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3D-Druck für Prothesen und Orthesen: Was geht und was schwierig ist

3D-Druck
Füße und Hände aus dem Drucker

Füße und Hände aus dem Drucker
Der gitterartig strukturierte Vorfußkeil stammt aus einem 3D-Drucker. Er ist leichter als handgefertigte Teile, denn für diesen Vorfußkeil werden 70 % weniger Material gebraucht als für herkömmliche Modelle. An der Haltbarkeit gibt es nach ersten Tests dennoch nichts auszusetzen Bild: Stamos + Braun
Den Patienten abscannen und das, was er braucht, binnen Kurzem einfach ausdrucken: Über Möglichkeiten und Grenzen des 3D-Drucks diskutierten Aussteller und Forscher anlässlich der Messe OT-World in Leipzig. Wie alltagstauglich die Prototypen generativ gefertigter Prothesen sind, wird aktuell getestet.

Susanne Donner
Fachjournalistin in Berlin

Es klingt fast zu visionär, um wahr zu werden: Überall auf der Welt, ob in Paris, New York oder Kairo, soll es medizinische Zentren geben, in denen Amputierte fehlende Gliedmaßen und das gesunde Gegenstück scannen lassen können. Der digitale Datensatz gelangt dann via Internet zum Dresdner Prothesenwerk Stamos und Braun GmbH. Dort stellen 3D-Drucker die fehlende Extremität binnen einiger Stunden her. Fertig ist die passgenaue Finger-, Arm- oder Fußprothese.
Der täuschend echte Ersatz im passenden Teint und mit den alterstypischen Falten landet dann per Paket beim Patienten. Auf Wunsch sogar mit Tattoo oder Nagellack – denn das Dresdner Unternehmen hat sich auf ästhetische Prothesen aus Silikon spezialisiert, die ein möglichst naturgetreues Aussehen bieten.

Auf dem Weg zur Prothese inklusive Nagellack und Tatto

„Noch sind wir ein bisschen von dieser Vision entfernt. Aber wir arbeiten daran“, sagt Christoph Braun, Orthopädietechnikmeister und einer der Firmengründer von Stamos und Braun. Zur internationalen Leitmesse für Orthopädietechnik in Leipzig, der OT-World vom 3. bis 6. Mai 2016, stellte das 2013 gegründete Unternehmen schon eine einfarbige Fußprothese aus dem 3D-Drucker vor. Ab der Messe kommt eine Prothese in den Handel, die zwar noch überwiegend klassisch – also von Hand – gefertigt wird, aber im Inneren einen gitterartig strukturierten Vorfußkeil beherbergt, der aus dem 3D-Drucker stammt.
Der Vorteil dieses Verfahrens: Handgefertigte Modelle sind schwer, weil sie komplett aus Silikon bestehen. Die neuen Prothesen sind dagegen aufgrund der kissenartigen Struktur im Inneren wesentlich leichter. Eine gedruckte Fußprothese wiege 70 % weniger als herkömmliche Modelle, erklärt Braun. Und: Das Stumpfende des Beins reicht bis zum Kissen, sodass es weicher als bisher gebettet ist, was Druckstellen vermeide.
Fünf Patienten testen die neuartigen Prothesen zurzeit, so Braun. Und in einer weiteren Studie will das Dresdner Unternehmen in diesem Jahr prüfen, ob die Medizinprodukte genauso haltbar und robust sind wie handgefertigte Modelle.

Keine Brüche zwischen den Lagen

Da der Drucker die Teile Schicht für Schicht aufbaut, mahnen Skeptiker, es könne zwischen den Lagen zu Brüchen kommen. „Bis jetzt halten diese aber einwandfrei“, berichtet Braun vom laufenden Versuch. „Patienten, die vorher mit einem handgefertigten Modell versorgt waren, sagen: ‚Mir zieht es den Fuß nicht mehr so herunter, weil er viel leichter ist.‘“ Auch liege die Prothese weicher am Stumpf an, weil sich die Scherkräfte besser verteilen und das Polster den Druck auf das Gewebe besser ausgleicht.
Prothesen- und Orthesenhersteller weltweit rechnen damit, dass die manuelle Fertigung über kurz oder lang vom 3D-Druck zurückgedrängt wird. Wegweisend ist dabei die Entwicklung im Dentalbereich: Zahnimplantate werden schon heute automatisch und digital gefertigt. Der Gipsabdruck des Gebisses wird eingescannt und eine digitale Vorlage für den fehlenden Zahn erstellt. 3D-Drucker erzeugen anhand dieses Plans den fehlenden Beißer aus Metall, oder computergesteuerte Fräsmaschinen schneiden ihn aus einem Block Zirkonoxid heraus.

