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Boomender Markt – und doch kein paradiesischer Alltag

Medizin in Arabien: Prof. Hans Schweisfurth über seine Erfahrungen
Boomender Markt – und doch kein paradiesischer Alltag

Boomender Markt – und doch kein paradiesischer Alltag
Prof. Hans Schweisfurth hat beim Aufbau zweier neuer Krankenhäuser in den Vereinigten Arabischen Emiraten mitgewirkt – zuletzt als ärztlicher Direktor am Saudi-German Hospital in Dubai
Große Budgets, ehrgeizige Visionen vom Medizintourismus, lobende Nachrichten aus dem arabischen Raum. Mit welchen Schwierigkeiten das medizinische Personal heute dennoch konfrontiert ist, beschreibt Insider Prof. Hans Schweisfurth.

Herr Professor Schweisfurth, was war Ihre Aufgabe in den Vereinten Arabischen Emiraten?

Als ärztlicher Direktor habe ich unter anderem das notwendige Krankenhauspersonal für das neu errichtete Saudi-German Hospital in Dubai rekrutiert sowie die gerätetechnische und organisatorische Infrastruktur geschaffen. Neben den etwa 30 Fachabteilungen galt es auch, die Pneumologie einzurichten – also mein eigenes medizinisches Fachgebiet.
Wer soll in solchen modernen Einrichtungen behandelt werden?
Zuallererst die einheimische Bevölkerung. Damit meine ich die Araber, deren Gesundheitsaufwendungen der Staat aufgrund seiner Einnahmen aus den Ölquellen vollständig übernimmt, egal, ob sie im eigenen Land behandelt werden oder zu einer Krebstherapie ins Ausland reisen. Von einer Behandlung im eigenen Land verspricht sich der Staat natürlich geringere Kosten. Daher sind private Investoren, die das Gesundheitssystem ausbauen, höchst willkommen und erfahren große Unterstützung. Sie treffen allein mit der arabischen Bevölkerung auf eine stark wachsende Gruppe von Patienten. Und es gibt nach wie vor ein großes Defizit in der Gesundheitsversorgung in dieser Region. In der Region der heutigen Vereinten Arabischen Emirate gab es im Jahr 1970 nur 7 Krankenhäuser. Mittlerweile existieren – immerhin – insgesamt etwa 550 Krankenhäuser und Praxen. Doch für die Investoren ist eben nicht nur die einheimische Bevölkerung interessant. Als weitere zukünftige Zielgruppe für die teuren privaten Kliniken werden die Medizintouristen aus Europa, Afrika und Asien gesehen, die nach einem Ausbau der Leistungen erwartet werden.
Wo werden die Menschen anderer Nationen behandelt, die zum Arbeiten ins Land kommen?
Sofern sie sich die Behandlung in einer privaten Einrichtung nicht leisten können: in den staatlichen Krankenhäusern, die im Allgemeinen technisch gut ausgestattet sind. Allerdings werden von der Bevölkerung die privaten Krankenhäuser bevorzugt, da in ihnen häufig qualifizierte Experten mit westlicher Ausbildung arbeiten. Die privaten Krankenhäuser müssen ihre Leistungen aus den sehr niedrigen Beiträgen der Krankenkassen und über die Zusatzzahlungen der Patienten finanzieren. Demzufolge stehen in den privaten Krankenhäusern selten teure Medizingeräte wie MRT, PET oder Linearbeschleuniger zur Verfügung. Diese Situation betrifft übrigens eine Vielzahl von Menschen. Gegenwärtig sind nur 13 Prozent der 8,26 Millionen zählenden Gesamtbevölkerung Staatsangehörige der VAE. Die übrigen sind Ausländer, von denen zahlenmäßig die Asiaten aus Indien, Pakistan und Bangladesch dominieren.
Unterliegen denn die privaten und staatlichen Kliniken den gleichen Regeln?
Nein, und das ist eine Besonderheit, die manches erschwert. In den Vereinigten Arabischen Emiraten gibt es drei Behörden im Gesundheitsbereich. Das Gesundheitsministerium, das Ministry of Health oder kurz MOH, ist für die staatlichen Krankenhäuser zuständig. Die Dubai Health Authority wiederum ist für private Anbieter zuständig wie das Saudi-German Hospital, an dem ich als ärztlicher Direktor gearbeitet habe. Dann gibt es noch die Free Zone der Dubai Health Care City, die wiederum einer anderen Behörde unterstellt ist. Glücklicherweise ist hier die Bürokratie etwas weniger ausgeprägt.
Worin zeigt sich die Bürokratie?
Alle im Gesundheitswesen Tätigen dürfen nur mit einer zeitlich begrenzten staatlichen Lizenz arbeiten. Diese wird von den verschiedenen Gesundheitsbehörden nach lückenlosem Nachweis der Ausbildung und der Beschäftigungsverhältnisse und einer erfolgreichen staatlichen Prüfung für ein bis zwei Jahre vergeben. Da bei angestellten Ärzten die Lizenzen an den Arbeitgeber gebunden sind und darüber hinaus Sperrfristen gelten, ist ein kurzfristiger Stellenwechsel nicht möglich. Dass solche Vorgaben das Arbeiten erschweren und viele gute Ärzte abschrecken, muss man nicht weiter erläutern.
