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Additive Fertigung: Wie Flüssigsilion zu hohen Festigkeiten kommt

Additive Fertigung
Wie Flüssigsilikon zu hohen Festigkeiten kommt

Wie Flüssigsilikon zu hohen Festigkeiten kommt
Dieses Silikon-modell eines Blut-gefäßes aus dem 3D-Drucker entstand im Projekt von Wacker mit der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Bild: Georg Willmerdinger/Wacker
Additive Fertigung | Flüssigsilikone lassen sich auch für die additive Fertigung nutzen. Bei Wacker und German Reprap gibt es seit zwei Jahren entsprechende Fertigungs-systeme, die allerdings nur mit bestimmten freigegebenen LSR-Typen funktionieren.

Sabine Koll
Journalistin in Böblingen

Wie der Name schon sagt, liegt Flüssigsilikon (LSR) im Gegensatz zu thermoplastischen Kunststoffen in flüssiger Form vor. Der Werkstoff schmilzt somit nicht erst unter Zuführung von Wärme. Das bedeutet für die additive Fertigung: Man kann LSR nicht Schicht für Schicht als Pulver auftragen und entsprechend der gewünschten dreidimensionalen Form mit einem Laserstrahl verschmelzen. Vielmehr muss das LSR Tropfen für Tropfen aufgebracht und vulkanisiert werden.

In der noch jungen 3D-Druck-Branche ließ eine entsprechende Produktionstechnik lange auf sich warten – die Hersteller von Geräten und Maschinen konzentrierten sich zunächst vor allem auf die Verarbeitung von Werkstoffen mit hohen Absatzmengen. Seit vergangenem Jahr aber stehen nun erste Systeme für die additive Fertigung mit LSR zur Verfügung, die auch für die Medizintechnik interessant sind.

Der Münchner Chemiekonzern Wacker, bekannt für seinen Geschäftsbereich Silicones, hat vor zwei Jahren auf der K in Düsseldorf den Sprung in den Gerätemarkt gewagt und den ersten Drucker für Silikone vorgestellt – und zwar unter der Marke Aceo. Auch Dienstleistungen gehören zum Portfolio – und natürlich die Werkstoffe.

Dabei ist das Silikon so formuliert, dass die Tröpfchen zusammenfließen, bevor der Vernetzungsprozess aktiviert wird. Dies wird mit UV-Licht erreicht. Dabei vernetzen die Moleküle zu einer gummielastischen Substanz. Anschließend trägt der Roboter die nächste Lage aus Silikontröpfchen auf. Dank der Vulkanisation entsteht ein homogener Körper, denn das zähflüssige Material verbindet sich gleich nach dem Auftragen auch mit den Schichten, die unmittelbar daneben oder darunter liegen.

Seit der Vorstellung des Aceo Imagine Series K, so der Name des 3D-Druckers, hat Wacker die Verfahrenstechnik weiter optimiert und die Palette verwendbarer Werkstoffe ausgebaut: Seit dem Sommer ist ein Silikon mit der Shore Härte A 20 verfügbar, so dass nun Shore Härten von 20 bis 60 zur Verfügung stehen. Außerdem lassen sich mit dem Gerät nun auch mehrere Silikonmaterialien verschiedener Farben, Härtegrade oder sogar unterschiedlicher chemischer und physikalischer Eigenschaften in einem Bauteil verarbeiten. Dies ermöglicht scharfe als auch fließende Übergänge. Somit haben Kunden nun eine höhere Design-Freiheit bei der Konstruktion von Objekten, speziell wenn es um weiche und harte Segmente geht. Auch Silikone mit elektrischer Leitfähigkeit lassen sich beispielsweise verbauen. Dr. Bernd Pachaly, Leiter des Projekts Silicone 3D Printing bei Wacker, nennt als Beispiel aus dem Medizinbereich bionische Hände, bei denen elektrische Leitfähigkeit in Greifvorrichtungen integriert wird, um eingebettete Funktionen zu schaffen.

