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Bevor die Nadel sticht

Entwicklung: Kunststoff-Stechhilfen für Diabetiker anwenderfreundlich gestalten
Bevor die Nadel sticht

Stechhilfen können deutlich anwenderfreundlich gestaltet werden, ist das Ergebnis einer Entwicklungsstudie der Murrplastik Medizintechnik GmbH. Gemeinsam mit einem Projektteam hat das Unternehmen systematisch Recherche und Entwicklung bis zur Konzeptentwicklung betrieben.

Vor einem Jahr kam es zum ersten Kontakt zwischen der Murrplastik Medizintechnik GmbH und einem namhaften Hersteller von Blutzuckermessgeräten, der auf der Suche nach einem Entwickler und Hersteller der dazugehörigen Stechhilfe war. Die Murrplastik Medizintechnik GmbH nahm Kontakt auf mit dem Diabeteszentrum in Bad Mergentheim und sprach mit den Verantwortlichen, die den Umgang mit Stechhilfen ihren Patienten tagtäglich vorführen. Es wurde ein Fragebogen generiert, in dem die Anwender ihre Erfahrungen mit Stechhilfen beschreiben sollten.

Das Ergebnis zeigte, dass es bei allen Stechhilfen noch Verbesserungspotenzial gibt. Damit konnte ein Lastenheft geschrieben werden. Wichtig ist in erster Linie die schmerzfreie Anwendung, gefolgt von der einfachen Handhabung. Die Stechtiefe soll einstellbar sein, der Lanzettenwechsel einfach. Auf ein Lanzettenwechselmagazin wird kein Wert gelegt. In der Regel werden die Lanzetten verwendet, bis die Abstumpfung zu einem erhöhten Schmerzpotenzial führt. Der Zeitraum kann zwischen wenigen Tagen und einigen Wochen liegen.
Anhand des Lastenheftes haben die Entwickler dann alle auf dem Markt befindlichen Stechhilfen analysiert und dokumentiert. Hier fällt auf, dass auf Ergonomie und Haptik sehr wenig Wert gelegt wird. Die „Anfassqualität“ der Produkte ließ zum großen Teil sehr zu wünschen übrig. Als drittes Element wurde eine Patentrecherche durchgeführt, um festzustellen, welche Lösungen in naher Zukunft auf den Markt kommen werden. Fazit der gesamten Untersuchung: Stechhilfen können durchaus anwenderfreundlicher gestaltet werden.
Mittlerweile hatte der Hersteller der Blutzuckermessgeräte seine Suche nach einer eigenen Stechhilfe terminlich geschoben. Die Entwickler der Murrplastik Medizintechnik haben aber die Entscheidung getroffen, hier nicht abzubrechen, sondern ohne einen konkreten Kunden in die Entwicklung einer innovativen Stechhilfe einzusteigen.
Ein Projektteam wurde gebildet, das Lastenheft verabschiedet und anschließend das Produkt über eine Funktionsanalyse in seine Funktionen zergliedert. Über einige Brainstorming-Sitzungen wurden dann für die einzelnen Funktionen, die möglichst abstrakt beschrieben waren, Wirkprinzipien gesucht. Diese wurden dann in einen morphologischen Kasten eingetragen und daraus Konzepte generiert, die anschließend gegeneinander und gegen die aktuell auf dem Markt befindlichen Ausführungen bewertet wurden. Das Ergebnis zeigte, dass drei Konzepte den heutigen Ausführungen überlegen sind:
  • Konzept 1 (federgesteuertes System) Dies entspricht den heute geläufigen Systemen, bei denen eine Feder in Nadelrichtung vorgespannt wird. Beim Auslösen schießt die Nadel aus dem Gehäuse, dabei überschwingt die Feder und überdehnt sich, zieht sich dann wieder in das Gehäuse zurück und bleibt kräftefrei in der 0-Lage stehen. Dieses System funktioniert nur bei möglichst reibungsfreier Bewegung der Nadel inklusive ihrer Aufnahme. Dies kann aber nur durch Spiel im System erreicht werden mit dem Nachteil, dass die Nadel beim Eintritt in die Fingerkuppe zur Vibration neigt, was vom Anwender als sehr unangenehm empfunden wird. Vermeidet man dies durch eine bessere Führung, erhöht sich die Reibung im System. Dann bleibt die Nadel in der Fingerkuppe stecken. Um nun dies wiederum zu vermeiden, wird eine zweite Feder eingesetzt, die gegenläufig zur ersten sitzt, zusammen mit dieser gespannt wird, dann aber erst zur Auslösung kommt, wenn die Nadel komplett ausgefahren ist und diese in die Nullstellung zurückdrückt. Die Produktentwicklung wurde aber zum Patent angemeldet. Das Projektteam plant, das Konzept bis zu einem ersten funktionsfähigen Prototypen weiterzuentwickeln. Dieser Schritt soll im Herbst 2009 abgeschlossen sein.
  • Konzept 2 (kurvengesteuertes System) Kurvengesteuerte Systeme sind auf dem Markt ebenfalls erhältlich. Dieses System ist grundsätzlich dem federgesteuerten System überlegen, da die Bewegung zwangsgeführt ist und sie dadurch erlaubt, den Bewegungsablauf beliebig zu gestalten. Allerdings sind die herkömmlichen Produkte sehr komplex aufgebaut, speziell das Spannsystem. Hier kann mit dem Ziel, ein robustes Produkt zu erhalten, einiges vereinfacht werden, wenn das Spannen über eine Kurvenscheibe erfolgt, die sich in Achsrichtung der Nadel bewegt. Wenn nun auch noch zum Spannen diese Bewegungsrichtung genutzt wird, und der Anwender nur ein Spannelement mittig durch Rotation bewegen muss, dann wird ein einfaches System erreicht.
Dieses Konzept wurde bislang am weitesten vorangetrieben. Eine erste Konstruktion wurde bereits erstellt (mit CAD-Modellen und Zeichnung), der Bewegungsablauf konnte anhand einer Computeranimation simuliert, die Federn ausgelegt und die Kräfte mit Hilfe der Finite-Elemente-Berechnung auf Zulässigkeit berechnet werden. Wichtig sei es auch, dass das Produkt selbsterklärend ist, so das Unternehmen. Anschließend erfolgte die Materialauswahl, wobei sich die Murrplastik Medizintechnik GmbH auf FDA- zugelassene Materialien beschränkt hat. Die Herstellbarkeit der Teile wurde mittels Moldflow-Verfahren simuliert und nachgewiesen. Letztendlich wurde ein erster Prototyp mittels SLS-Verfahren hergestellt. Dieses Wirkprinzip wurde ebenfalls zum Patent angemeldet. Auf diesem Stand wird die Entwicklung nun allerdings eingefroren, bis sich ein Vermarkter für dieses Produkt gefunden hat.
Konzept 3 (Skalpellsystem) Während Konzept 1 und 2 das vorhandene Prinzip beibehalten, bei der die Verletzung durch eine Nadel zugefügt wird, die in Achsrichtung in die Fingerkuppe eindringt, versucht Konzept 3 neue Wege zu gehen: Mittels eines Skalpellschnittes wird eine Öffnung in die Fingerkuppe geritzt. Dieses Verfahren hat möglicherweise den Reiz, weniger schmerzhaft empfunden zu werden. Hierzu hat das Projektteam einige Skizzen über den Bewegungsablauf erstellt, bei dem eine Schneide einer Kurvenbahn folgend aus dem Gerät aus- und wieder eintritt und sich dabei auch noch seitlich bewegt, um eine schneidende Bewegung zu erzeugen.
An dieser Stelle wurde die Entwicklung allerdings eingefroren, da zunächst Studien über die Schmerzempfindung verschiedener Bewegungsabläufe notwendig sind, die zur Festlegung der Bewegungskurve führen sollen. Erst dann kann die reine kunststoffgerechte Ausgestaltung des Produktes gestartet werden.
Lutz Scharf-Martini Murrplastik Medizintechnik GmbH, Oppenweiler

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