Startseite » Allgemein »

„FEM ist auch für Ärzte ein Thema“

FEM-Simulation: Was Verfahren und anwenderfreundliche Software der Medtech-Branche nützen
„FEM ist auch für Ärzte ein Thema“

Was vom Auto bis zur Raumfahrt beim Entwickeln neuer Produkte hilft, ist in der Medizintechnik noch eher ein Geheimtipp. Dabei ist FEM weder übermäßig teuer noch aufwendig, sagt Cadfem-Geschäftsführer Christoph Müller. Er sieht viele Potenziale – bis zum Implantologen als Anwender.

Herr Müller, die FEM-Simulation ist in der Luft- und Raumfahrt, der Automobilindustrie und dem Maschinenbau heute verbreitet und akzeptiert. Warum hat sie sich hier durchgesetzt?

Mit dem Wissen und der Software, die heute für die FEM-Simulation zur Verfügung stehen, lässt sich die Entwicklung von Produkten deutlich beschleunigen. Was früher nur in langwierigen Tests mit vielen kostspieligen Prototypen erkennbar wurde, sehen wir heute in wenigen Stunden oder Tagen am Bildschirm.
Und das ließe sich auch auf die Medizintechnik-Branche übertragen?
Einige Beispiele zeigen schon, dass es so ist. Große Anbieter von Medizinprodukten – beispielsweise von Implantaten – nutzen die FEM-Simulation seit einigen Jahren und haben damit gute Erfahrungen gemacht. Allerdings steht die Technik immer noch in dem Ruf, kostspielig und aufwendig zu sein – zu kostspielig und zu aufwendig für kleine und mittlere Unternehmen. Was schade ist, denn aus diesem Grund werden in der mittelständisch dominierten Medizintechnik-Branche die Potenziale noch wenig genutzt.
Was könnte man denn mit der FEM-Simulation erreichen?
Auch wenn die Produkte sehr unterschiedlich sind: Die Entwicklungsprozesse in den verschiedenen Branchen ähneln sich. Und so geht es im Automobilbau wie in der Medizintechnik manchmal um technische Feinheiten, wie die Materialauswahl zu optimieren und dafür möglichst wenige Prototypen zu erstellen, Falltests – zum Beispiel für ein Blutzuckergerät – virtuell auszuführen oder die Strömungsmechanik zu simulieren, um zu sehen, wie sich ein Asthmaspray im Rachenraum verteilt. Speziell für Kunststoffteile können wir auch die Faserverteilung und die Orientierung nach dem Spritzguss bei der FEM-Simulation berücksichtigen. Die lokalen Gefügeeigenschaften, die sich daraus ergeben, und mögliche Schwachstellen im Bauteil werden so erkennbar.
In der Medizintechnik spielen Sicherheit und gesetzliche Vorgaben für die Zulassung eines neues Produkts eine große Rolle. Ist die FEM-Simulation diesen Anforderungen gewachsen?
Ja. Zum Einen sind die Ergebnisse aus den Simulationen heute so gut, dass man Testergebnisse sehr gut nachbilden kann und darüber hinaus keine Streuung berücksichtigen muss. Zum Anderen helfen die Betrachtungen bei der FEM-Simulation, ein Produkt zu verbessern. So lassen sich Lebensdaueruntersuchungen, wie sie für Gelenk- oder Zahn-Implantate typisch sind, in frühen Phasen der Entwicklung virtuell und auch recht schnell ausführen. Was sich dabei zeigt, führt zu einer Optimierung des neuen Produktes und macht es auch sicherer. Den abschließenden Test, der als Nachweis für die Zulassung gefordert ist, ersetzt das natürlich nicht.
Ist das in anderen Branchen anders?
In der Automobilindustrie sind wir heute schon so weit, dass für Busse Umfalltests nach der Norm ECR-R 66 genehmigt werden, die nur virtuell stattfinden. Das Vertrauen in die Anfang der 80er Jahre noch belächelte Technik ist also erheblich gewachsen.
Entstehen nicht jede Menge Aufwand und Kosten, um zu solch zuverlässigen Ergebnissen zu kommen?
