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Blinde sehen, Lahme gehen

Mechatronik: Medizintechnik an den Grenzen des Möglichen
Blinde sehen, Lahme gehen

Es ist ein einschneidendes Erlebnis, wenn man das Augenlicht verliert. Umso größer ist jetzt die Hoffnung, die sich ein Teil der Erblindeten mit noch erhaltener Netzhaut machen können. Aktuell wird an einem Chip geforscht, der es ihnen ermöglichen soll, wieder sehen zu können.

In der Implantatmedizin kommen immer mehr elektrisch aktive Implantate zum Einsatz, die Körperfunktionen überwachen oder stimulieren. Sensoren messen Augen- und Hirndrücke, und Implantate stimulieren erblindete Netzhäute sowie verschiedene Hirnregionen (visueller Cortex, Hirnstamm). Ein Beispiel dafür ist das von 1995 bis 2008 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt „Entwicklung implantierbarer Sehprothesen“.

Für den Erfolg einer solchen Prothese sind Sehqualität und Langzeitstabilität von größter Bedeutung. Deshalb war es erst einmal notwendig, grundlegende Fragen der drahtlosen Energieversorgung und Qualität des Chips zu klären, denn bei solch einem anspruchsvollen Implantat dreht sich vieles um die Integration sensorischer oder aktorischer Funktionen. Um eine lange Haltbarkeit, insbesondere der Oberfläche, sicherzustellen, wurden alle Funktionselemente so gewählt, dass sie biokompatibel sind und auch über lange Zeit stabil bleiben. Ein Implantat mit Chip, welches ins Auge eingesetzt wird, benötigt eine mechanisch flexible Schutzschicht gegen die korrosive Körperflüssigkeit. Da die Oberfläche der Schutzschichten gleichzeitig die Schnittstelle zwischen Implantat und Gewebe darstellt, muss sie auch ein optimales Einwachsen ermöglichen. Eingesetzt werden dünne Schichten, die eine flächige Mikrostruktur besitzen oder als flexible Mikroleitungen ausgeführt sind.
Eine Lösung für die Verkapselung der Implantate besteht darin, absolut wasserdampfundurchlässige und damit DC-korrosionsstabile Implantatbeschichtungen zu entwickeln. Diese Verbundschichten bestehen aus nanogradierten Multilayer-Wechselschichten verschiedener Polymere sowie anorganischen Schichten. Um für das Implantat einen möglichst hohen Dichtheitswert zu erreichen, werden wechselnde Mehrfachschichten aufgebracht. Damit geht man sicher, alle Pinholes zu verschließen. Denn es wäre sehr unwahrscheinlich, dass diese winzigen Löcher verschiedener Schichten direkt übereinander liegen und somit eine durchgehende Defektstelle bilden. Die versetzten Nanodefekte und dazwischenliegenden Kunststoffschichten verlängern die Diffusionswege und erhöhen somit die Dichtheit.
Bisher liefen die Arbeiten zu diesem Retina-Chip bei der Retina-Implant AG und am NMI Reutlingen sowie mit anderen Forschungspartnern. Der Hochschulcampus Tuttlingen wird aber in Zukunft im Rahmen einer vertraglichen Kooperation zwischen dem NMI Reutlingen und der Hochschule Furtwangen über studentische Arbeiten an der Thematik „Oberflächenbeschichtungen für intelligente Implantate“ mitarbeiten. Professor Dr. Volker Bucher ist zu 50 % Leiter der Arbeitsgruppe Mikromedizintechnik und Oberflächentechnologien am Reutlinger NMI und zu 50 % Professor für Oberflächentechnologien in der Medizintechnik im neuen Studiengang „Industrial Materials Engineering“ am Hochschulcampus Tuttlingen der Hochschule Furtwangen. Am NMI forscht er im Gebiet wasserdampfdichte Barriereschichten für intelligente Implantate. Dazu gehört auch die Entwicklung und Evaluierung von geeigneten biokompatiblen Trägersubstraten, die als flexible elektronische Systeme in den Körper implantiert werden können und lange Jahre funktionsfähig bleiben.
Abgesehen von der Erfüllung des Traums, dass manche Blinde wieder sehen können, ist dies eine Entwicklung auf dem Gebiet der „intelligenten Implantate“. In der Epilepsie-Diagnostik wird momentan beispielsweise an Implantaten geforscht, welche direkt Kontakt mit dem Gehirn haben. Weltweit wird derzeit untersucht, wie man biokompatible Schichten herstellen kann, die solche Implantate mit integrierter Elektronik gegen die Körperflüssigkeit schützen können. Die besondere Herausforderung dabei ist, dass diese Schichten dünn und flexibel sein müssen. Der Grund dafür ist, dass die Implantate biegsam sein sollen, um sich den Organformen und den Bewegungen anpassen zu können. Auch allgemeine Themen der Energieeinkopplung und Signalübertragung (Telemetrie) werden in diesem Zusammenhang bearbeitet. Die Ergebnisse dieser Forschungen werden für diesen Zukunftszweig der Medizintechnik, dem eine große Bedeutung vorausgesagt wird, von entscheidender Bedeutung sein.
Ingenieure, die solche Leistungen vollbringen, werden im Studiengang Industrial Systems Design ausgebildet. In diesem Studium verschmelzen die technischen Disziplinen Mechanik, Elektrotechnik, und Informatik. Mechatronik basiert auf breitgefächerten Grundlagen aus den Ingenieurwissenschaften, wie Mathematik, Physik und Werkstofftechnik. Die Vertiefung in den höheren Semestern ermöglicht zukünftige branchenübergreifende Tätigkeiten. Fragen der Systemintegration und der industriellen Kommunikationstechnik spielen während des Studiums eine besondere Rolle. Studienschwerpunkte sind zwangsläufig die Automatisierungstechnik, Antriebstechnik, Sensorik sowie die Digital- und Robotertechnik. Der Studiengang Industrial Systems Design (Mechatronik) ist neben Industrial MedTec (Medizintechnik), Werkstofftechnik (Industrial Materials Engineering), Industrial Manufacturing (Fertigungstechnik) und Industrial Virtual Engineering (Simulation und Ingenieurmathematik) einer von fünf Bachelor-Ingenieurstudiengängen am Hochschulcampus Tuttlingen.
Nahezu jedes technische Produkt ist heute mit elektromechanischen Systemen versehen. Ein Ingenieursstudium ist anspruchsvoll und verlangt eine Begeisterung für Mathematik und Technik. So muss sich der Studienanfänger vor allem in den ersten Semestern mit abstrakten Themen aus der Mathematik oder der „trockenen“ Theorie aus der Mechanik, Elektrotechnik oder Informatik auseinandersetzen. Sind die Grundlagen aber erst einmal gelernt, starten die eigentlich interessanten Aufgaben. Bereits Studenten im Hauptstudium können sich auf spannende Projekte auch in Zusammenarbeit mit der Industrie freuen. Die Karrierechancen für Mechatronik-Ingenieure sind derzeit exzellent, gehören sie doch zu einer der gefragtesten Ingenieurgruppe mit hervorragenden Zukunftsaussichten.
Svenja Bödecker Journalistin in Stuttgart
Weitere Informationen Zum Hochschulcampus Tuttlingen der Hochschule Furtwangen und den Studiengängen: www.hfu-campus-tuttlingen.de
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