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Die Zukunft liegt im kleinsten Teil

Nanotechnologie: Chancen und Risiken einer Schlüsseltechnologie
Die Zukunft liegt im kleinsten Teil

Gelobt als Chance für die Menschheit, kritisiert als unberechenbare Technik – Nanotechnologie gilt als eine der spannendsten Zukunftstechnologien. Die Medizintechnik profitiert bereits heute davon, ebenso wie Diagnostik und Therapie.

Eine Szene wie aus einem Science-Fiction-Film: Über eine Kanüle werden eisenhaltige Nanopartikel direkt in einen Gehirntumor injiziert. Durch ein äußeres Magnetfeld zur hochfrequenten Schwingung angeregt, erwärmen und töten die Partikel die Tumorzellen. Für viele Patienten, deren Gehirntumor inoperabel ist, könnte diese Methode die letzte Hoffnung sein, den Krebs zu besiegen. NanoTherm heißt die neue, auf Nanotechnologie basierende Therapie, die von Wissenschaftlern der Charité – Universitätsmedizin Berlin entwickelt und an der Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie am Campus Virchow etabliert wurde.

Angeboten wird die Therapie von der Berliner Magforce Nanotechnologies AG, einer Ausgliederung der Charité. Bei den Nano-partikeln handelt es sich um sehr kleine, in Wasser gelöste Teilchen aus Eisenoxid mit einer Hülle aus Aminosilanen und einem Durchmesser von etwa 15 nm. Liegt der Patient anschließend zur Behandlung im Magnetfeldapplikator, werden die Teilchen durch ein Magnetfeld, das bis zu 100 000 Mal in der Sekunde seine Polarität wechselt, in Schwingung versetzt, und erzeugen dadurch die zerstörerische Wärme. Umliegendes gesundes Gewebe wird geschont, da die Partikel aufgrund ihrer Hüllstruktur am Ort der Applikation verbleiben. Durch den Verbleib der Partikel im Tumor sind wiederholte Behandlungen und das Einbinden in andere Therapiekonzepte möglich. Für die nanotechnologisch basierte Krebstherapie gibt es bereits seit 2010 die CE-Kennzeichnung und damit den europäischen Markteintritt als Medizinprodukt.
Die Hoffnung auf Heilung von Tumoren ist nur eines der vielen Anwendungsgebiete von Nanotechnologie in der Medizin und der Medizintechnik. Forscher entwickeln seit einigen Jahren verstärkt mit ihrer Hilfe neue Produkte und Verfahren, mit denen Krankheiten besser bekämpft werden können.
Der Begriff „Nano“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Zwerg“. In der Sprache der Wissenschaft bedeutet „Nano“ ein Milliardstel. Nanotechnologien beschreiben also Strukturen, die bis zu 80 000 Mal kleiner sind als der Durchmesser eines menschlichen Haares. Genutzt werden die besonderen Merkmale, die für viele Nanostrukturen charakteristisch sind. Die mechanischen, optischen, magnetischen, elektrischen und chemischen Eigenschaften dieser kleinsten Strukturen hängen jedoch nicht allein von der Art des Ausgangsmaterials ab, sondern in besonderer Weise von ihrer Größe und Gestalt. Deshalb können sich Nanomaterialien mit gleicher Zusammensetzung, aber unterschiedlicher Morphologie, völlig unterschiedlich verhalten. Der Einsatz der Nanotechnologie kann beispielsweise die Funktion keramischer und metallischer Werkstoffe optimieren – etwa durch einen nanooptimierten Korrosionsschutz für Metalle oder verbesserte spezifische Eigenschaften technischer Keramik wie Supraleitfähigkeit, Thermo- oder Piezoelektrizität.
