Startseite » Allgemein »

„Es geht nicht weiter wie bisher“

Marktentwicklung Medizintechnik: Mittelständler stehen vor zwei Herausforderungen
„Es geht nicht weiter wie bisher“

Globalisierung und der Nachweis ökonomischer Vorteile von Produkten werden wichtiger, sind in kleinen Unternehmen aber kaum zu bewältigen. Berater und Medtech-Experte Heinrich Christen nennt Ansatzpunkte, um dem zu begegnen.

Herr Christen, wo sehen Sie die Herausforderungen für die Medtech-Branche in der nächsten Zeit?

Die Branche ist in vielerlei Hinsicht so heterogen, dass allgemeingültige Aussagen schwierig sind. Dennoch gibt es zwei Entwicklungen, die so gut wie alle Unternehmen betreffen. Das eine ist die Globalisierung. Sie wird gerade kleinere und mittlere Unternehmen vor kaum lösbare Aufgaben stellen. Nischenplayer, die sich auf Märkte in ihrem direkten Umfeld beschränken, haben aber kaum eine Überlebenschance, weil deutliches Wachstum vor allem in den aufstrebenden Märkten in Asien stattfindet. Der zweite, mindestens ebenso wichtige Punkt ist die Beweisführung, dass neue Medizinprodukte einen deutlichen ökonomischen Nutzen bringen. Diese wird von den Kostenträgern überall immer nachdrücklicher gefordert und ist eigentlich nur mit erheblichem finanziellen Aufwand für Studien zu führen.
Wie können kleinere Unternehmen ihren Fortbestand sichern?
Im Prinzip können wir da von der Maschinenbaubranche lernen, die in Sachen Globalisierung vor ein paar Jahren in einer ähnlichen Situation war: Das Ergebnis waren zahlreiche Zusammenschlüsse und insgesamt eine Konsolidierung in der Branche. Vor diesem Hintergrund ist es also ratsam, sich beizeiten nach geeigneten Partnern umzusehen und auch zu schauen, welche Firmen für eine Übernahme in Frage kommen.
Wie könnte die Zusammenarbeit aussehen? Wäre vielleicht auch die gemeinsame Finanzierung klinischer Studien denkbar?
Davon würde ich abraten. Behörden sind in jüngster Zeit ohnehin misstrauischer gegenüber den Ergebnissen von Studien geworden, die von der Industrie finanziert werden. Und bei einer Untersuchung, die von mehreren Unternehmen aus dem gleichen Segment in Auftrag gegeben wird, wären darüber hinaus sicher auch die Kartellbehörden sehr aufmerksam. Nein, ich denke, es geht in Zukunft wirklich um echte Zusammenschlüsse von bisher eigenständigen Unternehmen. Nur so kann man einen weltweiten Vertrieb aufbauen, Service und Wartung sicherstellen und auch die erforderlichen Studien finanzieren.
Welche Faktoren zählen noch für den zukünftigen Erfolg?
Die Medizintechnik-Branche ist stark vom Vertrieb geprägt. Große Vorteile bringt hier ein ‚global brand‘, der über das reine Design hinausgeht und Verlässlichkeit, Sicherheit und Beständigkeit signalisiert. Um sich die entsprechenden Maßnahmen für Marketing und Kommunikation leisten zu können, muss ein Unternehmen eine gewisse Größe haben.
Wen soll die Marke überzeugen?
Nach wie vor werden Ärzte als Zielgruppe eine große Rolle spielen. Und da die Märkte immer stärker reguliert sind, befassen sich Konzerne längst intensiv mit Compliance. In den USA oder in Frankreich traut sich wegen der geltenden Regeln schon lange kein Arzt mehr, eine Industrie-Einladung ins Luxushotel oder zum Skiwochenende anzunehmen. Zukünftig sind also vermehrt neue Kommunikationsformen – wie eben der Aufbau der Marken – erforderlich.
Womit können Mittelständler ihre Marktposition noch halten oder verbessern?
Ich habe die Parallele zum Maschinenbau schon einmal gezogen: Auch in der Medizintechnik schauen die Entwickler noch zu wenig auf die Bedürfnisse des Marktes. Sie stecken viel zu viel Energie in ’solutions without a problem‘, die am Ende niemand bezahlen will oder kann.
Welche Bedürfnisse hat denn der Markt?
Das ist sehr unterschiedlich. Ist der Patient die Zielgruppe, sind Sicherheit und eine komplikationslose Nachbehandlung wichtige Themen, und auch der Preis zählt. In manchen Ländern geht es hingegen zunächst darum, überhaupt eine Behandlung zu bekommen. In China beispielsweise herrscht Ärztemangel. Wenn Sie nachweisen, dass Ihr Produkt die Effizienz steigert und ein Mediziner somit mehr Patienten versorgen kann als bisher, ist das in diesem Markt ein ziemlich gutes Argument. Die Sicherheit eines Produktes setzen wir natürlich voraus.
Gibt es konkrete Erfolgsmodelle für neue Einkommensquellen, die sich die Branche erschließen könnte?
Wer ehrlich ist, beantwortet das mit Nein. Es gibt viele Ansätze rund um Service oder Zusatzinformationen. Das alles befindet sich aber noch im Stadium von Versuch und Irrtum. Ein funktionierendes Geschäftsmodell ist mir noch nicht bekannt.
In Ihrem Medical Technology Report ist auch die Rede von neuen Netzwerken, aus denen Innovationen entstehen könnten. Was ist damit gemeint?
Es gibt seit kurzer Zeit neue Player im Gesundheitsbereich. Denken Sie an Kaufhausketten im weitesten Sinn oder auch an große IT-Unternehmen. Die versuchen, von den Potenzialen des Gesundheitsmarktes zu profitieren. Das könnten für etablierte Medtech-Unternehmen sehr interessante Partner sein, da könnten ganz neue Produkte entstehen. Gleiches gilt für große Konzerne, die eigentlich in anderen technischen Bereichen zu Hause sind. Auch diese halten Ausschau danach, wie sich ihre Kernkompetenzen in der Medizin einsetzen lassen. Über Kooperationen oder Partnerschaften mit diesen Anbietern nachzudenken, lohnt sich sicherlich.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Ernst & Young hat im Herbst 2011 den aktuellen Bericht „Pulse of the industry: Medical Technology Report“ vorgestellt, indem die zukünftig zu erwartenden Entwicklungen zusammengestellt sind. Der Bericht steht im Internet zum kostenlosen Herunterladen zur Verfügung. www.ey.com/DE/de/Industries/Life-Sciences

Ihr Stichwort
  • Kritische Unternehmensgröße
  • Globalisierter Service und Vertrieb
  • Klinische Studien
  • Weltweiter Markenaufbau
  • Kaufhausketten und IT-Konzerne als neue Player im Gesundheitsbereich
  • Unsere Webinar-Empfehlung
Aktuelle Ausgabe
Titelbild medizin technik 2
Ausgabe
2.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Titelthema: PFAS

Medizintechnik ohne PFAS: Suche nach sinnvollem Ersatz

Alle Webinare & Webcasts

Webinare aller unserer Industrieseiten

Aktuelles Webinar

Multiphysik-Simulation

Medizintechnik: Multiphysik-Simulation

Whitepaper

Whitepaper aller unserer Industrieseiten


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de