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Behandeln ohne Konsequenzen

Ausbildungssimulator: Angehende Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgen nutzen das CompactRio-System
Behandeln ohne Konsequenzen

Die Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Klinikum rechts der Isar der TU München ist neben der Patientenversorgung auch im Bereich der medizinischen Ausbildung engagiert. Studenten lernen hier das Behandeln mit Hilfe von Ausbildungssimulatoren – ohne Konsequenzen für den Patienten.

Für die Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie an der Münchner Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie wurde ein neuer Ausbildungssimulator entwickelt, der Kaukraftverläufe auf ein osteosynthetisch versorgtes Modell eines Unterkiefers wirken lässt. Dabei unterziehen Studenten plattenosteotomierte Kiefermodelle einem Dauertest von einigen tausend Kauzyklen und analysieren am Ende die eventuell aufgetretenen Schäden – zum Wohle des Patienten.

Um Implantate aus klinischer Sicht zu verbessern, wird so ein Prüfsystem benötigt, das die dynamische Prüfung des Verbunds Kiefer-Implantat ermöglicht und Werte zur Charakterisierung der Dauerfestigkeit ermittelt. Schließlich stehen die Knochenqualität sowie die Anatomie des Patienten und der beschränkte Bauraum dem Wunsch nach großer Dimensionierung des Implantats zur Erhöhung der mechanischen Sicherheit entgegen. Und versagt das Implantat im Patienten, wird eine Revision nötig, welche den Patienten belastet und hohe Folgekosten verursacht.
Die Hauptanwendung des Trainingssimulators ist daher die medizinische Ausbildung von Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgen. Hier soll die theoretische Ausbildung erweitert werden, in dem versorgte Unterkiefermodelle im praktischen Umfeld getestet werden.
Erfolgreiche Projekte mit Anteilen aus den Disziplinen Mechanik, Elektronik und Software, kurz Mechatronik, setzen aber ein abgestimmtes Vorgehen voraus. Im Fall des realisierten Ausbildungssimulators wird das Vorgehensmodell Quality-Gate-Konzept als Hilfestellung verwendet, um die Projektphasen sowie die Fortschrittsberichte der Einzeldisziplinen darstellen zu können. Dieser Abgleich ist mit geringem Aufwand möglich und minimiert das Risiko von fehlgelenkten Entwicklungen zwischen den Einzeldisziplinen.
Auf Seiten der Mechanik kommt für die zyklische Krafteinleitung eine Hydraulikanlage zum Einsatz, die Kräfte bis 400 N pro Achse applizieren kann, da bei der kleinflächigen Nahrungszerteilung die Kräfte in Abhängigkeit ihrer Lage zwischen 200 N (Schneidezähne) und 250 N (Backenzähne) betragen können. Zur Krafteinleitung kann jede Achse entweder auf Kraft oder auf Position geregelt werden, wobei die Kraftregelung den Standardfall darstellt und im Folgenden beschrieben wird. Mit Hilfe eines Hydraulikventils wird ein Volumenstrom auf einen Zylinder appliziert, der eine Kraft auf den Prüfling wirken lässt. Als Rückgabewert für den Regler dient ein Kraftaufnehmer, der an einen Messbrückenverstärker angeschlossen ist. Die Regelung und die gesamte Bedienerinteraktion erfolgen volldigital auf dem cRIO. Dieses besitzt neben einem Echtzeitcontroller auch ein Field Programmable Gate Array (FPGA) zur echt-parallelen Signalverarbeitung und bis zu acht Steckplätze für I/O-Karten der NI C-Serienmodule.
Das Kernstück zur Steuer- und Regelung des Ausbildungssimulators bildet das Echtzeitsystem cRIO. Dieses steht über die I/O-Kanäle und den Variablenserver in Verbindung zur Mechanik und zur grafischen Benutzeroberfläche (GUI). Alle Befehle zur Einstellung des Simulators werden von der PC-basierten GUI an den Echtzeitrechner übertragen. Die GUI besteht in ihrem Kern aus einem Zustandsautomaten (State Machine) und benötigt kein Echtzeitverhalten, weshalb sie auf einem PC ausgeführt werden kann. Die Achsregelung und die Messdatenerfassung erfolgen jedoch zeitkritisch auf dem Echtzeitrechner beziehungsweise dem FPGA, ehe sie über die I/O-Kanäle bzw. die Netzwerkverbindung ausgegeben werden. Als Datenspeicher dient wiederum der PC, der die Werte über die Ethernetverbindung aus einem Puffer des cRIO abholt.
Nach dem Start der GUI wird der Benutzer aufgefordert, die benötigten Versuchsparameter auszuwählen, damit der Profilgenerator auf dem FPGA initialisiert werden kann. Anschließend wird das Unterkiefer-Modell im Simulator platziert und mit Hilfe eines Kraftsensors vorgespannt. Ist die Vorbereitung vollständig abgeschlossen, wird von Seiten der GUI der Versuchsstart freigegeben und ein Experiment kann durchgeführt werden. Das Ende eines Versuchs wird entweder durch die Detektion eines Kraftabrisses oder das Erreichen der gewählten Zyklenzahl eingeleitet. Nach diesem Zeitpunkt steht eine Datei im TDMS-Format mit den aufgezeichneten Messwerten zur Weiterverarbeitung bereit, welche über ein kostenfrei verfügbares Add-In für Microsoft Excel gelesen werden kann.
Mit Hilfe der Hard- und Softwarekomponenten von National Instruments konnte innerhalb von sechs Monaten der echtzeitfähige, kraftgeregelte Ausbildungssimulator entwickelt und in Betrieb genommen werden. Der Fokus lag dabei auf einem durchgängigen Konzept aus GUI, echtzeitfähigem Regler und Datenprotokollierung. Trotz des komplexen Aufbaus aus PC, Echtzeitrechner, FPGA und Netzwerkkommunikation ist es über die interaktive grafische Benutzeroberfläche möglich, den Simulator auch ohne technisches Hintergrundwissen sicher und reproduzierbar zu bedienen.
Dr. Rainer Burgkart, Peter Föhr, Tobias Obst Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Klinikum Rechts der Isar, TU München

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