Im Gesundheitswesen ist die Nanotechnologie der Schlüssel zu neuen Erkenntnissen in Diagnostik und Therapie, aber auch bei der Herstellung von Medizingeräten. Sie ermöglicht bereits heute die Entwicklung neuer Medikamente und den verbesserten Medikamententransport, erlaubt neue Diagnoseverfahren und Instrumente und verändert den Bereich der regenerativen Medizin durch nanooptimierte Implantate und Gewebezüchtungen. Experten erhoffen sich davon eine schonendere, leistungsfähigere und individuellere Medizin. So dienen Nanoteilchen bereits als Kontrastmittel in der Computertomographie, machen als Oberflächenbeschichtung Katheter gleitfähig und Kanülen resistent gegen Bakterien. Sie transportieren Medikamente zum gewünschten Wirkungsort im Körper und setzen als Medikamentenbeschichtung auf Implantaten ihre Wirkstoffe frei.
In der Kardiologischen Klinik des Herz- und Diabeteszentrums Nordrhein-Westfalen, Bad Oeynhausen, wurde kürzlich erstmals bei einem Patienten ein selbstexpandierbarer Stent mit Medikamentenbeschichtung erfolgreich eingesetzt. Die medikamentöse Beschichtung des fingernagelgroßen Stents soll die Entzündungsreaktionen in der Gefäßwand und daraus entstehende Narbengewebebildungen deutlich reduzieren. Die Nickel-Titan-Legierung (Nitinol) des Stents besitzt darüber hinaus außergewöhnliche Form-Gedächtnis-Eigenschaften und ist superelastisch.
Die Forschungstrends der Nanotechnologie gehen in Richtung einer präventiven und personalisierten Medizin. Hierzu zählen molekulare Marker zur Früherkennung von Krankheiten, integrierte Konzepte von Diagnose und Therapie und selektive Drug-Delivery-Systeme. Hohe Erwartungen werden in den Bereich Tissue Engineering gesetzt sowie in nanofunktionalisierte Implantate, die ihre Wirkstoffe kontrolliert im Körper abgeben.
Kein Zweifel, die Nanotechnologie und die damit verbundene Nachfrage nach neuen Produkten und Materialien boomt. Und nicht nur in der Medizin und der Medizintechnik: Allein in Deutschland befassen sich rund 1800 Institutionen, davon etwa 40 % kleine und mittlere Betriebe, 13 % Großunternehmen, 24 % Hochschulinstitutionen und 9 % institutionelle Forschungseinrichtungen wie Netzwerke, Behörden, Verbände und Finanzinstitutionen mit dem Nanokosmos. Zu den wichtigsten Branchen zählen – neben dem Gesundheitssektor mit rund 300 Akteuren – die Chemie, der Geräte- und Maschinenbau inklusive Messtechnik sowie der Dienstleistungssektor mit Auftragsforschung und -beschichtung. Der Gesamtumsatz der Unternehmen im Bereich der Nanotechnologie wird für 2011 auf rund 14,3 Mrd. Euro geschätzt. Der Forschungsaufwand lag im vergangenen Jahr bei rund 1,4 Mrd. Euro. Damit liegt Deutschland bei den Nanotechnologie-Aktivitäten hinter den USA und Japan auf Platz drei, wie das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für seinen Aktionsplan Nanotechnologie 2015 recherchierte. Nach Einschätzung der Nanotechnologieunternehmen, bezogen auf ihre derzeit wichtigsten Produkte, hat die Bundesrepublik in rund einem Drittel aller genannten Anwendungen die Marktführerschaft.
Vor allem von der Erforschung der Oberflächenoptimierung von Implantaten und Prothesen durch Nanopartikel versprechen sich Institute und Hersteller enorme Verbesserungen für den Gesundheitsmarkt. In die Knochen eingesetzte Implantate und Prothesen, die dauerhaft im Körper verbleiben sollen, müssen vor allem eines: schnell und sehr fest mit dem Knochengewebe verwachsen, um starken mechanischen Belastungen standhalten zu können. Das gilt für die Verankerung künstlicher Hüft-, Knie- oder Schultergelenke ebenso wie für Zahnimplantate im Kieferknochen. Durch eine spezielle Anwendung der plasmachemischen Oxida-tion ist es Thüringer Forschern gelungen, eine poröse, bioaktive Oberfläche auf Titan-implantaten zu erzeugen. In einer vorklinischen Studie konnten die Chirurgen, Materialwissenschaftler und Implantathersteller bereits nachweisen, dass die neue Oberfläche mit nanokristalliner Struktur im Vergleich zu herkömmlichen Implantaten ein mehrfach festeres Einwachsen in das Knochengewebe ermöglicht. Entwickelt und getestet wurde die neue Implantatoberfläche im interdisziplinären Verbund mit Wissenschaftlern des Innovent e. V. in Jena, des Instituts für Materialwissenschaft und Werkstofftechnologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und des Implantatherstellers Königsee Implantate GmbH. Die spezielle Außenschicht ist um ein Vielfaches dicker als die Titanoxidschicht auf herkömmlichen Implantaten oder Endoprothesen. „Wir konnten auf den Implantaten eine Titanoxidmatrix realisieren, die eine feinporige Oberfläche besitzt und in die Kalzium und Phosphor eingelagert ist“, so der Chemiker. Die Poren verbessern das Anwachsen und Verankern von Knochenzellen am Implantat, und die bioaktiven Elemente beschleunigen deren Stoffwechsel.
