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Biorpinting: Was der 3D-Druck von Zellen für die Medizin bisher bringt

Bioprinting: Chancen, Grenzen und Herausforderungen beim gezielten Drucken von Zellen
Niere aus dem Drucker? Sag niemals nie

Auch wenn der Hype darum groß ist und das Potenzial ebenfalls: Bioprinting – also die additive Herstellung von menschlichem Gewebe – steckt noch in den Kinderschuhen. Zu wenig standardisiert sind Maschinen, Verfahren und Biomaterialien.

Es war ein Knaller: Eine schöne rosa Niere druckte Dr. Anthony Atala 2011 mit einem 3D-Bioprinter auf der Bühne der Innovationskonferenz TED im kalifornischen Monterey – vor den Augen der Zuschauer und natürlich vor den Augen eines Millionenpublikums weltweit, das die Aktion über You- tube-Video verfolgen konnte. Dies weckte Hoffnungen und Begehrlichkeiten: Medien weltweit proklamierten bereits das Ende des Wartens auf Spenderorgane.

Doch dann kam das Dementi des Direktors des US-Forschungsinstituts Wake Forest Institute for Regenerative Medicine: Es habe sich nicht um ein implantierbares Organ gehandelt, sondern nur um einen Prototypen. Er habe zeigen wollen, wie der 3D-Druck mit menschlichen Zellen als Biomaterialien funktionieren kann.
„Die Amerikaner sind in der Vermarktung von Forschungsmöglichkeiten und -ergebnissen immer sehr aktiv. Doch vollständige, funktionstüchtige Organe aus dem 3D-Drucker sind in den nächsten zwanzig Jahren noch nicht realisierbar“, stellt Dr. Markus Rimann klar, Forscher an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).
„Atala hat damals im Prinzip nur ein Hydrogel-Gebilde in Form einer Niere – ohne innere funktionale Struktur – aufgebaut“, bestätigt Dr. Kirsten Borchers vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart. Selbst Atala will derzeit keine Aussage dazu machen, wann vollständig gedruckte Organe Realität sein können, wie er kürzlich in einem Interview sagte. Dr. Daniel Thomas von der britischen Swansea University geht sogar noch weiter: „Derzeit bin ich nicht davon überzeugt, dass man jemals überhaupt funktionale Organe wird drucken können.“
Mit diesen Aussagen wollen Wissenschaftler, die am Thema Bioprinting arbeiten, vor allem eines: Die Technologie und ihre Möglichkeiten sollen endlich realistisch eingeschätzt werden. Zurück auf den Boden der Tatsachen, weg vom Hype.

Hype um Bioprinting

Denn der Hype um das Bioprinting ist aktuell riesig. Jede Meldung, die Forscher rund um den Globus zu diesem Thema verbreiten, wird von Publikumsmedien dankbar aufgenommen. Zu verlockend scheinen die Aussichten für Patienten, künftig Organe einfach drucken zu können, statt auf eine Spenderniere oder -leber jahrelang warten zu müssen. Im Fall einer Niere würde dies auch die Kosten für das Gesundheitssystem senken, denn die Dialyse kostet laut der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie zwischen 25 000 bis 50 000 Euro pro Jahr und Patient.
Doch auch die realistische Einschätzung der Lage klingt keineswegs pessimistisch. „Das Bioprintig wird der regenerativen Medizin und dem Tissue Engineering einen deutlichen Schub versetzen“, ist Borchers überzeugt. „Denn im Gegensatz zum heutigen Tissue Engineering handelt es sich um einen reproduzierbaren Prozess, da er computergesteuert und automatisiert abläuft.“ Rimann ergänzt: „Der große Vorteil des Bioprinting ist, dass man Zellen gezielt im dreidimensionalen Raum platzieren kann, sodass das gedruckte künstliche Gewebe dem natürlichen eher entspricht. Dadurch erhält man Minigewebemodelle, die aussagekräftiger als heutige 2D-Zellkulturen sind.“

