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Des Widerspenstigen Zähmung

CAM-Software: Wissen zur Kunststoffzerspanung wird praktikabel
Des Widerspenstigen Zähmung

Seit Einführung der CAD/CAM-Software Virtual Gibbs bietet ein Hersteller immer komplexere, fertig bearbeitete Einzel- teile aus Kunststoff an. Auch wenn das Bearbeiten dieses Werkstoffes knifflig ist, kommen die Experten mit dem neuen System schneller voran.

Beim Zerspanen von Kunststoffen zahlt sich die Werkstofferfahrung von Spezialisten aus. Denn Kunststoff neigt in vielen Fällen zu Überraschungen. „Spannungen bewirken, dass das Material sehr stark arbeitet, mehr als Metall oder Holz“, erklärt Winfried Metzner, Fertigungsleiter bei der Marsberger Centroplast Engineering Plastics GmbH. „Man muss bei der Bearbeitung darauf achten, dass Gegenspannungen aufgebaut werden, und das ist nicht immer ganz einfach.“ Auch die Oberflächen erforderten einen fachmännischen Blick. Wenn Werkzeuggeometrien oder Schnittdaten nicht exakt passen, beginnt das Material schnell zu reißen, oft nur sichtbar in einem entsprechenden Lichtwinkel. Die Schnittaufteilung in Vor- und Fertigbearbeitung ist daher besonders wichtig. Wo und wieviel Aufmaß zweckmäßig ist, um dem Material sein allzu reges Eigenleben zu nehmen – darauf verstehen sich der Fertigungsleiter und sein Team.

