Um die Chancen der personalisierten Medizin zu nutzen, sollten Medizintechnikhersteller ihr Produktportfolio überprüfen, rät Professor Thomas Schmitz-Rode, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Biomedizinische Technik (DGBMT) im VDE.
Herr Prof. Schmitz-Rode, die personalisierte Medizin bietet den Medizintechnikherstellern neue Chancen. Wo stehen die deutschen Anbieter im internationalen Vergleich?
Alles in allem ist die deutsche Medizintechnik als Technologiegeber prädestiniert dafür, das Thema personalisierte Medizin voranzutreiben und eine Vorreiterrolle einzunehmen. Das leistet sie zu Teilen schon, doch nach oben ist noch viel Luft. So stehen wir im Bereich Personal Health Care bereits sehr gut da. Im Bereich Analytik haben wir eine gute Substanz, allerdings sind einzelne Anbieter in den USA beispielsweise bei der Sequenzierung deutlich weiter.
Was raten Sie den Medizintechnikanbietern?
Sie sollten ihr Produktportfolio auf die Möglichkeiten der Personalisierung hin überprüfen. Beispielsweise: Lässt sich ein One-size-fits-all-Standardprodukt für bestimmte Patientengruppen spezifizieren, um damit die Therapie zu verbessern oder die Interaktion zwischen Mensch und System zu verbessern – um letztlich bessere Ergebnisse zu erzielen? Ich empfehle außerdem den Anschluss an einen der diversen Forschungscluster, die sich jeweils auf ein spezielles Thema fokussieren .
Welche Hindernisse sehen Sie auf dem Weg zu einer personalisierten Medizin?
Es handelt sich um eine Rekombination vorhandener technologischer Elemente. Neu zusammengefügt ergeben sie ein komplexes System, das zunächst erforscht und präklinisch getestet werden muss. Vor der flächendeckenden Implementierung müssen Klinische Studien durchgeführt werden. Die Finanzierung solcher Studien kann für kleinere Unternehmen eine ernste Hürde darstellen.
Ist die personalisierte Medizin schon bei allen Beteiligten des Gesundheitswesens akzeptiert?
Bei Ärzten und Pflegepersonal sehe ich dies sehr wohl. Die Kostenträger stehen allerdings vor neuen Herausforderungen: Denn eine Chemotherapie zum Beispiel, die dank Biomarkern genau auf die Bedürfnisse der Patienten zugeschnitten ist, kostet sehr viel mehr Geld als eine heutige Standardtherapie. Wenn sie das Leben eines Patienten nur um wenige Monate verlängern kann, wird die Frage auftauchen: Lohnt sich das dann? Damit wird eine ethische Diskussion angestoßen, die in anderen Ländern längst geführt wird. In Deutschland trauen sich die Politiker aber noch nicht an dieses heiße Eisen.
Heißt dies, dass sich der primäre Gesundheitsmarkt mit der personalisierten Medizin zunächst schwer tut?
Der zweite Gesundheitsmarkt mit Wahlleistungen der Krankenkassen und individuellen Gesundheitsleistungen der Ärzte wird diese Entwicklungen sicherlich maßgeblich vorantreiben. Es ist zu hoffen, dass der zweite Gesundheitsmarkt den ersten unterstützt. Zum Beispiel dadurch, dass innovative Behandlungsverfahren nach erfolgreicher Erstimplementierung im zweiten Markt auch als Kassenleistung übernommen werden können, wenn sich abzeichnet, dass eine hohe Evidenz für eine Therapieverbesserung gegeben ist.
Sabine Koll Journalistin in Böblingen
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