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3D-Druck in der Medizin braucht interdisziplinäre Teams

3D-Druck in der Medizin
Für den 3D-Druck in der Medizin sind interdisziplinäre Teams gefragt

Für den 3D-Druck in der Medizin sind interdisziplinäre Teams gefragt
Eine im 3D-Druck hergestellte Herzklappe aus Silikon lieferte die Basis, um die Strömungsverhältnisse in diesem Umfeld genau zu beschreiben – mit dem Ziel, auf lange Sicht geeignete Herzklappen additiv herzustellen Bild: Ireneus Henning, Universität Duisburg
Individuelle Implantate für Kopf und Gesicht oder auch additiv gefertigter Zahnersatz sind längst nicht mehr die einzigen denkbaren Anwendungen für den 3D-Druck. Gearbeitet wird an neuen Materialien, aber auch an Modellen, die neue Medizinprodukte erst ermöglichen sollen.

Tim Schröder
Wissenschaftsjournalist in Oldenburg

Für die Medizintechnik ist die additive Fertigung ein interessantes Verfahren: „Der 3D-Druck ist vor allem dann gefragt, wenn Komponenten individuell für Patienten angefertigt werden“, sagt beispielsweise Prof. Gerd Witt, Leiter des Lehrstuhls für Fertigungstechnik an der Universität Duisburg und Experte für die additive Fertigung. „Eines der ersten Einsatzgebiete in der Medizin war vor etwa 15 Jahren die Herstellung von Ersatzteilen für zerstörte Knochen, etwa am Schädel.“ Auch in der Zahnmedizin hat sich der 3D-Druck inzwischen etabliert – was aber nicht heißt, das damit alle Möglichkeiten erschöpft wären.

Technisch ginge wohl noch mehr. „Doch die große Hürde für den 3D-Druck in der Medizin sind heute eher die Regularien, die den Einsatz erschweren“, konstatiert Prof. Peter Pott, Leiter des Instituts für Medizingerätetechnik an der Universität Stuttgart. Für Einzelanfertigungen galten bisher Sonderregelungen. „3D-Komponenten für die Allgemeinheit müssen erst aufwendig geprüft und zertifiziert werden. Hier geht es um Aspekte wie den sterilen Druck oder die Verträglichkeit der Materialien im Körper.“

Aktuell arbeiten viele Forscher an neuen Materialien für den 3D-Druck, die für den Einsatz am Menschen geeignet sind: Prof. Pott etwa an resorbierbaren Werkstoffen, die sich nach und nach im Körper auflösen. Diesen Ansatz verfolgt auch Prof. Mirko Schaper, Leiter des Lehrstuhls für Werkstoffkunde an der Universität Paderborn. Er entwickelt Speziallegierungen, die sich für Schrauben oder Osteosyntheseplatten eignen. „Mit dem 3D-Druck kann man die Geometrie und Feinstruktur der Platte sehr genau einstellen“, sagt Mirko Schaper. „So, dass sie besonders leicht ist und auch so, dass sie nach und nach unter der Belastung zerbröselt.“

Damit die Fragmente restlos verschwinden, braucht es eine Legierung, die sich im Körper auflöst. Mirko Schaper experimentiert unter anderem mit einer Mischung aus Eisen und Silber. „Die Metalle kann man mit anderen Verfahren kaum verarbeiten, weil sie sich schlecht mischen“, sagt er. „Beim 3D-Druck aber kann man in das geschmolzene Eisenpulver kleine Silberinseln einschmelzen.“ So erhalte man einen Werkstoff, bei dem das unedle Eisen allmählich wegkorrodiert.

Trotz solcher Anwendungen hält Mirko Schaper den 3D-Druck nicht für ein Allheilmittel. „Erst kürzlich haben Mediziner auf einer Tagung betont, dass sie auf 3D-Druck nur dann umsteigen, wenn der Mehrwert ganz klar ist.“ Ein Beispiel: Knieprothesen werden heute in diversen Standardgrößen für Frauen und Männer angeboten. Manche Hersteller bieten alternativ 3D-gefertigte Prothesen an, die exakt nach dem CT-Bild eines individuellen Knies angefertigt werden. Diese sind um ein Vielfaches teurer. Mirko Schaper: „Die Medizinerkollegen sagen mir ganz deutlich, dass es bei einer solchen Operation sehr viel stärker auf die Genauigkeit der Operation und die Positionierung der Prothese ankommt, als darauf, den letzten Zehntelmillimeter aus der Prothese herauszukitzeln.“

Gerd Witt von der Universität Duisburg hält dagegen, weil sich Prothesen mittels additiver Fertigung dennoch verbessern lassen: „Damit können gezielt winzige Poren in der Oberfläche geschaffen werden, sodass Knochenzellen besser einwachsen.“ Auch ließen sich in die Oberfläche der 3D-Prothese kleine Widerhäkchen einarbeiten, mit denen die Prothese sicher im Knochen verankert wird.

Strömungsdynamik am Modell der Herzklappe untersuchen

Gerd Witt und sein Mitarbeiter Ireneus Henning haben aber auch noch andere Anwendungen im Blick. Seit einiger Zeit arbeiten sie daran, additiv gefertigte Ersatzteile für das Herz zu entwickeln. Der Physiker Ireneus Henning etwa entwickelt mit Kollegen künstliche Herzklappen, so genannte Mitral- oder Segelklappen. Solche Klappen sitzen an der Vorkammer des Herzens und verhindern wie ein Ventil, dass das Blut bei der Kontraktion der Hauptkammer in die falsche Richtung strömt.

