Woher wir kommen, bestimmt, wie wir die Größe eines Raumes wahrnehmen. Denn unsere kulturelle Prägung scheint unsere räumliche Wahrnehmung zu beeinflussen.
Einen Raum, den nehmen doch alle Menschen gleich wahr. Dachte man bisher. Dazu gab es auch noch keine Studien. Bisher. Denn nun zeigen Aurelie Saulton und ihre Kollegen aus der Abteilung von Prof. Heinrich H. Bülthoff am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen, dass es sehr wohl kulturelle Unterschiede gibt – zumindest bei der räumlichen Volumenwahrnehmung von computergenerierten Räumen: Darin unterscheiden sich zum Beispiel Deutsche und Südkoreaner. Aurelie Saulton kam auf die Idee zu dieser Studie, weil ihr die Unterschiede in der Architektur Europas aufgefallen waren. Stehen in der traditionellen westlichen Architektur die Gebäude eher losgelöst von der Umgebung und basieren auf Symmetrien, haben in Südkorea die Gebäude eine klare Verbindung zu ihrer Umgebung und basieren auf asymmetrischen Strukturen. „Ich überlegte, ob diese architektonischen Unterschiede sich bis zur Wahrnehmung des wirklichen Raumes fortsetzen würden“, erklärt die Forscherin.
Größer oder kleiner?
Für ihre Studie verwendeten sie und ihr Team eine so genannte psychophysische Aufgabe: Die Teilnehmer mussten beurteilen, ob ein rechteckiger Raum größer oder kleiner als ein quadratischer Referenzraum war. Die Forscher variierten dann systematisch die Rechtwinkligkeit (das Tiefen- zu Breiten-Seitenverhältnis) und den Blickpunkt, von dem der Raum betrachtet wurde.
Das Ergebnis: Die Rechtwinkligkeit des Raums und der Blickpunkt hatten bei Südkoreanern deutlich weniger Einfluss auf ihre Raumeinschätzung als bei den deutschen Teilnehmern. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit früheren Vorstellungen, die besagen, dass allgemeine kognitive Verarbeitungsstrategien in ostasiatischen Gesellschaften eher kontextabhängig sind als in westlichen.
Südkoreaner sehen den Kontext
Das heißt, die Deutschen sind in ihrer Wahrnehmung der Größe eines Raumes „eindimensional“: Weil wir meist nur eine einzige Dimension verwenden, die Tiefe, sind wir eher empfindlich für Vorannahmen – denken uns also aufgrund zum Beispiel der Rechtwinkligkeit unseren Teil dazu, statt alle Dimensionen des Raumes zu berücksichtigen.
Welche kognitiven Prozesse den Wahrnehmungs-Strategien genau zu Grunde liegen, wissen die Forscher nicht, weisen aber darauf hin, dass ihre Ergebnisse interessante Fragen über kulturelle Unterschiede bei Wahrnehmungsprozessen von Innenräumen aufwerfen. Wie gestaltet man Räume, die von möglichst vielen Kulturen als angenehm empfunden werden? Ein weit verbreitetes Thema bei der Stadtplanung in Bezug auf Wohnräume und Transport ist ja, wie man das Gefühl von Weitläufigkeit innerhalb eines begrenzten physischen Raumes erzielt. Die Forscher regen an, die Studien am MPI für biologische Kybernetik als Leitfaden bei der innenarchitektonischen Gestaltung zu verwenden, um die Wahrnehmung von Raumgrößen vorherzusagen. Die Forscher nennen als Beispiel auch die internationale Raumstation.
Viel spannender in diesem Zusammenhang könnten aber auch private Bauprojekte werden, wenn ein Haus gebaut werden soll, in dem sich ein asiatisch-europäisches Paar wohlfühlen soll. Vielleicht lässt es sich ja auch in der Schule lernen, (nicht nur) Räume stärker mehrdimensional wahrzunehmen.
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