann hatten wir einfach Glück, dass der Nachweis gleich beim ersten Versuch geklappt hat“, sagt Voß.
Die Messungen in der Armbeuge liefern tatsächlich Erfolg versprechende Resultate. So ließen sich gesunde Menschen von Patienten mit leichter Niereninsuffizienz unterscheiden, und ein schweres Nierenleiden führte zu wieder anderen Signalen. Auch die Leberzirrhose bei Alkoholikern war erkennbar. In aktuellen Studien geht es nun darum, Herzinsuffizienz in unterschiedlichen Ausmaßen nachzuweisen – mit dem Ziel, sie bereits beim niedergelassenen Arzt detektierbar zu machen.
Damit könnte dem Betroffenen schneller geholfen werden und – falls es keine Hinweise auf Herzinsuffizienz gibt – die Anzahl von Überweisungen zu Spezialisten für Innere Medizin oder Kardiologie verringert werden. Darüber hinaus, so Voß, ließe sich in der Klinik ein Monitoring etablieren, das den Zustand der Herzinsuffizienz beim einzelnen Patienten überwacht und drohende Verschlechterungen rechtzeitig erkennbar macht.
Langfristig aber wollen er wie auch der Essener Pneumologe Darwiche genauer wissen, was sich hinter den von ihnen erfassten, krankheitsspezifischen Peaks verbirgt. Erste Analysen via Gaschromatographen (GC) und Massenspektroskopie (MS) laufen, sind aber noch nicht fertig ausgewertet. „Eine direkte Analyse wäre natürlich wünschenswert“, betont Prof. Voß, „davon sind wir aber noch weit entfernt.“
So eine Identifikation hält auch der Sensor-Experte Prof. Udo Weimar von der Uni- Tübingen für unabdingbar. „Für einfache Anwendungen mit einer überschaubaren Anzahl von relevanten Molekülen leisten Sensor-Systeme bereits gute Arbeit, sei es im Automobil oder in der chemischen Industrie“, sagt der Physikochemiker. Die Anwendungen in der Medizin seien aber so komplex, dass allein ein Muster aus Molekülgruppen für die Auswertung nicht ausreichen werde. „Da wäre ich sehr vorsichtig mit der Interpretation – zumal es ja mindestens um die Gesundheit eines Menschen und gegebenenfalls um Leben und Tod geht.“ Dass das Potenzial der Technik im Dienste der Gesundheit auch für die Medizin ausgelotet wird, hält er aber für sehr sinnvoll. Ingenieure und Sensor-Entwickler seien auf diesem interessanten Gebiet aber erst später an der Reihe, wenn die Vorarbeiten der Mediziner und Chemiker abgeschlossen seien.
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