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Auf den Blauzahn gefühlt

Bluetooth: Empfohlen vor allem für telemedizinische Anwendungen
Auf den Blauzahn gefühlt

Die Funktechnologie Bluetooth könnte bald den Markt für Anwendungen in der Telemedizin aufrollen, denn das speziell für die Medizintechnik entwickelte Health Device Profile (HDP) wurde vergangenen Sommer verabschiedet.

„Lange Zeit hat Bluetooth in der Medizintechnik im Dornröschenschlaf gelegen. Doch jetzt kommt Bewegung in den Markt“, stellt Dr. Christophe Kunze fest, Bereichsleiter Embedded Systems & Sensors Engineering am FZI Forschungszentrum Informatik in Karlsruhe. Der Grund für seinen Optimismus ist das Health Device Profile (HDP), das die Bluetooth Special Interest Group (SIG) im Juni 2008 verabschiedet hat. Es definiert für Anwendungsszenarien in der Medizintechnik Prozeduren und den Leistungsumfang für diese Anwendungen. Dabei regelt es unter anderem die Verbindungsaufnahme, die Art der Datenübertragung, Sicherheitsmechanismen und die Protokolllayer.

„Profile sind generell einer der Schlüssel für die Interoperabilität bei Bluetooth“, erklärt Rudi Latuske, Geschäftsführer der ARS Software GmbH mit Sitz in Gauting. „Das heißt, erst durch das HDP wird es möglich sein, dass Geräte und Software unterschiedlicher Hersteller über Bluetooth problemlos miteinander kommunizieren können.“ Das ist bislang nicht der Fall. Zwar sind bereits etliche Geräte mit der Drahtlos-Technologie ausgestattet, vom EKG-Gerät über Datenrekorder bis zu Computertomografen. „Doch funktioniert der Datenaustausch nur dann, wenn alle Bestandteile vom Sensor über das Funkgerät bis zur Auswerteeinheit aus der Hand eines Herstellers kommen“, so Dr. Kunze. „Das war auf Dauer nicht förderlich für den Markt, da es keine Rollenverteilung zwischen Dienstleistern und Geräteherstellern gab. Dieses Gefüge wird durch HDP aufgebrochen.“
Latuske ergänzt: „Bis heute wird Bluetooth in medizinischen Geräten mit den SPP-Profil- oder File-Übertragungen eingesetzt. Die Ergebnisse sind dabei sehr unterschiedlich.“ Da der Integrationsaufwand erheblich sei, werde häufig auf verfügbare Hardware zurückgegriffen. „Diese aber ist in den meisten Fällen für sehr einfache Industrieanwendungen konzipiert worden.“ Damit ließen sich nur bedingt hohe Datenraten erreichen.
Bei Hardware, die den Stack auf dem Basisband einsetzt, lassen sich kaum Datenraten von über 300 kbit/s erreichen. Ein Host-Ansatz ermögliche Nettodatenraten von bis zu 1,8 Mbit/s.
Die größte Herausforderung sieht er für Entwickler darin, sich an die Anforderungen von PC, PCA oder Mobiltelefon anpassen zu müssen, wenn das System die Zusammenarbeit mit diesen Endgeräten vorsieht. Latuske: „Anwender haben aufgrund der Erfahrungen mit ihren Handys eine bestimmte Erwartungshaltung, wie Bluetooth funktioniert. Daher musste ein relativ großer Aufwand für die Entwicklung des User Interfaces getrieben werden, um Interoperabilität zu gewährleisten.“
Das HDP beinhaltet einen speziellen Transportlayer für Aufbau und Steuerung mehrerer Datenverbindungen bei gleichzeitiger Sicherstellung der garantierten Lieferung und Bandbreite. Die Darstellungsschicht der Daten entspricht dabei dem IEEE-Standard 11073 für Point-of-Care Medical Device Communication. Sie werden damit transportunabhängig dargestellt, so dass sich das Erstellen spezifischer Treiber erübrigt. Darüber hinaus umfasst das HDP auch Informationen über das jeweilige Gerät – also Waage, Blutzucker- oder Blutdruckmessgerät. Damit können auf der Gegenstelle entsprechende Anwendungen gestartet werden.
Als mögliche Anwendungszenarien sehen die Experten vor allem Applikationen in der Telemedizin. Integriert in Waagen, Blutdruck- oder Blutzuckermessgeräte sowie Pulsoximeter können Vitalparameter an einen PC oder auch zu einem zentralen Service gesandt werden. Vor allem chronisch Kranke lassen sich so über einen längeren Zeitraum überwachen. Im klinischen Umfeld müssen Bluetooth-Anwendungsszenarien noch genau definiert werden. „Unsere EKG-Geräte etwa beenden den Kabelsalat bei der Herzdiagnostik“, sagt Dr. Claudius Moor, Entwicklungsleiter der Corscience GmbH & Co. KG, Erlangen. „Doch herrscht noch immer eine große Unsicherheit in der Fachwelt, ob dies denn rechtlich und aus Sicht der Sicherheit möglich ist.“ Und dies, obgleich die Food and Drug Administration (FDA) die Drahtlos-Technik für reif und zuverlässig hält. Auch aus Strahlenschutzsicht sieht die US-Behörde aufgrund der äußerst geringen Sendeleistungen keine gesundheitlichen Bedenken. Darüber hinaus, so Dr. Moor, habe sich Bluetooth im Klinikalltag bewährt.
Für die Telemedizin scheinen Mobiltelefone wegen ihrer weiten Verbreitung das Gerät der Wahl zu sein, um die von Sensoren per Bluetooth übermittelten Daten weiter zu senden. „Aber deren Produktlebenszyklen sind für derlei Anwendungen zu kurz“, stellt Dr. Kunze klar. „Die Software jeweils auf die jüngste Gerätegeneration zu portieren, ist einfach zu aufwendig.“ Daher sieht er den Trend zu dedizierten Geräten für den Medizinbereich, wie sie etwa Tunstall Healthcare mit den Telehealth Monitoren anbietet. „Doch diese Gerätehersteller haben Probleme, Bluetooth-Chips mit dem HDP zu einem vernünftigen Preis zu erhalten“, argumentiert ARS-Geschäftsführer Latuske. „Die Automobilbranche ist in der Position, Forderungen an die Hand voll Halbleiterhersteller zu stellen, die Medizintechnikbranche ist verglichen damit und von den Stückzahlen für die Chiphersteller sehr klein.“
Dass HDP in Standardgeräten Einzug hält, dafür will unter anderem die Continua Health Alliance sorgen, ein Zusammenschluss von großen Medizingeräte- und IT-Herstellern. Ihren Mitgliedern hat der Kommunikationsspezialist Stollmann E+V GmbH, Hamburg, im Herbst das erste Entwicklungskit für die leichte Integration von HDP und IEEE 11073 zur Verfügung gestellt. Dabei kooperiert das Unternehmen, das assoziiertes Mitglied der Bluetooth SIG ist, mit Corscience: Stollmann integriert HDP, Corscience IEEE 11073
Bis die ersten Geräte mit dem neuen Bluetooth-Profil auf den Markt kommen, wird es allerdings noch eine Weile dauern. Latuske rechnet nicht vor Ende 2009 damit. Bis dahin, so hofft er, werde auch eine weitere Unsicherheit aus dem Weg geräumt sein: „Es ist nach wie vor unklar, mit welchem PC- oder PDA-Betriebssystem die HDP-fähigen Geräte kommunizieren sollen. Die PC-Hersteller müssen das Profil auch implementieren. Zwar ist Chiphersteller Intel ganz stark daran interessiert, doch glänzt Microsoft in diesem Umfeld noch durch Abwesenheit.“
Sabine Koll Journalistin in Böblingen
Das Handy ist aufgrund seiner kurzen Produktzyklen nicht das präferierte Gerät

