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Besser vernetzt

Projekt Ornet: Herstellerübergreifende Kommunikation zwischen IT und Medizingeräten
Besser vernetzt

Die herstellerübergreifende Vernetzung von Medizingeräten und IT-Systemen in OP und Klinik strebt das Projekt Ornet an. Doch die Industrie ist etwas ratlos. Sie befürchtet, Standards zu entwickeln, die niemand haben will – und fordert deshalb die Anwender auf, sich an der Diskussion zu beteiligen.

„Eigentlich ist alles ganz einfach: In den Kliniken wollen wir bei Bedarf alle Daten von Patienten von jedem beliebigen Gerät von jedem beliebigen Hersteller abrufen können – und zwar vom Zeitpunkt seiner Einlieferung bis zu seiner Entlassung“, sagt Dr. Michael Czaplik, Sektionsleiter Medizintechnik an der Klinik für Anästhesiologie der Uniklinik der RWTH-Aachen. „Davon sind wir heute aber noch weit entfernt, da wir im Krankenhaus und OP sehr viele unterschiedliche Rollen, Geräte und IT-Systeme haben, die nicht miteinander vernetzt sind, sodass viele Daten manuell von einem System ins andere eingegeben werden müssen.“

Auf einer Veranstaltung des VDI während der Medica 2013 in Düsseldorf machte Czaplik am Beispiel eines Patienten während dessen Aufenthalts in einem Krankenhaus deutlich, wo es genau klemmt: Kommt der Patient in der Notaufnahme, wird ein Notarztprotokoll erstellt. „Dies erfolgt entweder analog oder digital. Ganz gleich wie, es handelt sich um eine Insellösung; die Daten können also nicht innerhalb der Klinik weitergeleitet werden.“ Der Patient kommt in der Radiologie an. „Hier ist die Vernetzung bereits relativ weit fortgeschritten, aber es handelt sich um proprietäre Lösungen“, so Czaplik. Im OP wiederum finden sich sehr viele Geräte-Standalone-Lösungen: Infusionspumpen, Sauger, Patientenwärmesystem, Geräte für Elektrophysiologie… Eigenständige IT-Systeme wie KIS (Krankenhaus-Informationssystem), PACS (Bilddatenarchivierungs- und Kommunikationssystem) liefern Daten über den Patienten. „Und die Anästhesie schreibt alle Werte auf Papier auf“, so Czaplik. Auf der Intensivstation schließlich gibt es weitere Standalone-Geräte wie Patientenmonitore, Dialysegeräte oder Diffusoren. Sie zu verbinden, erfordert hohen Aufwand.
Die Experten auf der Veranstaltung waren sich einig: Czapliks Skizzierungen sind typisch für den deutschen Alltag in Krankenhäusern. „Wir sind in einer Sackgasse angekommen“, sagte Dr. Georg Heidenreich, Manager für Healthcare IT Standards bei Siemens. „Einzelne Hersteller sind nicht in der Lage, für eine Vernetzung zu sorgen. Die Radiologie nutzt heute andere Standards als die Stationen oder die Labore. Hinzu kommt, dass viele IT-Protokolle aus der Consumerwelt wie USB oder Zigbee in die Medizintechnik vorstoßen. Deswegen brauchen wir eine herstellerübergreifende Verantwortung.“
Mit Ornet ist diese auf den Weg gebracht: Das von der Bundesregierung geförderte Projekt vereint in mehreren Teilprojekten sehr viele Hersteller, Forschungsinstitute und Verbände unter einem Dach. Ziel ist es, zertifizierbare, dynamische und herstellerunabhängige Vernetzungsmöglichkeiten für bestehende und zukünftige Geräte zu entwickeln. Dies betrifft Medizingeräte, Medizinsoftware und Krankenhausinformationssysteme. Voraussetzungen und Herausforderungen zugleich sind: Die Patientensicherheit muss gewährleistet sein. Und es muss sichergestellt sein, dass die Systeme frei von Schadsoftware und Viren sind. Kein leichtes Unterfangen in solch komplexen und vernetzten Umgebungen. Denn bereits das Aufspielen eines Sicherheits-Updates kann dazu führen, das die Zulassung eines Geräts dadurch in Frage gestellt ist.