Ihr Fachwissen allein ist aber nur der eine Teil, denn das Wissen nützt erst dann, wenn es in die Praxis umgesetzt werden kann. Dabei hilft eine neue Software, Virtual Gibbs, die die Kunststoffverarbeiter vor etwa vier Jahren in ihre Fertigung aufgenommen haben.
Neben zahlreichen anderen Werkzeugmaschinen liefern dort derzeit drei moderne Fünf-Achsen-Bearbeitungszentren den Output in der Teilefertigung. Dabei steht die Forderung nach Produktivität den Vergleichswerten aus der Metallverarbeitung in Nichts nach. Da das CAD/CAM-System ein zentrales Prozesskettenglied ist , entschied sich das Unternehmen für die Anschaffung neuer Software. Die Wahl fiel auf der CAD-Seite auf Solid Edge, auf der CAM-Seite auf Virtual Gibbs, die von der Ettlinger Cimatron GmbH angeboten wird.
Im CAM-Bereich wurde zuvor noch manuell programmiert. „Eine zeitaufwendige Angelegenheit, die das Bauteilespektrum sehr einschränkte“, berichtet Mario Franz, der die Technische Arbeitsvorbereitung betreut. Die Nutzung der einzelnen CAM-Module folgte nach und nach. Mario Franz: „Wir begannen mit dem Drei-Achsen-Modul, dann folgten die 3D-Funktionalitäten, vor eineinhalb Jahren kam die Fünf-Achsen-Bearbeitung hinzu.“ Die Multitasking-Bearbeitung auf Dreh-Fräszentren mit stehenden und angetriebenen Werkzeugen ist derzeit in Vorbereitung. Für diesen Maschinentyp gibt es ein spezielles Modul.
Die Erwartungen, welche die Fertigungsverantwortlichen speziell an die CAM-Seite stellten, sind inzwischen erfüllt: Das System öffnete dem Unternehmen neue Märkte. „Komplexe Teile, an die wir uns früher nicht gewagt hätten, sind durch den Einsatz von Virtual Gibbs möglich geworden“, blickt Winfried Metzner zurück.
Der Fertigungsleiter nimmt ein repräsentatives Bauteil aus dem Fundus: eine Bedienkonsole für ein Liquo-Drainagesystem aus der Medizintechnik. Die Konsole aus PET wird in zwei Aufspannungen mit 3+2-Achsen bearbeitet. Dafür braucht es 22 Fräser, Bohrer und Gewindewerkzeuge und insgesamt 42 min.
Mittels Fünf-Achsen-Simultanbearbeitung werden auch schon Bauteile mit Freiformflächen produziert, beispielsweise Laufräder. Aber Teile, die mit 3 Achsen oder 3+2 Achsen hergestellt werden, seien das Tagesgeschäft, bestätigen die Fertigungsverantwortlichen.
Die relative Unberechenbarkeit mancher Kunststoffe macht teilweise kurzfristige Änderungen in der Schnittaufteilung oder Bearbeitungsreihenfolge notwendig. „Das ist mit Virtual Gibbs kein Problem“, bekräftigt Mario Franz, „da Bearbeitungsschritte einfach mit Drag&Drop verschoben werden können.“
Die Programmierung des Vorfräsens ist über eine Aufmaßfunktion gut zu bewerkstelligen. „Das Rohteil wird transparent dargestellt, und wir können das darunter liegende Werkstück in jeder Bearbeitungsphase betrachten und beurteilen“, erklärt der CAM-Spezialist weiter. Auf diese Weise lässt sich leichter entscheiden, wo mehr oder weniger Aufmaß zugegeben werden muss.
Ähnlich einfach erfolgt auch die Programmierung des Entgratens. Entgratet wird mit einem einschneidigen Stichel, der die Kanten abfährt. Diese Entgratwerkzeuge stellt Centroplast selbst her. Bei manueller Programmierung schleichen sich bei diesem Prozess schnell Fehler ein. Das System hingegen vergisst keine Kante und bricht keine Kante über das vorgesehene Maß hinaus.
Auf die Frage, mit was für Werkzeugen Kunststoff eigentlich bearbeitet werde, antwortet der Fertigungsleiter: Überwiegend mit Werkzeugen aus der Aluminiumzerspanung. Es handele sich um Schlichtwerkzeuge, Schruppwerkzeuge blieben außen vor. Wichtig seien hoch positive Schneidengeometrien, scharfe Schneidkanten und große Spanräume. Die Schnittwerte sind übrigens reine Erfahrungssache, Tabellen zum Nachschlagen gibt es nicht, oder sie sind viel zu grob.
Dass Kunststoff immer mehr das Metall als Werkstoff ablöst, hat wohl auch damit zu tun, dass er in ähnlicher Weise „vergütet“ wird wie Stahl. „Kunststoffe lassen sich in vielfacher Weise modifizieren und an spezielle Einsatzbedingungen anpassen“, erklärt Metzner. „Sie lassen sich beispielsweise schmier- oder leitfähig machen, UV-beständig oder mit Glasfasern verstärken.“ Die Simulationsfunktionen des CAD/CAM-Systems Virtual Gibbs unterstützen die Dienstleister auch bei der Kalkulation. „Damit bekommen wir auch bei komplexen Teilen schnell einen Überblick und können zutreffende Aussagen über die Bearbeitungskosten machen“, sagt Metzner.
Richard Laepple Fachjournalist in Tübingen

Ihr Stichwort
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  • Fehlervermeidung

  • Fertige Teile und Halbzeug
    Der Leistungsumfang der Centroplast Engineering Plastics GmbH in Marsberg/Sauerland deckt sowohl die Herstellung technischer Kunststoffe wie auch deren zerspanende Verarbeitung ab. Der Rohkunststoff wird auf teilweise selbst entwickelten Extrusionsanlagen nach dem Strangpress-, Kalandrier- oder Vakuumkalibrierverfahren in seine Ausgangsform gebracht. Die Auslieferung erfolgt als Standardhalbzeug oder nach Kundenangaben vorformatiert. In der Teilefertigung untersuchen die Spezialisten von Centroplast bestehende Konstruktionen auf ihre Machbarkeit oder übernehmen selbst die Auslegung der Bauteile. Etwa 70% des Umsatzes entfällt auf Halbzeug, 30% auf Fertigteile.
    Weitere Infos: www.centroplast.de
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