Nur verschlüsselt
Wenn über Bluetooth diskutiert wird, taucht immer wieder das Thema Sicherheit auf. Durch vermehrte Hacker-Angriffe erscheint die Drahtlos-Kommunikation als nicht sehr sicher. „Das ist ein Missverständnis“, stellt Robert Hughes klar, Vorsitzender der SIG Medical Devices Group. „In der Toolbox für Entwickler gibt es viele Werkzeuge, um die Sicherheit zu gewährleisten. Doch in der Vergangenheit wurden diese nicht immer genutzt.“ Die aktuelle Version 2.1 sieht dafür ein vereinfachtes, aber trotzdem sicheres Verfahren zur Gerätekopplung vor – das so genannte Secure Simple Pairing. Die Authentifizierung muss nicht durch die Eingabe einer PIN erfolgen, sondern geschieht weitestgehend automatisch: Durch das Drücken einer Kopplungstaste an beiden Geräten, das Aufeinanderlegen von Geräten mit RFID-Chips oder über Fingerabdruck-Sensoren. Doch auch wenn die Bluetooth-Version 2.1 genutzt wird, empfiehlt Hughes bei allen Verbindungen im Bluetooth Health Device Profile Verschlüsselung und Authentifikation – um Sicherheit und Datenschutz zu gewährleisten.

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