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Die Lücke schließen

Entwicklungsdienstleister: Externes Know-how zündet Turbo für rechtzeitigen Markteintritt
Die Lücke schließen

Von der Softwareentwicklung bis zu fertigungsgerecht ausgelegten Stahlkomponenten kann ein Medizintechniker auf das Know-how von Dienstleistern zugreifen. Diese gleichen auf Zuruf fehlende Kapazitäten aus und helfen dabei, mit der eigenen Idee früher auf dem Markt zu sein.

„Wer bei der Einführung einer neuen Technologie ein bis zwei Jahre Zeit verliert, kommt vielleicht schon zu spät“, sagt Dr. Frank Portheine, Vorstand des Aachener Technologie-Dienstleisters Surgitaix AG. Zu stark sei der Wettbewerb, gerade im Bereich der Medizintechnik, so der Chef des Unternehmens, das als Spin-off-des Helmholtz-Institutes für Biomedizinische Technik an der RWTH Aachen entstand. Weil die Geräte immer komplexer würden und immer mehr Mechatronik enthielten, müsse ein Hersteller in immer mehr Disziplinen in die Tiefe gehen. „Allerdings ergibt es keinen Sinn, in jedem Gebiet einen Spezialisten im eigenen Unternehmen zu haben“, so Portheine weiter. Vielmehr sei es sinnvoll, diese Aufgaben einem Entwicklungsdienstleister zu übertragen, dessen tägliches Geschäft beispielsweise das Auslegen von Schaltungen für Mikrocontroller sei.