Um die Oberflächen auf die notwendige Beschaffenheit oder auf bei der Fertigung entstandene überschüssige Partikel überprüfen zu können, sind nanoanalytische Verfahren wie Rasterkraftmikroskopie oder Fluoreszenzmikroskopie gefragt. „Oberflächencharakteristika in der Mikro- und Nanometerdimension entscheiden letztendlich über den wirtschaftlichen und vor allem den therapeutischen Erfolg von medizintechnischen Produkten“, erklärt Jürgen Valentin, Vorstandssprecher und Vorstand Technologie (CTO) bei der Nanofocus AG in Oberhausen. „Ob die nanostrukurierte Oberfläche den Vorgaben und Kennwerten entspricht, muss deshalb bei jedem Produkt genau überprüft werden.“ Mit einem Konfokalmikroskop lassen sich beispielsweise schnell und berührungslos DIN-EN-ISO-konforme Rauheitsparameter, Mikrogeometrie und Schichtdicken von Proben mit unterschiedlichen Materialeigenschaften ermitteln. Das konfokale Messverfahren liefert dazu tiefenscharfe Bilder der Oberflächen und wiederholgenaue Kennzahlen beispielsweise von Dental-Inlays, orthopädischen Prothesen und Implantaten. Mit einer fortlaufenden Messung der 3D-Oberflächenrauheit während des Fertigungsprozesses können Hersteller die Einhaltung fein definierter Rauheitstoleranzen und die Anordnung der Nanopartikel sicherstellen.
Doch woher kommen die Partikel für Stent und Knochenimplantat? Dazu gibt es verschiedene Lösungen: Niko Bärsch, Gründer und Geschäftsführer der Particular GmbH, Hannover, löst zum Beispiel die winzigen Materialkugeln mit einem Laser aus verschiedenen Stoffen. Ob Silber, Gold, Platin oder Keramik – der Laserpuls schießt die Partikel in der richtigen Größe ab, die sich dann in Wasser oder Aceton verteilen. Durch den Laserabtrag in Flüssigkeit werden die Partikel elektrostatisch stabil und verklumpen nicht. Die so gelösten Nanopartikel sind hochrein und sofort einsetzbar. Ein weiterer Vorteil: Die Partikel sind in der Flüssigkeit eingeschlossen. „Und damit“, so Bärsch, „im Vergleich zu Staub, den andere Verfahren erzeugen und der eingeatmet werden könnte, keine Gefahr für die Gesundheit.“
Sein universelles Produktionsverfahren will Particular nutzen, um einen Beitrag zur Risikoforschung zu leisten: „Künftig möchten wir neue Referenzmaterialien bereitstellen, die auch im Rahmen von Studien zur Sicherheit der Nanotechnologie verwendet werden sollen“, erklärt Bärsch. Denn obwohl oder gerade weil die Nanotechnologie immer weiter in unser Leben dringt, wird intensiv diskutiert und geforscht, welche Risiken der Einsatz mit sich bringt.