Wie unterscheidet sich die Arbeit des Mediziners in Europa von der am Golf?
Das europäische Selbstverständnis der Ärzte beruht darauf, dass wir einer Krankheit auf den Grund gehen wollen, ihre Ursachen verstehen und behandeln, um weitere Symptome und Schäden zu verhindern. Ein arabischer Arzt geht meiner Beobachtung nach ganz anders mit seinen Patienten um. Er betrachtet und behandelt die Symptome, sucht aber nicht das lange Gespräch. Patienten, die den Vergleich haben, schätzen unsere andere Arbeitsweise. Allerdings sind die Erwartungen an europäische Ärzte extrem hoch und bei der weniger gebildeten Bevölkerung zuweilen so übersteigert, dass die Behandlung zur Enttäuschung wird.
Woran machen Sie das fest?
Zu mir kamen Patienten, die beschwerliche Kamelreisen durch die Wüste auf sich genommen oder große Summen für Flugreise, Visum und andere Besonderheiten aufgewendet hatten. Sie hofften, dass ein deutscher Arzt sie im modernen Krankenhaus quasi durch eine Spritze heilen könne. Angesichts schwerer Erkrankungen wie Lungenkrebs oder einer fortgeschrittenen Lungenfibrose konnten wir diese Erwartungen natürlich nicht erfüllen. Die Gründe dafür waren aber kaum zu vermitteln.
Sind solche schweren Erkrankungen denn häufig?
In den VAE werden fast 90 Prozent der Todesfälle durch Erkrankungen verursacht, die durch den Lebensstil mit geringer körperlicher Bewegung, hochkalorischer Ernährung und vorwiegendem Aufenthalt in klimatisierten Räumlichkeiten bedingt sind. Die Folge ist, dass Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Krebs, Allergien, Atemwegserkrankungen, Hautkrankheiten und Übergewicht relativ häufig vorkommen. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben weltweit mit die höchsten Erkrankungsraten von Asthma bronchiale, Diabetes mellitus und Mamakarzinom. Durch die starke individuelle Motorisierung und die verkehrstechnisch nicht angepasste Infrastruktur liegen die Raten der Verkehrstoten und Verkehrsunfälle weltweit mit an oberster Stelle. Die Scheichs sehen diese Problematik und versuchen, ihr entgegenzuwirken, doch hat sich diese Sicht noch nicht in allen Köpfen durchgesetzt.
Wie groß ist das Vertrauen der Menschen in das System?
Obwohl die medizinische Versorgung in den letzten Jahren verbessert wurde, lassen sich jährlich viele Einwohner der VAE im Ausland, insbesondere in Deutschland, medizinisch behandeln. Der Grund dafür ist ein immer noch herrschendes Misstrauen in das eigene Gesundheitssystem. Um das zu verändern, bemühen sich die Regierungen der sieben Emirate weiterhin intensiv darum, hoch qualifizierte Gesundheitseinrichtungen im eigenen Land aufzubauen.
Wie schnell geht es damit voran?
Trotz aller neuen Krankenhäuser und Praxen werden in den VAE medizinische Spitzentechnologien nur sehr langsam eingeführt. Obwohl die Nachfrage nach hohem medizinischem Standard aufgrund des wachsenden Wohlstands weiter zunimmt, sind die Vereinigten Arabischen Emirate traditionell späte Anwender hochstehender Medizintechnik und Behandlung.
Welche Geräte sind vor allem gefragt?
Probleme gibt es bei der Krebstherapie, da keine ausreichende Anzahl von Linearbeschleunigern vorhanden ist. Auch fehlen die technischen Einrichtungen und die personelle Infrastruktur für Stammzelltransplantationen.
Würden Sie Ihre medizinische Tätigkeit in dieser Region fortsetzen?
Gerne würde ich in der Region weiterarbeiten, wenn die ärztlichen Lizenzierungen flexibler und nach europäischen Regularien erfolgen würden, da ich selten solch dankbare Patienten wie in den Vereinigten Arabischen Emiraten kennengelernt habe.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Prof. Schweisfurth ist Facharzt unter anderem für Innere Medizin, Pneumologie, Allergologie, Medikamentöse Tumortherapie und Rehabilitationswesen sowie Direktor des Pulmologischen Forschungsinstituts in Cottbus. www.hans-schweisfurth.de Mit medizin&technik hat Prof. Schweisfurth auch über die Kriterien für die Auswahl der Ausstattung in den modernen Kliniken gesprochen. Das entsprechende Interview ist in der Februar-Ausgabe der Fachzeitschrift medizini&technik erschienen.
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