3D-Druck von menschlichem Gewebe

Im Prinzip handelt es sich beim Bioprinting um die additive Fertigung von menschlichem Gewebe. Statt der für den 3D-Druck üblichen Werkstoffe Kunststoff, Metall oder Keramik werden beim Bioprinting menschliche Zellen in Kombination mit biokompatiblen Materialien für den schichtweisen Aufbau verwendet. Und genau dies macht die Sache kompliziert: „Zellen benötigen optimale Kulturbedingungen: Das betrifft die Temperatur, den pH-Wert, das printbare Biomaterial und auch die Nährstofflösung. Im Labormaßstab kann man diese Faktoren sicherstellen, aber in einer industrialisierten Umgebung ist dies schwieriger, wenn man in einem Arbeitsschritt beispielsweise eine 96-Lochplatte mit gedrucktem Gewebe füllen will“, betont Rimann.
Die Zellen, so erklärt Borchers, liegen im natürlichen Gewebe in einer weichen Hydrogel-Masse aus Collagenen und weiteren Proteinen sowie Polysacchariden, der so genannten extrazellulären Matrix, die viel Wasser speichert. „Zellen und Hydrogel mit Hilfe von Druck- oder Dispensiertechniken Schicht für Schicht so aufzutragen, dass sie nicht zur Seite verläuft, ist nicht ganz einfach“, sagt die Forscherin, die mit ihrem Team am Fraunhofer IGB Gelatine-basierte Biotinten für den Aufbau chemisch vernetzter Hydrogele entwickelt. Gelatine ist ein wasserlösliches Abbauprodukt des Collagens und der natürlichen extrazellulären Matrix sehr ähnlich. Durch unterschiedlich starke Vernetzung der Gelatinemoleküle können die Wissenschaftler die Festigkeit der Hydrogelmatrix an die verschiedener biologischer Gewebe wie beispielsweise Fett oder Knorpel anpassen. Für die Rekonstruktion weicher, körpereigener Gewebe erproben Wissenschaftler Hydrogele aus unterschiedlichen synthetischen oder natürlichen Polymeren.
Eine weitere Herausforderung ist das Fehlen kommerziell verfügbarer, standardisierter Biotinte. Lediglich Regenhu, ein Schweizer Hersteller von Bioprintern, hat eine solche im Programm. Deshalb arbeiten Forscher an weiteren Biotinten: Neben dem Fraunhofer IGB haben Wissenschaftler der Universitäten Bayreuth und Würzburg gemeinsam beispielsweise ein Hydrogel auf der Basis von Spinnenseide entwickelt.

Blutbahnen kann noch niemand drucken

„Bei Herz, Lunge oder Niere müssen außerdem Blut- und Lymphbahnen für die Versorgung des Organs mitgedruckt werden – und dies kann heute noch niemand“, sagt Borchers. Lediglich erste Schritte auf dem Weg dahin seien getan: „Zwischen den Zellen lagert man in der Regel Hydrogele. Diese können vereinfacht gesagt mit Kanälen durchzogen werden, indem man mit einem 3D-Bioprinter zunächst eine Opferstruktur aus Gelbildner – bestehend unter anderem aus Zuckermolekülen – herstellt, die sich später auflösen lassen. Über diese Kanäle kann man den Zellen in die Matrix hinein auch Nährstoffe liefern.“ Die Opferstrukturen entsprechen den Stützstrukturen, wie man sie vom traditionellen 3D-Druck her kennt.
Dennoch wäre auch die Herstellung von Blutbahnen für die Forscher noch kein endgültiger Durchbruch für das Bioprinting von Organen: „Man muss sehen, dass komplexe Organe selbst schon aus vielen verschiedenen Zelltypen bestehen, die eine ganze Reihe unterschiedlicher Funktionen erfüllen. Sie stehen miteinander in Wechselwirkung – und natürlich müssen sie auch mit dem Rest des Körpers korrespondieren“, so Rimann.