Das Herz eines jeden Menschen wächst im Laufe des Lebens immer weiter – aber die Klappen wachsen nicht mit. Irgendwann sind sie zu klein, und damit öffnet sich zwischen ihnen ein winziger Spalt. Sie schließen nicht mehr perfekt, sodass das Blut zum Teil durch die Klappen zurückströmt. Viele Menschen kommen damit zurecht und merken nichts. Andere aber entwickeln eine Herzklappeninsuffizienz. Das Herz pumpt nicht mehr ausreichend.

Vor kurzem ist es Ireneus Henning und seinem Team gelungen, per 3D-Druck exakt nachgebaute Herzklappen aus Silikon zu fertigen. „Mit Hilfe der Silikonklappen konnten wir erstmals die Strömungsdynamik an den Herzklappen vermessen, das war bislang ein Buch mit sieben Siegeln“, sagt Henning. In Nachfolgeprojekten sollen dann nach und nach Herzklappen aus echten Körperzellen aufgebaut werden – um sie hoffentlich irgendwann Patienten implantieren zu können.

Damit nähern sich die Duisburger wie viele andere Forscher dem Bioprinting an – dem 3D-Druck lebender Zellen, einem Hype-Thema. Man hofft, künftig ganze Organe per 3D-Druck nachbauen zu können, um den Mangel an Spenderorganen auszugleichen. Doch Organe bestehen aus vielen verschiedenen Zelltypen, die perfekt angeordnet sein müssen. Zudem benötigt ein Organ Blutgefäße, über die es versorgt wird.

Gerd Witt glaubt, dass sich mit dem Bioprinting einiges erreichen lassen wird. „Mit der additiven Fertigung könnte man selbst winzige Blutgefäße formen, eine Versorgung mit Nährstoffen ist also grundsätzlich denkbar.“ Und verschiedene Zellen ließen sich durch den Einsatz so genannter karziomer Zellen herstellen. Dabei handelt es sich um immortalisierte Zellen, also Zellen, die so gezüchtet wurden, dass sie unsterblich sind. Sie bieten damit grundsätzlich das Potenzial, per 3D-Druck komplex gebaute Organe mit unterschiedlich ausdifferenzierten Zellen zu erzeugen.

Doch noch stehe man damit ganz am Anfang, sagt Gerd Witt. Noch seien viele Hürden zu überwinden. Karziome Zellen etwa können zu Krebszellen entarten. Hier wäre es wichtig, zuverlässige Verfahren zu entwickeln, mit denen die karziomen Zellen aus dem fertigen Ersatzorgan restlos ausgespült werden. „Um so weit zu kommen, braucht es vor allem eines“, resümiert Gerd Witt: „Interdisziplinäre Teams aus Ingenieuren, Medizinern und anderen Experten. Denn keine Fachdisziplin allein kann additive Fertigungsverfahren für die Medizin entwickeln. Dafür ist das Thema einfach zu komplex.“

Prof. Witt: www.uni-due.de/fertigungstechnik/mitarbeiter_witt.php

Prof. Pott: www.imt.uni-stuttgart.de/institut/team/Pott-00005/

Prof. Schaper: https://mb.uni-paderborn.de/werkstoffkunde/


Medizintechnik auf der Rapid.Tech

Am Eröffnungstag der dreitägigen Fachmesse Rapid.Tech + FabCon 3.D in Erfurt haben die Veranstalter ihr Forenprogramm auf die Medizin-, Zahn- & Orthopädietechnik ausgerichtet. Am 25. Juni 2019 werden Referenten aus Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus den USA, Israel, Österreich, Japan und Deutschland ihre Projekte und Entwicklungen vorstellen. Auswahl und inhaltliche Ausrichtung des Forums lagen erneut maßgeblich in den Händen von Ralf Schumacher, Head Mimedis Digital Surgical Solutions der schweizerischen Medartis AG. Schumacher sagt über das Programm: „Wir geben im Forum einen Überblick zum aktuellen Stand von 3D-Druck-Anwendungen speziell im Dental- und Orthopädiebereich.“ Dabei spielten nicht nur die Drucktechnologien an sich eine Rolle, sondern auch die vor- und nachgelagerten Prozesse sowie die Prozessvalidierung. Vorgestellt werden ebenso Weiterentwicklungen bei etablierten Kunststoff-Verfahren, vor allem unter dem Gesichtspunkt der Biokompatibilität. Neuheiten aus den Bereichen des keramischen und des metallischen 3D-Drucks für medizinische Produkte stehen ebenfalls auf dem Programm.

Das Forum Medizin-, Zahn- & Orthopädietechnik ist eines von insgesamt 14 branchen- oder fachbezogenen Foren im Kongressprogramm der Rapid.Tech + FabCon 3.D. Erstmals auf der Agenda stehen die Themen Software & Prozesse, Kunststoff sowie Normung & Arbeitsschutz. Insgesamt werden in mehr als 100 Vorträgen an den drei Kongresstagen die neuesten Entwicklungen, Trends und Ergebnisse zu additiven Technologien und Anwendungen aus Theorie und Praxis vorgestellt.

Zur 15. Auflage der Rapid.Tech + FabCon 3.D kamen im vergangenen Jahr knapp 5000 Besucher zur Internationalen Messe und Konferenz für additive Technologien, bei der sich 208 Aussteller aus 14 Ländern präsentierten.

Mehr über die Messe 2019 und das Programm:

www.rapidtech-fabcon.de

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