Für Pachaly ist die Medizintechnik eine der interessantesten Branchen für das System, da sich damit kundenindividuelle Produkte fertigen lassen: Ein Beispiel sind Implantate, die sogar während einer Operation passend für den Patienten gefertigt werden könnten – nach den Daten, die bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie liefern.

Individuell hergestellte Atemmasken und Hörgeräte aus Silikon sind ebenso möglich wie Nasenpolster, die wirklich passen. Die Vision: Der Optiker braucht nur noch mit einem Laser die dreidimensionale Kontur der Nase zu erfassen und sie in einen 3D-Drucker einzulesen, der sofort das perfekt sitzende Pad herstellt.

Forschungsprojekt mit der
Universität Erlangen-Nürnberg

Gezielt um Anwendungen in der Medizintechnik kümmert sich aktuell ein gemeinsames Projekt von Wacker mit dem Lehrstuhl für Fertigungsautomatisierung und Produktionssystematik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg: Hier geht es um das Erstellen von haptischen anatomischen Modellen aus Silikon, die zum Beispiel zum Training von Operationstechniken in der Aus- und Weiterbildung von Medizinern oder zum Erproben neuer Medizinprodukte und neuer OP-Techniken eingesetzt werden können.

„Die digitalen Modelle werden zunächst als digitales Modell mit Hilfe von CT- oder MRT- Daten erstellt und können dann auf unterschiedliche Anforderungen angepasst werden“, erklärt Doktorandin Hannah Riedle. „Auf diese Weise können Modelle beispielsweise für das jeweilige Fertigungsverfahren angepasst werden oder aber auch Krankheitsbilder in gesunde Modelle eingefügt werden.“

Im zweiten Schritt werden die Modelle mittels der Aceo-Technologie von Wacker direkt additiv aus Silikon gefertigt. Abschließend werden die gefertigten Modelle biomechanisch untersucht, medizinisch bewertet und durch internationale Partner klinisch evaluiert.

Der 3D-Drucker-Hersteller German Reprap, der 2010 mit dem Fused Deposition Modeling (FDM) Verfahren für die additive Fertigung mit thermoplastischen Kunststoffen begonnen hat, ist zur Formnext 2016 vergangenen Jahres mit einem LSR-Fertigungsverfahren gestartet, genannt Liquid Additive Manufacturing (LAM). Als Werkstoffanbieter hat sich das Feldkirchener Start-up Dow ins Boot geholt, dessen Flüssigsilikon Evolv 3D LC-3335 für den LAM 3D-Drucker freigegeben ist. Die Härtung erfolgt im Gegensatz zum Wacker-System hier thermisch.

Hohe mechanische
Belastungsfähigkeit

Die mit dem System gefertigten Bauteile zeigen das gleiche scharfe Härtungsprofil spritzgegossener Testproben. Und auch hinsichtlich der mechanischen Belastungsfähigkeit – also bei Zugproben, Dehnungsproben oder Kompressionstests – kommen sie sehr nah an LSR-Produkte heran, die im Spritzguss gefertigt werden. German Reprep spricht hier von 90 % und mehr. Dies vereinfacht die Übertragung in Spritzgießverfahren für die Massenproduktion. Firmengründer und Geschäftsführer Florian Bautz betont, dass man zum Teil bessere Festigkeiten als bei Spritzgießen erreiche – weil man im Gegensatz zum Spritzgießen die Auftragsrichtung und somit die Vernetzung auf Molekülebene beeinflussen könne.

Bald steht der LAM-Prozess auch für einen weiteren flüssigen Werkstoff zur Verfügung, und zwar lassen sich dann auch Polyurethane additiv verarbeiten. Partner ist in dem Fall der Werstoffhersteller Ebalta. Ebenso wie LSR sind Polyurethane im Gegensatz zu aufgeschmolzenen Schichten durch chemische Vernetzung isotrop und besitzen damit auch in Z-Richtung die volle Festigkeit. Das System soll zur Formnext im November verfügbar sein.


Weitere Informationen

Zu German Reprap:

www.germanreprap.com

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