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Als Ringträger immer gut informiert

mHealth: Rasante Entwicklung, die keiner vorhergesehen hatte
Als Ringträger immer gut informiert

Als Ringträger immer gut informiert
Wie der Ring im Detail aussehen wird, ist noch nicht festgelegt. Aber integrierte Elektronik wird erfassen, wie es dem Träger geht, und... Bild: Fotolia/graja
Nicht alle Ideen für Apps und mobile Produkte für die Gesundheit sind genial. Aber im wachsenden Bereich „mHealth“ tauchen spannende Entwicklungen auf, wie ein Ring mit Zusatzfunktionen oder ein Chip, der einen Tumor überwacht.

Man könnte es für einen etwas zu breit geratenen Ehering halten, was Prof. Bernhard Wolf da zurzeit von Schmuckdesignern in Edelmetall herstellen lässt. Doch der Experte für medizinische Elektronik an der Technischen Universität München hat anderes im Sinn. So ein Ring soll dem Smartphone seines Trägers beispielsweise sinngemäß melden: „Trink mal wieder ein Glas Wasser. Dein Wasserhaushalt ist in Schieflage geraten.“ Denn der Ring misst den Flüssigkeitshaushalt der Hautzellen, indirekt über deren elektrische Leitfähigkeit. Wenn man nämlich länger nichts trinkt, schrumpfen alle Zellen, und ihre Fähigkeiten, Strom zu transportieren, ändern sich damit. Vielleicht trinkt man auf den Rat des Sensors hin artig ein paar Schlucke. Das könnte nicht nur der Körper, sondern auch der Ring alsbald danken, etwa so: „Das hat gut getan. Jetzt ist dein Wasserhaushalt wieder ausgeglichen.“