Als mögliche Eintrittspfade von Nanopartikeln in den Körper kommen der Atemtrakt, der Verdauungstrakt und die Haut in Betracht. Aufnahme in den Körper bedeutet den Durchtritt durch eine Zellmembran oder Zellschicht. Nach der Aufnahme werden Nanopartikel über Blut und Lymphe auf die einzelnen Organsysteme verteilt. Abhängig von Struktur, Morphologie, chemischer Zusammensetzung und Konzentration können die Nanomaterialien unterschiedliches toxikologische Potenzial aufweisen. Ein mögliches Risiko muss deshalb von Fall zu Fall betrachtet und durch Langzeituntersuchungen abgesichert werden.
Dessen bewusst ist sich auch der Chemiekonzern BASF, der in der Nanotechnik eine der wichtigsten Zukunftstechnologien sieht. „Wir müssen zwischen nanostrukturierten Materialien und Nanoobjekten unterscheiden“, erklärt Dr. Andreas Kreimeyer, Research Executive Director und Mitglied des Vorstands der BASF SE. Nanostrukturierte Materialien haben Oberflächen, Hohlräume oder Strukturen im Nanometerbereich. Von diesen Nanostrukturen gehe kein Risiko aus. Das gleiche gelte für fest in eine Matrix eingebettete Nanoobjekte wie Partikel, Plättchen oder Fasern. Freie Nanopartikel seien hier differenzierter zu betrachten, weil sie eingeatmet werden könnten und damit ein Gesundheitsrisiko darstellen könnten. „Generell gilt“, so Kreimeyer, „Nutzen und Risiken sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Nur wenn der Nutzen der Produkte die theoretischen Risiken überwiegt, und nur wenn mögliche Risiken handhabbar sind, gehen wir mit einer Produktentwicklung voran.“ Das Unternehmen beteiligt sich an nationalen und internationalen Forschungsprojekten wie NanoCare und Nanosafe2.
Neben wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Aspekten der Hochtechnologie stehen Fragen der Sicherheit und Ethik oft im Mittelpunkt der Netzwerkarbeit. Auch die Magforce AG setzt sich als Mitglied des gemeinnützigen Vereins cc-NanoBioNet e. V. für die Entwicklung sicherer Zukunftstechnologien ein. Für die Nanotherm-Therapie haben die Magforce-Forscher es geschafft, eine nanochemische Hülle aus Aminosilanen zu konzipieren, die es ermöglicht, dass nur die kranken Zellen den Eisenoxidstaub aufnehmen, da sie diesen für Nährstoff halten. Sind die Eisenpartikel in den Zellen der Geschwüre injiziert, können sie diese nicht mehr verlassen, da die Hülle dafür sorgt, dass die Partikel bei Erhitzung im Tumor verklumpen. Das abgestorbene Gewebe wird anschließend von immunkompetenten Zellen wie Makrophagen oder, wenn es in den Blutkreislauf gelangt, in Milz und Leber für den Patienten ohne Nebenwirkung abgebaut.
Gemeinsam mit dem Technologienetzwerk cc-NanoChem e. V. hat der Verein darüber hinaus bereits 2009 den Verhaltenskodex Nanowissenschaften und -technologien verabschiedet. Diese Richtlinie ist für alle Mitglieder verbindlich und soll stets an ein ethisch verantwortliches Handeln erinnern.
Nano in Diagnoseverfahren und auf neuen Produkten soll den Patienten schonen
Höhere Sicherheit durch Forschung soll Hersteller und Anwender schützen
Weitere Informationen Zum Nanotherm-Verfahren: www.magforce.de Zum Aktionsplan Nanotechnologie 2015: www.bmbf.de/de/nanotechnologie.php Zu den bioaktiven Oberflächen: www.innovent-jena.de Zu den nanoanalytischen Prüfverfahren: www.nanofocus.de Zu Nanopartikel-Produzent Particular: http://particular.eu Zum Chemiekonzern BASF: www.basf.com

Online weiterlesen
Wann ist Nanotechnologie sinnvoll? Und wie verändern Nanopartikel ein Produkt? In unserem Online-Magazin erfahren Sie von Nico Bärsch, wozu die winzigen Partikel fähig sind, und Dr. Ralph Nonninger vom cc-NanoBioNet informiert über den Stand der Risikoforschung. www.medizin-und-technik.de/onlineweiterlesen

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