Konkret unterstützten die Aachener kürzlich die Ilias-Medical GmbH bei der Entwicklung eines mobilen, vollständigen Lungenunterstützungssystems. Das Kölner Unternehmen, ebenfalls ein Spin-off-Unternehmen der RWTH, entwickelt dieses System zur Marktreife, um es weltweit zu vertreiben. „Auf Basis der Grundlagenforschung an der Hochschule besitzt man dort ein umfangreiches Detailwissen, was die Sauerstoffanreicherung des Blutes angeht“, erläutert Surgitaix-Vorstand Portheine. Was gefehlt habe, sei das Elektronik-Know-how für das Auslegen der Regeleinheit, welche die Vielzahl der Parameter eines solchen Systems in den Griff bekommen muss. „Das war ganz klar unsere Domäne, denn im Bereich der Elektronik und speziell der Mikrocontroller liegt unsere Kernkompetenz.“ So habe man eine sehr wirtschaftliche Lösung anbieten können, während Ilias-Medical enorm viel Entwicklungszeit eingespart habe.
Schneller zu sein, ist aber nicht nur im Bereich der Entwicklung von Vorteil. Daher versteht sich die Zrinski AG aus dem süddeutschen Wurmlingen nicht nur als Entwicklungsdienstleister, sondern bietet mit 80 CNC-Fräs- und Drehbearbeitungszentren für die 4- und 5-Achsen-Bearbeitung auch Produktionskapazitäten an. „So können wir unsere Kunden von der Produktidee bis zum fertigen Produkt unterstützen“, berichtet Stephan Eckhof, Leiter Entwicklung Medizintechnik. Ein Schwerpunkt läge auf der fertigungsgerechten Konstruktion sowie der Festigkeitsanalyse. Was hier möglich ist, lässt sich am Beispiel des Orthobiom-Systems zeigen, mit dem sich eine Verkrümmung der Wirbelsäule, die so genannte Skoliose, bei Kindern behandeln lässt. Das Problem dabei: Bei Krümmungen von mehr als 50 Grad und besonders bei kleinen Patienten vor Erreichen der Pubertät lässt sich eine Verschlechterung des Zustands allein mit einem Korsett oft nicht aufhalten, und eine operative Korrektur bei gleichzeitiger Versteifung der Wirbelsäule behindert wiederum das Größenwachstum.
Der kanadische Arzt Dr. Charles Rivard entwickelte deshalb die Idee eines dynamischen, mitwachsenden Korrektursystems. Bei der auf Wirbelsäulenimplantate spezialisierten, ebenfalls in Wurmlingen beheimateten Paradigm Spine GmbH fand er ein offenes Ohr für sein Anliegen. „Als wir die Orthobiom-Technologie erwarben, befand sie sich im Prototyp-Stadium“, erläutert Entwicklungsleiter Frank Trautwein. Einige Komponenten waren angesichts der kindlichen Rücken zu groß dimensioniert und nicht in größerer Stückzahl wirtschaftlich zu fertigen. „Zrinski bot uns produktionstechnisches Know-how, kombiniert mit medizintechnischer Erfahrung in der Konstruktion und Auslegung von Implantaten, so dass wir die Systemoptimierung weitgehend in die Hand des Teams um Stephan Eckhof geben konnten.“
Die Experten minimierten über Festigkeitsanalysen die Baugröße, gewährleisteten aber trotzdem die Korrektur der Skoliose und die Verstellbarkeit des Systems. Durch verschiedene Oberflächenmodifikationen und das kurzfristige Bereitstellen von Testmustern ließ sich außerdem das Verschleißverhalten des Orthobiom-Systems prüfen und optimieren. „Die Ergebnisse der von verschiedenen Labors durchgeführten Untersuchungen haben uns sehr positiv überrascht“, fährt Trautwein fort. „Stellenweise konnten wir eine Verschleißreduzierung um den Faktor 100 feststellen.“ Das spiegele die Kompetenz und Teamarbeit aller Beteiligten wider.
„Wesentlich dabei war auch, dass wir bezüglich der Fertigungsfreundlichkeit das Design so anpassen konnten, dass sich die einzelnen Komponenten nun mit Standardwerkzeugen herstellen lassen“, ergänzt Zrinski-Entwicklungsleiter Stephan Eckhof. So bliebe der Aufwand an Maschinenstunden und Werkzeugen so gering wie möglich – und somit die Kosten. „Vor allem für kleinere Unternehmen ist es von Vorteil, wenn sie fehlendes Know-how zukaufen und Kapazitätsengpässe schließen können.“ Zudem seien der moderne Maschinenpark sowie sicherlich die örtliche Nähe wichtig gewesen: Dass Paradigm Spine und Zrinski beide in Wurmlingen beheimatet sind, habe die einfache und schnelle Kommunikation erleichtert.
„Dieser stete, gegenseitige Austausch – bei Bedarf per Telefon- oder Videokonferenz auch über größere Entfernungen realisierbar – ist für den Erfolg eines Projektes entscheidend“, betont Achim Höin, Marketing Manager der IMT Information Management Technology AG aus Buchs in der Schweiz. Auch IMT verfügt, wie die anderen Dienstleister, über ein umfangreiches Know-how, speziell in der Entwicklung von Medizingeräten, von der Idee bis zur Serienreife inklusive der Marktzulassung. „Dadurch, dass sich unsere Mitarbeiter ständig mit Entwicklungstrends und den neusten Technologien auseinandersetzen, sind wir in der Lage, die für eine Anwendung besten Technologien zu empfehlen und die Projekte damit umzusetzen.“
Ein Schwerpunkt der Schweizer liegt im Bereich der Software- und Elektronik-Entwicklung. Faktoren wie Entwicklungsdauer, Lizenzkosten oder auch die zur Verfügung stehende Prozessorleistung spielen dabei eine Rolle. „Bei großen Stückzahlen ist der Preis der Hardwareplattform ein wichtiger Faktor“, so Höin weiter. „Kann man hier auf eine einfachere, dafür aber kostengünstigere Plattform ausweichen, macht sich das bezahlt.“ Anders sehe es aus, wenn nur wenige Stück produziert würden. Dann spiele der höhere Preis eines schnelleren Prozessors eine untergeordnete Rolle.
Aufgrund des Know-hows und eines agilen, iterativen Entwicklungsprozesses könne man zudem gerade im Bereich der Geräteentwicklung häufig auch auf eine Nullserie verzichten, fährt Höin fort. „Da wir viele Aufgaben bereits in der Vergangenheit gelöst haben, können wir in einigen Projekten bei der Softwareentwicklung auf unser Applikations-Framework zurückgreifen, eine Art Baukasten mit vorkonfigurierten Basislösungen.“ Damit ließe sich eine neue kundenspezifische Applikation schnell aufbauen.
IMT nutzt dieses Know-how auch über eine Schwesterfirma, die Imtmedical AG. Diese stellt Produkte wie etwa den Flow-Analyser her, ein Mess- und Kalibriergerät für Beatmungs- und Anästhesiegeräte, und vertreibt sie weltweit. Sämtliche Baugruppen, von der Messsensorik über Soft- und Hardware bis hin zur Mechanik, entwickelte IMT – und ist auch heute noch für das Änderungswesen, etwa neue Software-Releases, verantwortlich. „Dies erfordert ein umfangreiches Know-how im Bereich der hochpräzisen Messung von Volumenstrom und Druck“, berichtet Höin.
„Mit solch einer Auftragsentwicklung kann ein Medizintechnik-Hersteller sehr viel Zeit sparen und fehlende eigene Ressourcen einfach ergänzen“, schließt sich Surgitaix-Vorstand Frank Portheine an. Zudem könne ein Entwicklungsdienstleister hilfreich sein, weil er eine Aufgabe von einer anderen Seite her angehe. Üblicherweise verfügten die Geräteanbieter über sehr viel Detailwissen auf medizinischer Seite. „Wir hingegen besitzen den Überblick auf der technologischen Seite und können auf das Know-how verschiedener Disziplinen zurückgreifen.“ Ansteuereinheiten für Motoren etwa würden überall benötigt, darauf müsse sich der Anwender nicht spezialisieren. „Zudem kennen wir als Dienstleister auch Alternativen und können so helfen, im konkreten Fall die technisch und wirtschaftlich sinnvollste Lösung zu finden.“
Zum Spektrum eines guten Entwicklungsdienstleisters gehörten allerdings auch Fragen der Anwendung, etwa der Instrumentierung und der Operations-Methodik, ergänzt Zrinski-Entwicklungsleiter Stephan Eckhof. „Bei einem System wie dem Orthobiom müssen wir dem Operateur natürlich die richtigen Hilfsmittel, sprich Instrumente, an die Hand geben, damit er die Systemkomponenten einfach, funktionsgerecht und für den Patienten minimal-invasiv und sicher implantieren kann.“ Nicht zuletzt sei auch an dieser Stelle Konstrukteurs-Know-how gefragt. „Jede Art der Fehlbedienung, die ich schon aufgrund des Designs ausschließen kann, ist von unschätzbarem Wert.“
Ein Beispiel dafür sind Schrauben und Muttern mit definierten Sollbruchstellen, die sicherstellen, dass Komponentenverbindungen immer mit dem richtigen Drehmoment angezogen werden. Gerade solche Aspekte dürften für den Medizintechnikhersteller sehr wertvoll sein. Denn hier ist über das konkrete medizinische Know-how hinaus Erfahrung sehr wichtig – und die sammeln Entwicklungsdienstleister viel konstanter, als es ein einzelnes Unternehmen allein je kann.
Systemoptimierung aus den Händen des Dienstleisters
Erfahrung aus vielen Projekten mündet in einSoftware-Baukastensystem