Wolf hat sich den Ring für Senioren ausgedacht, die oft vergessen zu trinken und deshalb sogar an Organversagen sterben können. Andere Forscher von der Universität Erlangen-Nürnberg verfolgen dasselbe Ziel mit einem „Trinkpflaster“. Aber Wolf findet, die medizinische Elektronik solle auch etwas hermachen. Damit der Sensor am Finger chic aussieht, hat er eigens zwei Schmuckdesigner beauftragt.
Der Ring ist vielleicht eine der ausgefallensten Ideen der Mobile-Health-Sparte. Die erfindet am laufenden Band Geräte, die den Gesundheitszustand überwachen, Krankheiten diagnostizieren und das direkt dem Smartphone oder Tablet mitteilen. Sie erinnern an die Einnahme der Kreislaufmedikamente. Sie warnen vor Herzrasen oder überwachen den Schlaf. Aufsteckbare Aufsätze für das Mobiltelefon messen den Blutdruck, den Blutzucker und die Temperatur oder zeichnen gar ein Elektrokardiogramm des Herzens auf.
Die Deutsche Telekom war eines der ersten Unternehmen in Deutschland, das solche Geräte in Kooperation mit dem Hersteller Medisana AG, Neuss, vermarktete. Nach Abschluss dieses Geschäftsjahres sollen die Verkaufszahlen im sechsstelligen Bereich liegen, teilt die Telekom mit. Aber auch Google, IBM, Dell, Apple, Samsung und Merck – sie alle investieren neuerdings massiv in mHealth-Anwendungen.
Analysten hatten das so nicht kommen sehen. Noch vor Jahren sah eine Prognose von Frost&Sullivan keinen sonderlich großen Markt für Mobilfunk-Gesundheitsdienste. Überrascht wurden die Experten vor allem vom Boom der Apps für Smartphones und Tablets. Selbstständige und viele Tausend Kleinunternehmer weltweit haben bis heute schätzungsweise 97 000 Mobile-Health-Anwendungen gestrickt. Die meisten sollen Wohlbefinden und Fitness steigern. „Der Markt für Mobile-Apps ist einer der hauptsächlichen Triebkräfte für die Mobile-Health-Technik geworden“, schrieb die Europäische Kommission in ihrem Grünbuch zu mHealth vom April 2014.
Seither haben Marktexperten ihre Prognosen korrigiert: Die Unternehmensberater von Pricewaterhouse Coopers und die Vereinigung der Mobilfunkanbieter GSMA rechnen bis 2017 mit einem deutlichen Wachstum auf ein Marktvolumen von 6,8 Mrd. US-Dollar in der EU. Dadurch würden 99 Mrd. Euro an Gesundheitsausgaben eingespart. Die Erwartungen an die neue Technologie sind plötzlich immens: „Mobile-Health-Dienste haben das Potenzial, bei der Veränderung unseres Lebens zum Besseren eine Schlüsselrolle zu spielen“, glaubt die Europäische Kommission. Der Kostendruck in den Gesundheitssystemen beschleunigt den Trend ebenso wie der Facharztmangel und der demographische Wandel.
In der Fläche ist das revolutionär neu, punktuell jedoch nicht: Diabetiker machen beispielsweise schon länger vor, dass es ohne Arzt geht, wenn sie ihren Blutzucker nach dem Essen selbstständig messen und danach ihre Medikamente dosieren. Anspruchsvolle Mobile-Health-Entwicklungen können dem Patienten in Zukunft helfen, seinen Gesundheitszustand besser einzuschätzen – zum Beispiel eine Kapsel aus dem Münchner Forschungslabor des eingangs erwähnten Medizinelektronikspezialisten Bernhard Wolf. Die Kapsel, so groß wie zwei Daumennägel, wird in den Körper implantiert, neben eine Krebsgeschwulst, die nicht operiert werden kann oder aus anderen Gründen zunächst nur beobachtet werden soll.
Viele Tumore in der Prostata sind zunächst unbedenklich und gehen nur selten in ein aggressives Stadium über. Die Kapsel dient bei solchen Wucherungen als mobilfunkender Krebswächter. Sie misst unter anderem den Sauerstoffgehalt im Krebsgewebe und kann so detektieren, ob die entarteten Zellen sich vermehren. Dann fällt die Sauerstoffkonzentration ab. „Immer wenn ein gefährliches Krebsgeschwür wächst, könnten aus einem Tank in der Kapsel Medikamente abgegeben werden“, erklärt Wolf. Die Signale aus dem Krankheitsherd kann sich der Patient auf sein Handy übertragen lassen und so seinen Tumor selbst überwachen. „Wenn der Patient in einer App sehen würde, wie sein Tumor schrumpft, würde ihn das ungemein motivieren. Er könnte seine Therapie viel besser unterstützen“, argumentiert Wolf. Einer seiner Mitarbeiter gründet derzeit ein Unternehmen, das den Krebswächter, der bereits in Tieren getestet wurde, in den kommenden zwei bis drei Jahren in die ersten Patienten bringen soll.
Wenn ein Patient sich unters Messer legt, würden Mediziner gern Funkgeräte mit einbauen, etwa einen Chip, der meldet, ob die transplantierte Niere ihre Arbeit aufnimmt oder abgestoßen wird. Heute erfahren Transplanteure das erst Tage nach dem Eingriff, wenn es dem Patienten zusehends schlechter geht. Auch künstliche Knie- und Hüftgelenke ließen sich mit einem Funkchip ausstatten, der auch nach Jahrzehnten Typennummer, Hersteller und Modell verrät.
Ob mHealth das Gesundheitswesen tiefgreifend verändert, hängt aber nicht zuletzt von der Qualität der Produkte ab. Zurzeit reicht die Spannweite vom fragwürdigen Gadget bis zu hochwertigen Anwendungen mit einem nie dagewesenen Nutzen. Einige Mobile-Health-Erfindungen stehen allerdings außer Konkurrenz, weil sie etwas bieten, was es bisher nie gab, wie die App „Defi Now“, die dem Nutzer sagt, was zu tun ist, wenn ein Passant mit Herzkammerflimmern zusammenbricht.
Und wenn verstreut vorliegende Daten gebündelt und ausgewertet werden, tun sich ganz neue Zusammenhänge auf. Als „Big Data“ wird dieser Schatz der verborgenen Erkenntnisse bezeichnet. „Wir verfolgen bislang nicht, ob ein Patient gesund wird, wenn er aus dem Krankenhaus oder aus der Praxis geht. Wenn wir diese Daten zusammenführen, wüssten wir zum ersten Mal, wie wirksam Therapien in der Realität sind – nicht nur in klinischen Studien“, so Robert Mischak, Studiengangleiter eHealth von der Fachhochschule Joanneum in Graz. Therapien könnten individuell zugeschnitten und insgesamt verlässlicher werden. So würde das Gesundheitswesen mit Hilfe der IT auf eine ganz andere Stufe gehoben.
Susanne Donner Fachjournalistin in Berlin
Weitere Informationen Über Prof. Wolf und seine Projekte: www.lme.ei.tum.de/

Ihr Stichwort
  • mHealth: Beispiele und Trends
  • Health Apps
  • Integrierte Elektronik im Schmuckring
  • Implantat zur Tumorüberwachung
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