Aus Sicherheitsgründen wurde im Projekt daher eine Trennung zwischen dem Klinik-Netzwerk und dem lokalen OP-Netzwerk geschaffen. Für den Übergang zwischen den beiden Welten wird die Middleware Open Surgical Platform (OSP) realisiert. OSP ist gleichzeitig ein Gateway für den sicheren Datenaustausch und stellt Dienste zur Interoperabilität zur Verfügung. Für letzteres wird im Rahmen von Ornet das standardisierte Kommunikationsprotokoll Open Surgical Communication Protocol (OSCP) entwickelt. Damit die Medizingeräte herstellerübergreifend miteinander kommunizieren können, wird es außerdem einen Medizinprodukte-Konnektor geben, der die unterschiedlichen Schnittstellen und Protokolle unterstützt und die oft herstellerspezifischen Kommunikationsschnittstellen kapselt. Mit Informationssystem-Konnektoren sollen Systeme wie KIS, PACS oder OP-Planung schließlich angeschlossen werden können.
Die Normungs-Roadmap mit einem Beispiel-Use-Case liegt mittlerweile vor. Und auch die grundlegenden technischen Details sind geklärt. „Ich bin begeistert von dem Anspruch, den Ornet erhebt“, betont Heidenreich. „Wir benötigen Ornet. Doch es geht nicht so recht vorwärts“, stellt Professor Dr. Björn Bergh fest, Direktor des Zentrums für Informations- und Medizintechnik (ZIM) am Universitätsklinikum Heidelberg. Er ist einer der Projektkoordinatoren und kennt auch die Gründe für das Stocken in dem ehrgeizigen Projekt: „Wir brauchen Anwender bei der Standardisierung – doch meine Hypothese lautet: Diese verstehen im Grunde gar nicht, worum es geht, weil das Thema sehr komplex ist.“ Auch er wünscht sich, „dass es Plug- und Play-fähige Geräte gibt, die sich problemlos vernetzen lassen. Doch so lange es solche am Markt nicht gibt, können die Kliniken sie nicht ausschreiben“. Das Henne-Ei-Problem.
Die Industrie wünscht sich allerdings mehr Rückendeckung von Seiten der Anwender: „Wir wissen manchmal nicht so genau, in welche Richtung wir laufen sollen“, sagte Stefan Schlichting, der den Fachverband Spectaris während der Veranstaltung in Düsseldorf vertrat. Alfons Rathmer, BVMed, geht sogar noch einen Schritt weiter: „Die Industrie ist seit Jahren in Vorleistung gegangen bei diesem Projekt. Die Ernsthaftigkeit der Anwender ist nun gefragt: Wollen sie solche Standards wirklich?“ Um Standards kommt man nach Ansicht des IT-Branchenverbands Bitkom nicht herum: „Die IT konnte sich erst durch Standards so rasend schnell entwickeln“, betont Pablo Mentzinis, Leiter des Bereichs Public Sector. „Die Standardisierungskriege der IT-Hersteller zeigen aber auch, dass in diesem Bereich auch nicht alles glimpflich verlaufen ist. Die Frage ist ja immer: Wer legt die Standards schließlich fest?“
Ob mit oder ohne Standards – diskutiert wird auch der evidenzbasierte Nutzen der Vernetzung. „Der Nutzen ist schwer belegbar“, stellt Matthias Meierhofer vom Bvitg fest. „Denn es ist unklar, ob wir dadurch gesündere Patienten haben.“ Bergh kontert: „Bei der Einführung von E-Mail hat auch niemand einen Use Case berechnet, die Vorteile waren offensichtlich. Und dies ist auch hier so: Der Patient profitiert ganz klar davon, wenn der Anästhesist nicht wie ein achtarmiger Oktopus im OP steht und durch die Vielfalt an zu überwachenden Systemen Fehler macht. Ich würde mich als Patient auch wohler fühlen, wenn alles interoperabel wäre. Lasst es uns also für uns alle tun.“
Sabine Koll Journalistin in Böblingen

BMBF-Leuchtturmprojekt
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert Ornet als Leuchtturmprojekt bis Ende 2015 mit einem Gesamtbudget von 18,5 Mio. Euro, wovon rund 15 Mio. Euro aus Bundesmitteln gefördert werden. 50 Projekt- und 20 assoziierte Partner bilden ein interdisziplinäres Konsortium. Es besteht aus klinischen Anwendern und Betreibern, Wissenschaftlern, Herstellern und regulierenden Stellen.
Als wichtigste Systemanforderungen von klinischer wie auch technischer Seite wurden definiert:
    • die Erweiterbarkeit zur Laufzeit (Dynamik) durch Hinzufügen weiterer Medizingeräte mit nur minimalem Konfigurationsaufwand
    • eine vereinfachte Ergonomie für den Anwender
    • eine detaillierte Dokumentation durch Protokollierung von Alarmen
    • die zentrale Fernsteuerung definierter Funktionen von Medizingeräten
    • eine präoperative Verteilung von Patientenstammdaten auf Medizingeräte

Ihr Stichwort
    • Vernetzung
    • Standardisierung
    • Evidenzbasierter Nutzen
    • Teilnahme von Anwendern
    • Plug and Play
    • Leuchtturmprojekt
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