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Die Sache mit dem Klick

Bestrahlung: Kunststoffampullen könnten Behälter aus Glas ersetzen
Die Sache mit dem Klick

Das Sterilisieren mit Beta-Strahlen erfolgt schnell und zuverlässig. Mit der Energie beschleunigter Elektronen lassen sich aber auch ganz andere Effekte erzielen – Kunststoffampullen beispielsweise gibt sie den letzten K(l)ick.

Wenn Kunststoffe Elektronen- oder Gammastrahlen ausgesetzt werden, wird die zugeführte Energie vom Material absorbiert und führt bei einer Vielzahl von Werkstoffen, beispielsweise Polyethylen oder Polyamid, zur Vernetzung der Kunststoffmoleküle. Von dieser so genannten Strahlenvernetzung profitieren vor allem die höheren Gebrauchstemperaturen, die Verminderung des Kriechens (Kaltfluss) sowie die Verbesserung der Abriebfestigkeit und der Rückstelleigenschaften.

Bei Polypropylen bewirkt schon eine niedrige Bestrahlungsdosis den umgekehrten Effekt, weil hier das Molekulargewicht durch Kettenspaltung verringert wird. Die Folge ist eine Verringerung der mechanischen Festigkeit und die Reduktion der Schlagzähigkeit. Auf jeden Fall wird das PP-Material durch die Bestrahlung spröder. Diesen in der Regel unerwünschten Effekt nutzte ein findiger französischer Kunststoffhersteller. André Tartaglione, Gründer und Inhaber der in Oyonnax beheimateten Firma Sériplast, arbeitete schon länger an der Entwicklung von Kunststoff-Ampullen, mit denen er die bislang üblichen Glasampullen ablösen wollte. Glasampullen müssen zum Öffnen aufgebrochen werden. Die scharfkantigen Abfälle sorgen immer wieder für ärgerliche Verletzungen, was besonders im medizinischen Alltag höchst unwillkommen ist. Zudem sind Glasampullen schwierig zu befüllen, verlangen besondere Vorsicht beim Transport und werden so für die Hersteller zu einem Kostentreiber.
Polypropylen ist als Behälterwerkstoff für eine große Zahl von Substanzen sehr geeignet und wird auch häufig in der Medizin eingesetzt. Das Material weist eine sehr gute chemische Beständigkeit gegenüber einer Vielzahl von Produkten auf, gepaart mit einer hohen mechanischen Festigkeit. Tartaglione entwickelte eine Serie von Ampullen verschiedener Größen von 1,5 ml bis 11 ml aus einem speziellen Polypropylentyp. Konstruktiv wurde unterhalb des so genannten Ampullenspießes eine ringförmige Einkerbung vorgesehen. Diese Sollbruchstelle wird durch Bestrahlung so spröde, dass der Spieß mit einem leichten Druck splitterfrei abgebrochen werden kann.
In den Fachleuten des großen deutschen Bestrahlungsdienstleisters BGS Beta-Gamma-Service fand Tartaglione Projektpartner, die schnell von seiner Idee begeistert waren. In zahlreichen Versuchen wurden die Bestrahlungsparameter immer wieder so variiert, dass zwar die Sollbruchstelle mit einem leisen „Klick“ dem Druck des Daumens nachgibt, das Material aber dennoch fest genug bleibt, um gefahrlos verschiedene Flüssigkeiten zu beinhalten.
Inzwischen hat Tartaglione zahlreiche Zulassungen für seine Ampullen erhalten. Damit empfehlen sich die praktischen Kunststoffbehälter für Medizinprodukte, Chemikalien, Kosmetik und Nahrungsmittel. Anders als die Glasampullen, werden die Kunststoffampullen über den offenen Boden befüllt, der anschließend durch einen Stopfen verschlossen wird. Das verkürzt den Füllvorgang und macht das zeitraubende Verschmelzen der Spitze, was auch immer mit einer Temperaturerhöhung einhergeht, unnötig. Die besondere Gestaltung der Ampulle macht es sogar möglich, angebrochene Ampullen mit dem umgedrehten Ampullenspieß wieder zu verschließen.
Die praktischen Vorteile der Polypropylen-Ampulle riefen inzwischen auch Catering-Fachleute auf den Plan, die in den kleinen Behältern allerlei Zubehör zum Essen, etwa Senf, Öl, Essig und mehr verpacken. Flugreisende können ein Lied singen von den diversen Plastikbehältern, die sich nicht immer ohne Malheur öffnen lassen. Die Kunststoffampulle ist mit einem leisen Klick leicht und sicher zu öffnen und es verspritzt nichts.
Sériplast wird betreut von Yannick Maintier, dem Repräsentant von BGS in Frankreich. Er verweist auf die bequeme Handhabung der Bestrahlung: „Die Ampullen werden nach der Formgebung und der Bedruckung lose in Polybeutel verpackt, die wiederum in Kartons zu uns zum Bestrahlen kommen. In unserem Werk in Bruchsal, nur eine halbe Stunde von der französischen Grenze entfernt, durchlaufen die Kartons in wenigen Minuten die Elektronenstrahlanlage“, beschreibt er den Vorgang. „Die Ampullen erlangen dort ihre typische Materialeigenschaft und sind mit dieser Energiedosis im gleichen Vorgang auch gleichzeitig sterilisiert.“
Nach der Bestrahlung müssen die Ampullen nicht wieder zurück zu Sériplast, sondern können direkt zum Abfüllbetrieb gebracht werden. Die Bestrahlung kann so elegant in die Logistikkonzepte der beteiligten Unternehmen integriert werden.
Die BGS Beta-Gamma-Service GmbH & Co. KG ist seit 1981 in der industriellen Bestrahlung tätig. Das Unternehmen betreibt an seinen Standorten in Wiehl, Bruchsal und Saal eine Gamma-Anlage und sieben unterschiedliche Elektronenbeschleuniger im Energiebereich von etwa 0,3 – 10 MeV. Das mittelständische Unternehmen zählt zu den Pionieren der Bestrahlungstechnik und ist Verbundpartner zahlreicher internationaler Forschungsvorhaben mit renommierten Hochschulen im In-und Ausland.
Joachim Tatje Journalist in Bruchsal
Weitere Informationen: www.seriplast.fr www.bgs.de
Ampullen erhalten in einem Durchlauf ihre Materialeigenschaften und sind sterilisiert

Beta-Strahlung
Das Sterilisieren mit Gammastrahlen hat sich seit Jahrzehnten neben den thermischen und chemischen Verfahren in der Industrie etabliert. „Auch mit der Energie beschleunigter Elektronen, der so genannten Beta-Strahlung, kann man Produkte zuverlässig sterilisieren“, sagt Dr. Andreas Ostrowicki, Geschäftsführer des Bestrahlungsdienstleisters BGS Beta-Gamma-Service in Wiehl. Ein wesentlicher Vorzug des Verfahrens sei seine Schnelligkeit.
Bei der Beta-Strahlung werden negativ geladene Teilchen (Elektronen) wie in der Bildröhre eines Fernsehers beschleunigt. Sie verlassen den Beschleuniger als energiereicher Teilchen-Strahl. Elektronenstrahlen ermöglichen im Vergleich zur Gammastrahlung hohe Energieeinträge in sehr kurzer Zeit.
Zu den Produkten, die mit Elektronenstrahlen sterilisiert werden, gehören Implantate und Prothesen, Katheter, Kanülen, Blutschlauchsysteme sowie Infusions- und Beatmungssysteme, OP-Abdecktücher, Instrumente, Handschuhe, Verbandsstoffe, Nahtmaterial und Wunddrainagen.

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