Startseite » Allgemein »

Bioglas gefällt den Zellen

Lasersintern: Von CT-Daten zum zellverträglichen, individuellen Implantat
Bioglas gefällt den Zellen

Stattet man den neuen Werkstoff mit einem bioaktiven Füllstoff aus und passt den technischen Prozess des Lasersinterns an den neuen Werkstoff an, so lassen sich in kurzer Zeit individuelle Implantate herstellen. Wachsende Knochenzellen reagieren gut darauf.

Spendergewebe oder ein individuelles, additiv gefertigtes Implantat: Diese Frage stellt sich heute bei der Behandlung von Kopfverletzungen, bei denen großflächige Schäden am Knochen entstehen. In einem gemeinsamen Projekt haben Wissenschaftler der Universität Erlangen untersucht, wie sich ein individuelles dreidimensionales Implantat durch Lasersintern eines Polymers herstellen lässt und wie menschliche Zellen darauf reagieren.

Ein Schwerpunkt der Arbeiten war es, den Sinterprozess, in dem der Hochleistungsthermoplast PEEK verarbeitet wird, zu modifizieren: So sollte sich ein anatomisch individuelles Implantat auf der Basis eines CT-Datensatzes anfertigen lassen. Dabei testeten die Projektpartner verschiedene Zusätze zum Werkstoff, die sowohl die wachsenden Knochenzellen positiv beeinflussen sollten als auch die Verarbeitbarkeit des Pulvers verbesserten.
Bisher wurden Polymerimplantate mit individuellen Geometrien durch Spritzgießen oder Fräsen hergestellt. Beides erfordert relativ viel Zeit und verursacht hohe Kosten. Das Lasersintern ist dem gegenüber eine schnelle, werkzeugfreie Technologie, mit der komplexe, hinterschnittene Einzelteile automatisiert gefertigt werden können.
Für die Versuche wurde eine Lasersinteranlage vom Typ Eosint P 380 der Krailinger EOS GmbH so modifiziert, dass eine höhere Vorheiztemperatur erreicht wurde. Als Vorlage zum Lasersintern diente ein Dicom-Datensatz, der digital vom 2D-Format in ein 3D-Modell umgewandelt, segmentiert sowie in das STL-Format konvertiert wurde.
Bei allen Polymer-Implantaten ergibt sich in vivo jedoch die Problematik der bindegewebigen Einkapselung. Diese körpereigene Abwehrreaktion verhindert eine sichere knöcherne Verbindung zwischen Implantat und umgebenden Knochen. Knochenersatzkeramiken wie Bioglas und gesintertes Hydroxylapatit hingegen gehen einen direkten Kontakt mit dem umgebenden Knochen ein, ohne die Bildung einer bindegewebigen Zwischenschicht. Diese Werkstoffe sind jedoch sehr spröde und daher wenig biegebelastbar. Eine Kombination bioaktiver Keramiken mit PEEK könnte für Implantate also interessant sein.
Daher wurden Zelltestkörper aus PEEK-Pulver 150 PF der britischen Victrex Plc. hergestellt. Zum Auftragen einer gleichmäßigen, dünnen Pulverschicht mit einer Höhe von 150 μm war es nötig, das Pulver auf Korngrößen kleiner als 63 μm zu sieben. Aufgrund der Partikelgeometrie und der breiten Korngrößenverteilung zeigte das kommerziell verfügbare Pulver aber eine schlechte Rieselfähigkeit, was nachteilig für die gewünschten homogenen Pulverschichten ist. Die Zugabe von Carbon als Trockenschmierstoff verbesserte die Rieselfähigkeit. Erst durch diesen Schritt konnten komplexe Bauteile wie ein Jochbogen-Implantat via Lasersintern generiert werden.
Als bioaktive Füllstoffe kamen darüber hinaus ß-TCP und geschmolzenes und im Anschluss gemahlenes Bioglas zum Einsatz. Beide wurden zu 10 Gewichtsprozent in das PEEK/Carbon-Pulver eingemischt. Das beeinträchtigte weder die Rieselfähigkeit noch die Verarbeitung in der Sinteranlage.
Die biologische Reaktion in der Zellkultur wurde mit Probenkörpern aus reinem PEEK, PEEK mit 1 % Carbon sowie PEEK mit 1 % Carbon und 10 % ß-TCP untersucht. Ebenfalls getestet wurde PEEK mit 1 % Carbon und 10 % Bioglas. Für reines PEEK gibt es keine Hinweise auf eine Zytotoxizität in vitro. Auch der Zusatz von Carbon änderte daran nichts. Auf den ß-TCP-haltigen Proben wuchsen die Osteoblasten hingegen schlechter. Auf den Probenkörpern mit Bioglas-Anteil gediehen die Osteoblasten aber sogar besser als auf reinem PEEK.
Somit lassen sich nach dem beschriebenen Verfahren komplexe, anatomisch individuelle PEEK-Implantate herstellen. Wenn man die Datenverarbeitung modifiziert, bleibt das Verfahren nicht auf CT-Daten beschränkt. Ebenso können Implantate aus Datensätzen von bildgebenden Verfahren wie der Positronen-Emissions-Tomographie (PET), 3D-Ultraschall-Bildgebung oder der Magnetresonanz-Tomographie generiert werden.
Dr. Dirk Pohle, Dr. Cornelius von Wilmowsky Universität Erlangen Thomas Rechtenwald, Bayerisches Laserzentrum, Erlangen
Weitere Informationen Eine ausführliche wissenschaftliche Veröffentlichung zu den beschriebenen Arbeiten stellt Thomas Rechtenwald auf Anfrage zur Verfügung. E-Mail: t.rechtenwald@blz.org

Ihr Stichwort
  • Polyetheretherketon (PEEK)
  • Lasersintern
  • Bioglas-Zusatz
  • Carbon-Zusatz
  • Knochenersatzmaterial

  • PEEK in der Medizin
    Aufgrund seines Eigenschaftsprofils hat der Werkstoff Polyetheretherketon (PEEK) in der Medizintechnik an Bedeutung gewonnen. PEEK ist ein semikristalliner Hochtemperaturthermoplast. Seine Elastizität ist mit der des menschlichen Knochens vergleichbar. Dadurch kann die Körperreaktion des Stress-Shieldings – also das Einkapseln eines Fremdkörpers – nach Implantation vermieden werden. PEEK weist sehr gute mechanische Eigenschaften auf, zeigt eine hohe chemische Resistenz und damit Langzeitbeständigkeit gegenüber Körperflüssigkeiten sowie eine hohe Strahlen- und Verschleißbeständigkeit. Daher ist dieser Werkstoff als Knochenersatzmaterial für den Bereich der rekonstruktiven Chirurgie gut geeignet. Ein weiterer Vorteil von PEEK liegt in der problemlosen Sterilisierbarkeit und seiner Biokompatibilität.
Aktuelle Ausgabe
Titelbild medizin technik 1
Ausgabe
1.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Titelthema: PFAS

Medizintechnik ohne PFAS: Suche nach sinnvollem Ersatz

Alle Webinare & Webcasts

Webinare aller unserer Industrieseiten

Aktuelles Webinar

Multiphysik-Simulation

Medizintechnik: Multiphysik-Simulation

Whitepaper

Whitepaper aller unserer Industrieseiten


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de