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Erst eine Wange, dann die andere

Automation: Roboter poliert Freiformflächen und entgratet Teile
Erst eine Wange, dann die andere

Roboter statt Handarbeit: Ein Sechs-Achsen-Roboter führt komplexe Bewegungen so schnell und geometriegenau aus, dass er in wenigen Minuten künstliche Kniegelenke polieren kann. Weitere Anwendungen sind denkbar.

Automatisieren erfüllt auch in der Medizintechnik die Forderung nach höherer Produktivität. „Unsere Roboter-Lösung braucht nur sechs bis acht Minuten, bis ein Bauteil eine spiegelglatte Oberfläche hat. Ein Mensch ist damit, je nach Werkstoff, eine halbe Stunde bis zu einer Stunde beschäftigt“, sagt Johannes Strasser, Vertriebsleiter bei der Zeltwanger Automation GmbH. Die produktive, automatisierte Lösung haben die Tübinger zusammen mit einem führenden Hersteller von Prothesen entwickelt und bieten ihr System nun für den Einsatz an Keramik-, Metall- und Kunststoffteilen an.

Das System besteht aus einem handelsüblichen Sechs-Achsen-Roboter, der das Werkstück greift und je nach Oberflächenbeschaffenheit an eine oder mehrere Schleif oder Polierscheiben heranführt. Sie sind in unterschiedlichen Winkeln angebracht, so dass sie vom Roboter gut zu erreichen sind. Das Werkstück selbst wird beim Polierprozess immer normal zur Oberfläche ausgerichtet.
So lassen sich auch komplex und unregelmäßig geformte Teile so weit polieren, dass sie eine Oberflächengüte von unter Ra = 10 nm erreichen. „Die Vorgabe für die Medizintechnik liegt bei 20 Nanometern, unabhängig davon, ob von Hand oder automatisiert poliert wird“, führt Strasser aus.
Die Lösung der Tübinger ist freilich nicht der erste Ansatz für das automatische Polieren, der auf den Markt kommt. Die Zeltwanger-Experten betonen aber, dass sie gegenüber alternativen Konstruktionen Vorteile beim Umstellen auf ein anderes Produkt bietet und die Qualität der polierten Oberflächen besonders gut zu reproduzieren sei.
„Unser Know-how steckt in der Software, mit der wir den Roboter ansteuern“, erläutert Strasser. Für das Programmieren der Daten für eine neue Variante von Kniegelenken, beispielsweise, brauche der Maschinenbediener maximal einen Tag. „Weil er diese Arbeit offline erledigen kann, erreichen wir sehr kurze Stillstandzeiten der Maschine beim Produktwechsel.“ Dabei gleicht der Roboter erkannte Abweichungen über eine integrierte Druckmessung aus. Die Bahnen, die ihm vorgegeben sind, darf er dafür in einem definierten Rahmen verlassen und kann sich so selbstständig nachregeln. Auf diese Weise wird der Materialabtrag an Werk-stück und Polierscheibe permanent ausgeglichen.
Das System schafft es, die völlig unregelmäßigen Freiformen eines Werkstücks mit fast allen Punkten senkrecht zu den Schleifscheiben zu bringen. Erreicht wird dies, indem die komplexe Fläche in möglichst viele kleine Segmente aufgeteilt wird. „Nur so lassen sich die krummen und schiefen Oberflächen zu höchster Güte bringen“, betont Strasser. Genaueres will man bei Zeltwanger jedoch nicht preisgeben.
Das jüngste automatisierte System wird für einen Hersteller von Endoprothesen für künstliche Kniegelenke aus Keramik entwickelt und befindet sich in der Testphase. „Daran haben wir zusammen mit dem Kunden etwa ein Jahr lang gearbeitet und optimiert“, berichtet Strasser. Eine gute Basis waren die Erfahrungen mit einem System, das bereits Hüftpfannen aus Keramik automatisch poliert.
„Während für das Polieren von Metall schon seit Jahrzehnten Erkenntnisse vorliegen, war der Keramikbereich noch ein Mal eine Herausforderung“, sagt der Tübinger. Dabei komme es auf die Wahl des Polierwerkzeugs an, das den speziellen Eigenschaften der Keramik angepasst werden musste. „Weitere Anwendungen mit Keramikteilen können wir uns gut vorstellen“, meint Strasser. Allerdings sei für jede Anwendung mit Anpassungen bei den Werkzeugen zu rechnen.
Heute sind die Roboter mit dem Polieren von Metallteilen etwa dreimal so schnell fertig wie die Handarbeiter. „Weitere Verbesserungen sind erforderlich, weil wir in der Medizintechnik-Branche die gleiche Entwicklung miterleben, wie wir sie aus der Automobilbranche kennen: Der Kostendruck steigt schnell – auch wenn die Margen in der Medizin sich noch in anderen Dimensionen bewegen.“
Mit Keramik-Teilen für Hüfte, Knie und in Zukunft vielleicht auch das Schultergelenk ist das Potenzial der automatisierten Lösung aber noch nicht erschöpft. „Das Schöne an unserer Arbeit ist“, lobt der Vertriebsleiter, „dass wir immer wieder quasi Abfallprodukte der Entwicklung für neue Anwendungen nutzen können.“ So haben die Tübinger auch das Polieren von Metall und das Entgraten in ihr Angebot mit aufgenommen. Kleinserien von Werkstücken aus Stahl oder Kunststoff mit komplexen Formen sollen sich schnell, sauber und gleichmäßig automatisiert entgraten lassen und so die Kosten reduzieren, die Mitarbeiter mit der Feile verursachen würden.
Für die Zukunft rechnen die Automatisierungsfachleute von Zeltwanger mit weiteren komplexen Aufgaben, die nicht allein von Konzernen, sondern auch von kleineren Unternehmen kommen könnten. „Auch Mittelständler müssen die Produktionskosten senken“, sagt Strasser. Das Automatisieren könne sich schon bei Stückzahlen von einigen Tausend pro Jahr lohnen.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de

Start im Keller
Die Tübinger Zeltwanger-Gruppe baut nicht nur Roboter für das Polieren, sondern fertigt auch Prototypen, einbaufertige Maschinenbauteile sowie Baugruppen. Sie ist mit vier Firmen und 120 Mitarbeitern in drei Ländern aktiv. 1982 hatte Ulrich Zeltwanger sein Unternehmen in einem Dußlinger Kellergeschoss aufgebaut, mit gebrauchten Maschinen, die der gelernte Werkzeugmacher selbst modernisierte. Heute ist seine Firma in die drei Bereiche Maschinenbau, Automation sowie Dichtheits- und Funktionsprüfung aufgeteilt und bei führenden baden-württembergischen Unternehmen als A-Lieferant gelistet: Die gelieferten Produkte werden ohne Qualitätsprüfung verbaut. Neben der Automobilbranche ist die Medizintechnik einer der Hauptabnehmer von Zeltwanger-Lösungen.

Ihr Stichwort
• Automatisiertes Polieren von Keramik und Metall
Prothesen für Hüfte, Knie, Schulter
• Entgraten von Kunststoffen
• Gesenkte Produktionskosten
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