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Dem Stress auf der Spur

Mikrosysteme: Mobile intelligente Sensoren für Gesundheitsanwendungen
Dem Stress auf der Spur

Stressbedingte Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Burnout gehören zu den teuersten Erkrankungen im Hinblick auf Behandlungskosten und Arbeitsausfall. Am KIT werden am Körper tragbare Sensoren entwickelt, die sowohl Stressbelastung als auch präventive körperliche Aktivität aufzeichnen können.

Herz-Kreislauferkrankungen zählen zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland und den westlichen Industrienationen. Auch bei den Krankheitskosten belegen sie einen unrühmlichen ersten Platz – etwa 15 % der Gesamtkosten gehen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Deutschland auf Krankheiten des Kreislaufsystems zurück. Dabei zeigt sich eine überproportionale Altersabhängigkeit, fast die gesamten Kosten entfallen auf die Altersklasse 60+. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird daher in Zukunft eine weitere Verschärfung des Problems erwartet.

Deswegen ist in den letzten Jahren ein verstärktes Interesse zu beobachten, neue technologische Verfahren für die „Echtzeit“-Erfassung physiologischer Parameter im alltäglichen Umfeld zu entwickeln und einzusetzen. Hier ist vor allem der Bereich der telemedizinischen Systeme zum Monitoring chronischer Erkrankungen, in erster Linie Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, anzuführen. Auch für den Bereich der Stressmessung und der Messung der körperlichen Aktivität sowie der exakten Erfassung des Energieverbrauchs wurden am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mobile Sensoren erforscht und im Rahmen einer Ausgründung zu marktreifen Lösungen weiterentwickelt.
Für die Messung und Bewertung von Bewegung und körperlicher Aktivität werden mikromechanische Beschleunigungssensoren eingesetzt. Diese erlauben es, die Bewegung einer Person in allen drei Raumrichtungen zu erfassen. Am KIT wurde ein Aktivitätssensor entwickelt, der über einen Zeitraum von bis zu zwei Monaten diese Bewegung aufzeichnen kann. In der Analyse der Daten ist es möglich, verschiedene im Alltag vorkommende Bewegungsarten (Ruhe, Gehen, Treppe steigen, Radfahren) zu unterscheiden und basierend auf dieser Klassifikation eine exakte Bestimmung des Energieverbrauchs einer Person vorzunehmen. Diese Funktionen sind entscheidend für den Einsatz eines solchen Systems in der Therapie und Rehabilitation, bei der neben dem Umfang der körperlichen Aktivität, der über den Energieumsatz erfasst wird, auch die Art der Bewegung eine Rolle spielt.
Im Laufe einer Stressbelastung treten eine Reihe unterschiedlicher physiologischer Reaktionen im Körper auf. Für die Auswertung in einem telemedizinischen Stressdiagnose- oder Therapieunterstützungssystem können solche Parameter verwendet werden, die mittels mobiler und nicht-invasiver Sensoren erfasst werden können. Zu diesem Zweck wurde am KIT eine Sensor-Plattform entwickelt, die es erlaubt, Rohdaten der physiologischen Signale zu erfassen und zu speichern, die Daten online auf dem Sensor zu verarbeiten und drahtlos weiter zu übertragen.
Auf Basis dieser Plattform wurde ein Brustgurtsystem realisiert, das leicht, klein und komfortabel ein Langzeitmonitoring des EKG und der körperlichen Aktivität ermöglicht. Aus den Signalen werden online physiologische Merkmale und Kontextinformationen extrahiert und über eine Bluetooth-Schnittstelle an ein Smartphone sowie an eine Analysesoftware auf dem PC übertragen. Die Analyse der Daten aus dem Langzeitmonitoring erlaubt eine objektive Bewertung der Stressbelastung, eine differenzierte Betrachtung verschiedener Belastungsphasen und Ursachen sowie eine Beurteilung der Wirksamkeit von präventiven Interventionsmaßnahmen.
Im Bereich der EKG-Überwachung bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben sich seit vielen Jahren Holter-Systeme mit Klebelektroden etabliert. Diese mobilen Systeme erzielen eine sehr gute Signalqualität und erlauben eine Aufzeichnungsdauer von typischerweise 24 Stunden. Allerdings verursachen die eingesetzten Klebeelektroden Hautirritationen, die eine längere Applikationsdauer verhindern und somit die Aufklärung selten auftretender Rhythmusstörungen oft unmöglich machen.
Eine Alternative bilden implantierbare Loop-Rekorder (ILR), die auf der linken Brustkorb-Seite unter der Haut positioniert werden und mehrere Jahre im Körper verbleiben können. Auffälligkeiten im EKG werden vom ILR automatisch gespeichert und können später ausgewertet werden. Die Vorteile dieser 24/7-EKG-Überwachung wurde in zahlreichen Studien belegt, so wurde bei der Diagnostik von Ohnmachtsanfällen (Synkopen) inzwischen eine Klasse-I-Indikation ausgesprochen. Die Nachteile dieses Systems liegen insbesondere in der Notwendigkeit einer Operation und den hohen Kosten. Dies führt dazu, dass viele Patienten nicht von einem 24/7-Monitoring profitieren können.
Um die Lücke zwischen Holter-EKG und ILR zu schließen, wird seit Jahren an Trockenelektroden geforscht, die eine nicht-invasive EKG Ableitung hoher Qualität bereitstellen, ohne Hautirritationen zu verursachen. Inzwischen hat die Technologie die Reife für den medizinischen Einsatz erreicht. Der am KIT entwickelte EKG-Brustgurt „careMon“ ähnelt den aus dem Fitness-Bereich bekannten Pulsgurten, funktioniert im Gegensatz zu diesen aber auch auf trockener Haut zuverlässig und liefert ein medizinisch verwertbares 3-Kanal-EKG. Neben der Synkopen-Diagnostik ist das Gerät für die Aufklärung von paroxysmalem Vorhofflimmern und zur post-interventionellen Überwachung von Infarktpatienten prädestiniert. In einer sechsmonatigen klinischen Studie konnte neben Praxistauglichkeit, Verträglichkeit und Patienten-Akzeptanz auch die gute Signalqualität des careMon-Systems im Alltagseinsatz bestätigt werden. Mit 99,3 % EKG-Nutzsignalanteil liegt das Ergebnis im Bereich aktueller Holter-Systeme mit Klebeelektroden bei gleichzeitig enorm verlängerten Applikationszeitraum. Im Vergleich zum ILR zeichnet sich die Technologie vor allem durch ihre Wiederverwertbarkeit und die nicht-invasive Anwendung aus. Gerade bei einer mittleren Applikationsdauer von einer Woche bis etwa drei Monaten ist das System den etablierten Technologien überlegen und wird in naher Zukunft das Gerätespektrum in der EKG-Diagnostik ergänzen.
  • Prof. Dr. rer. nat. Wilhelm Stork Leiter Bereich Mikrosystemtechnik, ITIV Dr. Stefan Hey Leiter Forschungsgruppe hiper.campus Dipl.-Ing. Stefan Lamparth Wissenschaftlicher Mitarbeiter, ITIV
  • Weitere Informationen Zum Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und dem Institut für Technik der Datenverarbeitung (ITIV) innerhalb des KIT: www.itiv.kit.edu
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