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Energie-Plattform für mehr als eine Anwendung

Energie- und Datenübertragung: Technik aus Luft- und Raumfahrt an Medizinprodukte angepasst
Energie-Plattform für mehr als eine Anwendung

Ein neues System für die kabellose Übertragung von Energie und Daten lässt sich sinnvoll in der Medizintechnik einsetzen. Das erste Produkt wird ein steuerbarer implantierter künstlicher Sphinkter sein. Weitere könnten folgen.

Batterie und Kabel sind vertraute Begriffe, mit denen jeder umzugehen weiß. Jedenfalls in den meisten Situationen. Im Bereich aktiver Implantate allerdings spricht einiges dafür, auf einen Schnitt und den Kabeldurchgang durch die Haut zu verzichten und bei der Energieversorgung über Alternativen nachzudenken.

Mit dieser Frage haben sich Ingenieure und Mediziner bei der Seefelder Dualis Medtech GmbH seit Jahren befasst – und sie haben als Antwort darauf die Plattform Med-Base entwickelt. Damit lässt sich kabellos Energie von wenigen Mikrowatt bis etwa 30 W übertragen, was die Plattform für die Versorgung zahlreicher Medizinprodukte wie auch Implantate interessant macht. „Das Anwendungsspektrum ist sehr weit und reicht von Kunstherzsystemen über Medikamentenpumpen bis hin zu myoelektrischen Prothesen oder externen Defibrillatoren“, fasst Geschäftsführer Stephan Sagolla zusammen.
Ihr Know-how in Sachen Energieübertragung haben die Fachleute aus Seefeld bisher vor allem in Entwicklungsprojekten mit ihren Auftraggebern eingesetzt. Nun arbeiten sie an ihrem ersten eigenen Produkt, das vielleicht schon 2017 auf den Markt kommen wird: Das Implantable Wireless Sphinkter System (IWSS) soll den zahlreichen Inkontinenz-Patienten weltweit eine neue Behandlungsmethode bieten und viele Nachteile vermeiden, die bisher übliche Implantate mit sich bringen. „Damit vollzieht Dualis Medtech den Schritt vom Entwicklungspartner und Anbieter von Teilkomponenten zum Medizinproduktehersteller“, sagt Sagolla.
Allerdings ist auch beim IWSS geplant, mit Unternehmen aus der Branche zusammenzuarbeiten, wenn die Entwicklung weiter gediehen ist. „Wir sind im Gespräch mit Investoren und strategischen Partnern“, so Sagolla, „aber weitere mögliche Partner sind uns sehr willkommen.“ Denn für Dualis Medtech sei es sinnvoll, das IWSS als Produktlizenz anzubieten oder auch die Rechte daran regional oder global aufzuteilen. „Darüber hinaus gibt es noch die vielen anderen Medizinprodukte, für die Med-Base ebenfalls in Frage kommt und über die es sich zu reden lohnt.“
Med-Base nutzt das Prinzip der induktiven, resonanten Kopplung, um die Energie kabellos zu übertragen. Um das System telemetrisch zu steuern, werden je nach Einsatzzweck verschiedene sichere RF-Kommunikationstechniken verwendet. Da die Plattform modular aufgebaut ist, lässt sie sich an verschiedene Produkte anpassen oder in diese integrieren. „Energie und Daten lassen sich übrigens simultan übertragen“, ergänzt Sagolla. Auch das induktive Laden eines implantierten Akkus sei mit Med-Base umsetzbar.
Ihre Plattform beschreiben die Seefelder als „tolerant gegenüber horizontaler und vertikaler Verschiebung von Sende- und Empfangsspule“. Das sei insbesondere für den Einsatz in Implantaten entscheidend, da die Kopplungselemente sowohl innerhalb als auch außerhalb des Körpers stets in Bewegung seien und nicht präzise ausgerichtet werden können. Das implantierte System weise dabei eine geringe Erwärmung auf, so dass der Grenzwert – das umliegende Körpergewebe darf sich nach DIN Norm 60601-1 um höchstens 2 Grad erwärmen – nicht überschritten werde. Welche Vorteile diese Plattform in einem Produkt bietet, lässt sich am Beispiel des IWSS schon zeigen – ein Prototyp des Gesamtsystems liegt vor, und das Med-Base-System wurde in Kombination mit einer Herzpumpe bereits über einen Zeitraum von 150 Tagen im Tierversuch getestet.
Ein zentraler Vorteil für den Patienten ist die einfachere Bedienung, die die elektrische Lösung ermöglicht. Sagolla betont, dass das IWSS darin „den bisher üblichen mechanischen Lösungen überlegen“ sei. Patienten mit mechanisch betriebenen Implantaten in Hodensack oder Schamlippen müssen mit der Hand Pumpbewegungen am Gerät ausführen, um die Funktion des defekten Schließmuskels zu ersetzen – also den Durchgang durch die Harnröhre zu öffnen und zu schließen. Solche Lösungen wurden vor rund 40 Jahren entwickelt und werden verbreitet eingesetzt, sowohl bei der Harn- als auch der Stuhlinkontinenz.
Für Menschen mit eingeschränkter Feinmotorik allerdings sowie für ältere Menschen sei diese Art der Bedienung schwierig, und auch die Hilfe durch Pflegepersonal oder Angehörige zuweilen problematisch. Darüber hinaus übe das System dauerhaft hohen Druck auf das Gewebe im Umfeld der Harnröhre aus, da sich die mechanische Lösung nicht ständig den Erfordernissen anpassen könne. Auf Dauer führe das zu Gewebeläsionen, die weitere Operationen erforderlich machen.
Der elektronisch gesteuerte, hydraulische, künstliche Sphinkter mit transkutaner Energieversorgung hingegen passe sich automatisch an den situationsabhängigen, erforderlichen Schließdruck an und schone das umliegende Gewebe. Implantiert werden funktionale Komponenten, die als elektronische Pumpeinheit und Ventil arbeiten. Med-Base versorgt beide mit Energie und steuert die Elemente an. Da das System im Zustand des konstanten Druckes keine Energie für Pumpeinheit und Ventil benötigt, bleibt der Energieverbrauch gering. Bedienen kann der Patient das System „von außen“ über eine tragbare Bedieneinheit, also ohne den Körper berühren zu müssen, was die Handhabung verbessere. Das System passe sich mit kurzer Reaktionszeit automatisch an die anliegenden Urethradrücke an und sichert somit auch beim Husten, Niesen oder schnellen Bewegungen eine sichere Kontinenz. Möglich wird dies durch den Überdruck im Reservoir und die schnelle Reaktionszeit eines bi-stabilen Ventils.
Das System lässt sich vom Arzt nach der Operation individuell an den Patienten anpassen. Und Sagolla ergänzt, dass bereits implantierte, manuelle Systeme auch nachträglich mit der Dualis-Medtech-Elektronikeinheit versorgt werden können. „Darüber lässt sich die Technik auch für Penisprothesen nutzen oder bei Refluxpatienten, die Probleme mit dem Magen haben wie zum Beispiel Sodbrennen.“ Auch ein Magenband ließe sich mit dem System realisieren – und Teile daraus könnten für Medikamentenpumpen Vorteile bieten.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Ingenieure und ein Herzchirurg gründeten 2006 die Dualis Medtech GmbH in Seefeld, als Spin-off des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Das Ziel der derzeit 22 Mitarbeiter: Technologien, die vom DLR entwickelt wurden, sollen dem Medizintechnik-Markt zur Verfügung gestellt werden. www.dualis-medtech.de
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