80 Millionen Zellen in jedem Milliliter – das ist eine Aufgabe

Laut Thomas von der Swansea University werden für jeden Milliliter Bioprint-Material ungefähr 80 Millionen Zellen benötigt. Diese Vorläufer-Zellen zu züchten, zu kultivieren und zu handhaben sei alles andere als einfach. Daher konzentriert sich die Forschung derzeit darauf, weniger komplexe Strukturen – „mit maximal drei verschiedene Zelltypen und mit wenigen Blutgefäßen“, so Rimann – für den menschlichen Körper additiv zu fertigen: Am Wake Forest Institute for Regenerative Medicine wurden im Jahr 2006 Kindern und Jugendlichen mit embryonaler Verschlussstörung (Spina bifida) mit körpereigenen Zellen gedruckte Harnblasen implantiert. An der ZHAW ist es Rimann mit Kollegen beispielsweise gelungen, lebende Muskelzellen zu drucken. Diese bilden selbständig Muskelfasern und ziehen sich wie ein Minimuskel zusammen. In einem anderen Projekt des ZHAW wurden Dermis und Epidermis der Haut dreidimensional gedruckt. Ebenfalls in Zürich, an der ETH, arbeitet man am 3D-Druck von Knorpel etwa für Nase und Ohr. Die ersten Transplantate aus dem Bioprinter sollen noch in diesem Jahr an Schafen oder Ziegen getestet werden.
Auch das Laser-Zentrum in Hannover (LZH) beschäftigt sich damit, Hautgewebe aus Bindegewebs- und Epithelzellen zu drucken. „Wir haben die Haut an Mäusen ausprobiert, und es sind sogar Blutgefäße in das Gewebe eingewachsen“, freut sich Projektleiter Dr. Lothar Koch.

Vorklinische Medikamententests sind eher das Ziel als funktionsfähige Organe

Einen großen Entwicklungsschritt hat das US-Unternehmen Organovo im November 2014 getan: Es verkauft seitdem auf dem Markt dreidimensionales Leber-Gewebe unter dem Namen Ex Vive 3D , bestehend aus drei verschiedenen Zelltypen. Gerade dieses Beispiel macht einen weiteren Trend beim Bioprinting deutlich: Es geht aktuell weniger um die regenerative Medizin als um das vorklinische Testen von Medikamenten. So nutzt der Schweizer Biotechnologie-Riese Roche Pharmaceuticals Organovos Leber-Gewebe für Toxizitätstests – mit Erfolg, wie ein Manager des Unternehmen im vergangenen Sommer auf der 3D Cell Culture Konferenz der Dechema erklärt hat: Die gedruckten Leberzellen konnten zwischen zwei ähnlichen Chemikalien mit verschiedenen Effekten auf die Leber – einmal toxisch, einmal nicht-toxisch – unterscheiden. „Viele umstrittene Tierversuche wären damit obsolet“, sagt Borchers. „Außerdem wären im Drucker erzeugte Gewebe aus menschlichen Zellen dem menschlichen Original ähnlicher als die Gewebe etwa von Mäusen, sodass die Resultate dieser Tests aussagekräftiger sein können.“

Kaum Standards, kaum reproduzierbare Ergebnisse

Die verschiedenen Forschungsbeispiele machen ein weiteres Problem klar: Es gibt viele Wissenschaftler weltweit, die an unterschiedlichsten Themen arbeiten – doch nur wenig Standardisierung und damit reproduziere Ergebnisse. Auch fehlen übergreifende Ansätze, diese Arbeiten zu bündeln sowie interdisziplinäre Projekte, um dem Bioprinting damit einen wirklichen Schub zu geben. „Unbedingt notwendig ist, dass Forschung und Industrie künftig enger zusammenarbeiten – also Ingenieure, Biologen, Chemiker, Materialwissenschaftler und Ärzte“, sagt Rimann. Die ZHAW hat sich für ihr Projekt für Sehne-Muskelgewebe beispielsweise mit der Medical Division von Weidmann Plastics, dem Pharmahersteller Novartis und Regenhu zusammengetan. Das Networking funktioniert in der Schweiz schon sehr gut, wie man an der Vielzahl von Projekten sieht.