Ottobock interessiert sich für 3D-Druck

Auch der Weltmarktführer im Bereich Prothetik, Otto Bock Health Care GmbH in Duderstadt, bereitet sich auf den digitalen 3D-Druck vor, wie auf der OT-World in Leipzig deutlich wurde. Um Prototypen zu entwickeln, betreibe man an allen Forschungsstandorten bereits 3D-Drucker, heißt es. Einzelne Bauteile würden schon so produziert, etwa die Finger der Prothese Axon Hook aus Titan. Komplette Prothesen aus dem Drucker, die verschiedene Funktionen beinhalten, würden mit den verfügbaren Materialien aber den hohen Belastungen bisher noch nicht lange genug Stand halten, schränkt Ottobock-Mitarbeiter Dr.-Ing. Michael Meyer ein. Er ist Werkstoffwissenschaftler sowie Koordinator und Projektbetreuer im Open Innovation Space in Berlin.
Besonders schwer sei es, stabile Schäfte zu drucken, über die Kunstarme oder -füße mit dem Stumpf verbunden werden. Um dies zu bewerkstelligen, entwickle man in Duderstadt kommerziell erhältliche Drucker weiter, damit diese glasfaser- und karbonfaserverstärkte Materialien verarbeiten können. Auch arbeitet das Unternehmen mit Laserdruckgeräten, die aus Metallpulver Schicht für Schicht Titanteile fertigen.

Scan und Modell aus Schaum statt Gipsabdruck

Um auf die digitale Fertigung umzustellen, zieht Ottobock eigenen Angaben zufolge bereits Scans von Patienten heran, um ein Modell aus Schaum als Alternative zum klassischen Gipsabdruck zu fräsen. Dieses Modell diene als Vorlage, um die Prothese in Handarbeit herzustellen. Künftig möchte man die digitale Produktionskette schließen: Dann würden 3D-Drucker anhand des digitalen Bauplans das komplette Medizinprodukt erzeugen.
Vor allem junge Unternehmen geben momentan das Tempo der Branche vor. Das japanische Start-up Exiii präsentierte im vergangenen Jahr eine Hand aus dem 3D-Drucker, die kaum mehr als ein halbes Kilogramm wiegt. Diese schnürt in Werbevideos Schuhbänder, blättert Bücher und schließt Reißverschlüsse. Kleine Motoren betätigen Daumen, Zeigefinger und die drei übrigen Finger gemeinsam.

Verschiedene Silikone nutzen

Auch das britische Unternehmen Frip Design, ebenfalls auf der Messe in Leipzig vertreten, experimentiert mit Gesichtsepithesen aus dem 3D-Drucker, mit denen Chirurgen nach einer Gesichtsverletzung das Antlitz rekonstruieren. Solche Implantate bestehen jedoch aus Silikonen, die für einen Hand- und Fußersatz nicht robust genug sind. „Eine Handprothese schleift an der Hose und wird verwendet, um Teller, Gläser und Joghurtbecher zu greifen. Dafür muss sie stärkeren Kräften widerstehen“, schildert Prothesenwerk-Geschäftsführer Braun. Um eine Haltbarkeit von drei bis fünf Jahren zu erreichen, wie bei handgefertigten Modellen üblich, arbeiten die Dresdener deshalb mit hochtemperaturvernetzendem Silikon.
Das Material müsse für den 3D-Druck nicht einmal weiter modifiziert werden. Wohl aber die Drucker, eine Arbeit, die die Gruppe um den Feinwerktechniker PD Dr.-Ing. Thomas Nagel an der TU Dresden übernimmt. „Wir kennen keine Geräte auf dem Markt, die sich für den Bau von hochwertigen Silikonprothesen unmittelbar eignen. Wir haben zwar zu Testzwecken ein kommerzielles Produkt gekauft, mussten dieses aber komplett umrüsten“, betont der Experte – sonst wäre unter anderem die Düse mit dem vergleichsweise zähflüssigen Silikon verstopft. Aber auch die Steuerung haben die Forscher neu programmiert und Bauteile ausgetauscht.

Die identische Prothese noch einmal, bitte – heute eine unlösbare Aufgabe

Würden Prothesenautomaten eines Tages auf Knopfdruck fehlende Körperteile fertigen, könnte dies noch ein anderes Problem lösen. Bisher gleicht die Anfertigung eines Modells dem Erstellen eines Gemäldes – jedes ist ein Unikat. Möchte der Patient nach ein paar Jahren genau dieselbe Prothese mit demselben Teint noch einmal bestellen, kann ihm dieser Wunsch heutzutage nicht erfüllt werden, da Silikone von Hand eingefärbt werden. Diese künstlerische Gestaltung hängt auch von der Tagesform des Prothesendesigners ab. Mit einem Scan als Bauplan für den Drucker sollte die Prothese dagegen immer wieder gleich aussehen. „Noch können wir die Farben zur Einfärbung der Prothese nicht genau genug dosieren, sodass wir die Handarbeit noch nicht ersetzen können“, räumt Braun ein, aber in Zukunft sollte das gelingen. Doch auch ohne dies könne die digitale Produktion „der Rohlinge“ bis zu 30 % billiger sein, weil Material eingespart würde und die Lohnkosten geringer seien.

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