Nicht zwingend. Es profitieren ja alle von den Weiterentwicklungen und den Erfahrungen, die wir über Jahre gesammelt haben. Und um die FEM-Simulation für ein Unternehmen zu nutzen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Eine davon ist es, die entsprechende Software im eigenen Haus zu haben. Das ist eine Investition und eine Grundsatzentscheidung. Diese kann man aber vorbereiten. Zum Einen ist der stufenweise Einstieg in die Technik möglich, mit ausbaubaren Softwarepaketen und entsprechenden Schulungen für die Mitarbeiter. Oder man wählt den Weg über einen Dienstleister, der zunächst Unterstützung und Wissen für ein bestimmtes Projekt liefert.
Sollte ein Dienstleister für die Arbeit an einem Medizinprodukt schon Erfahrungen mit dieser Branche mitbringen?
Für einfache Anwendungen und überwiegend technische Fragen ist das nicht unbedingt erforderlich. Sobald es aber um die Simulation patientenspezifischer Implantate geht und biologische Strukturen wie Knochen einbezogen werden, ist Expertise sehr nützlich. Wenn man sich ein paar Jahre mit dem Thema beschäftigt hat, weiß man, welche Möglichkeiten sich anbieten, um einen Knochen zu simulieren, welche Materialien man dafür definiert und wie man die Muskelkräfte berücksichtigt. Beim Gehen wirkt zum Beispiel nicht nur das Körpergewicht, sondern bis zum Dreieinhalbfachen dieser Gewichtskraft auf die Gelenke. Solche Details muss man kennen.
Wie gut erschließen sich einem Einsteiger die technischen Grundlagen?
Die Programme für die FEM-Simulation sind heute sehr viel anwenderfreundlicher geworden und erledigen viele Aufgaben automatisch. Vielleicht kommen wir eines Tages sogar dahin, dass ein Arzt in seiner Praxis ganz selbstverständlich diese Technik nutzt, um seinen Patienten zu versorgen – ohne sich vorher jahrelang mit der FEM-Simulation beschäftigen zu müssen.
Wofür würden Ärzte die Technik brauchen?
Ansätze zeigen sich gerade im Dentalbereich. Wir sind im Gespräch mit Implantologen, haben auch einen kleinen Arbeitskreis gegründet, in dem es um die Möglichkeiten der FEM-Simulation für diese Anwender geht. Sie sehen Potenziale und Wettbewerbsvorteile darin, patientenindividuelle Implantate anzubieten, das hat eine größere Umfrage gezeigt. Das Interesse daran ist groß, und es hat mich erstaunt, wie offen Mediziner für die Technik sind. Was das kosten darf und wie eine Software gestaltet sein müsste, ist natürlich noch zu definieren.
Die obligatorische Frage dazu: Wer soll das bezahlen?
Selbst Krankenkassen sind an solchen Projekten interessiert. Auch wenn es im Augenblick keine Chance für eine Finanzierung von dieser Seite gibt, sind die Möglichkeiten für eine langfristige Kostenreduktion im gesamten Gesundheitssystem erkennbar – beispielsweise durch kürzere Liegezeiten nach einer Operation am Hüft- oder Kniegelenk oder durch eine bessere Passform bei Prothesen. Das weckt die Aufmerksamkeit selbst kritischer Beobachter. FEM ist also keine reine Ingenieursangelegenheit mehr.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Cadfem bietet als „Ansys Competence Center FEM“ ein komplettes Spektrum an Softwarelösungen für die numerische Simulation sowie Seminare, Support und Beratung. Der 2007 eröffnete Geschäftsbereich Medical macht die Methoden der rechnerischen Simulation für die praktische Medizin nutzbar und kooperiert mit ausgesuchten Forschungseinrichtungen. www.cadfem.de

Ihr Stichwort
  • Lebensdauertests für Implantate
  • Strömungssimulation für Sprays
  • Gefügeunterschiede in Kunststoffteilen vermeiden
  • Aufwand, Kosten/Nutzen, Dienstleister
  • Implantologen und Krankenkassen
  • Unsere Webinar-Empfehlung
Aktuelle Ausgabe
Titelbild medizin technik 2
Ausgabe
2.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Titelthema: PFAS

Medizintechnik ohne PFAS: Suche nach sinnvollem Ersatz

Alle Webinare & Webcasts

Webinare aller unserer Industrieseiten

Aktuelles Webinar

Multiphysik-Simulation

Medizintechnik: Multiphysik-Simulation

Whitepaper

Whitepaper aller unserer Industrieseiten


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de