Ihr Stichwort
  • Technologievorsprung
  • Entwicklungsressourcen
  • Interdisziplinäre Entwicklung
  • Time-to-market
  • Zulassungsorientierte Entwicklungsprozesse

  • Dokumentation
    Wer einen Entwicklungsdienstleister beauftragt, muss eine Reihe gesetzlicher Auflagen beachten – gerade im Umfeld der Medizintechnik. Beispielhaft erwähnt sei hier Kapitel 21 des Code of Federal Regulations, Teil 11 (bekannt als 21 CFR 11), das das Thema elektronische Datenverwaltung und elektronische Signatur im Rahmen der FDA-Zulassung in den USA regelt.
    Für die Entwicklungsdienstleister ist diese Thematik Alltag, und insbesondere kleinere Hersteller medizintechnischer Geräte können von den Erfahrungen profitieren. Denn die meisten Dienstleister kommen beim Übergang von papierbasierenden zu computergestützten Dokumentationslösungen mit vergleichsweise schlanken Softwareapplikationen aus. Dennoch ist es wichtig, mit dem Entwicklungsdienstleister genau abzustimmen, bei wem etwa datenseitig die so genannten Masterdateien liegen, wer also für die Datenhaltung verantwortlich ist.
    Vor dem Hintergrund der Produkthaftung ist es wichtig, sich hier im Falle des Falles auf die geforderte Rückverfolgbarkeit verlassen zu können. Wer sich erstmals im Umfeld der Medizintechnik bewegt, kann zudem das Know-how rund um das Risiko- und Qualitätsmanagement, auch bekannt unter dem Stichwort GMP (Good Manufacturing Practise), als Beratungsleistung bei den Entwicklungsdienstleistern abrufen.

    Hochschul-Know-how für die Praxis
    Die Aachener Surgitaix AG wurde zunächst als Bindeglied zwischen universitärer Forschung einerseits und der Industrie andererseits gegründet. „Ein Problem war, Ideen der Hochschule so aufzubereiten, dass sich daraus ein marktreifes Produkt entwickeln lässt“, erläutert Vorstand Dr. Frank Portheine. Insbesondere das Risiko- und Qualitätsmanagement – für medizintechnische Geräte ein Muss – sei in einer Hochschule noch nicht etabliert gewesen. „Doch eine gute Entwicklung berücksichtigt dieses Thema von Beginn an: Es ist viel besser, konstruktiv Fehler auszuschließen, als im Nachhinein über Bedienhinweise Probleme beheben zu wollen.“
    Im Laufe der Zeit sei man dann dazu übergangen, Entwicklungsaufträge der Industrie zu übernehmen. Als Entwicklungsdienstleiter haben sich die Aachener auf drei Themen spezialisiert:
    • Softwareentwicklung für die medizinische Bildverarbeitung und deren Operationsplanungssysteme,
    • Elektronikentwicklung, insbesondere von mikrocontrollerbasierten Schaltungen, sowie
    • Berechnung, Konstruktion und Fertigung von mechatronischen Komponenten und Systemen.
    Surgitaix kann in anderen Gebieten auf das Hochschul-Know-how zugreifen. Geht es etwa um Fragen zum Thema Werkstoffe, wissen die Forscher der technischen Disziplinen der RWTH Aachen oft Rat.
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