Deutschland hätte gute Chancen beim Bioprinting

Dabei hätte auch Deutschland nach Einschätzung von Fraunhofer-IGB-Forscherin Borchers sehr gute Chancen, im Bereich Bioprinting eine führende Rolle einzunehmen: Sie blickt neidisch nach Holland: 775 000 Euro werden dort derzeit an der Universität Utrecht in die Biofabrication Facility investiert, an der übrigens auch die Universität Würzburg beteiligt ist. Hier entstehen nicht nur modernste Labore mit mehreren Bioprintern und entsprechendem Personal, sondern auch ein Studiengang, in dem biomedizinische Ingenieure für die künftige Fertigung von 3D-Geweben fitgemacht werden sollen.

Sabine Koll Journalistin in Böblingen


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Mehr über Bioprinting-Projekte sowie ein Interview mit Dr. Kirsten Borchers, Fraunhofer IGB, finden Sie in unserem Online-Magazin unter www.medizin-und-technik.de/onlineweiterlesen.
Verfügbar bis 18. Juni 2015 – also bis die nächste Ausgabe mit einem neuen Titelthema erscheint.

Ihr Stichwort
      • Bioprinting
      • Biotinte und Hydrogel
      • Gedrucktes Gewebe
      • Medikamententests
      • Gedruckte Organe
      • Spezielle Ingenieurausbildung

Hier gibt’s Bioprinter

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      • Envisiontec: Anbieter mit Hauptsitz in Gladbeck, der eine breite Palette an 3D-Druckern für unterschiedlichste Applikationen und Branchen anbietet, darunter befindet sich auch der 3D-Bioplotter. Erhältlich ist er in einer Version für Entwickler mit drei Kartuschen und in einer Version mit fünf Kartuschen, die gleichzeitig arbeiten.
      • Gesim: Das Unternehmen mit Sitz in Grosserkmannsdorf im Rossendorfer Technologiezentrum bietet ebenfalls einen Bioprinter mit dem Namen Bioscaffolder an, und zwar mit bis zu vier unabhängigen Z-Achsen und für bis zu drei Kartuschen.
      • Organovo: Das börsennotierte US-Unternehmen erzielt derzeit die wohl größte Aufmerksamkeit am Markt – nicht allein mit seinem Novogen MMX Bioprinter, sondern auch mit den damit gefertigten Lebergeweben. Andere Gewebe sollen folgen.
      • Regenhu: Das Unternehmen mit Sitz in Villaz-St-Pierre/Schweiz wurde mit dem Ziel gegründet, Bioprinter zu entwickeln, und will im zweiten Schritt vollständige Bioprinting-Lösungen mit verschiedenen printbaren Materialien anbieten. Zwei verschiedene Bioprinter sind im Programm: Biofactory als Highend-Modell sowie das kostengünstigere Modell 3D Discovery. Beide Modelle können mit Sterilhaube für das Arbeiten unter Reinraumbedingungen geliefert werden.
      • Syseng: Hat seinen Sitz in Salzgitter. Gründer und Eigentümer Hendrik John war Gründer, Mitgesellschafter und bis 2007 Geschäftsführer von Envisiontec und entwickelte hier den 3D-Bioplotter mit. Mit dem Bioscaffolder hat er nun ein eigenes Gerät entwickelt, ein 3-Achsen-Dosiersystem mit automatischer Werkzeugwechselfunktion zur Herstellung von kundenspezifischen dreidimensionalen Zellträgerstrukturen beziehungsweise patientenspezifischen Implantaten.
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