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Finnland: Ein Hotspot für digitale Gesundheit

Digital Healthcare in Finnland
Hotspot für digitale Gesundheit

Digitale Gesundheitsvorsorge in Finnland | Oulu ist nicht umsonst ein Zentrum der Telekommunikation. Dort setzen die Finnen im Sinne der Patienten auf enge Zusammenarbeit von Organisationen, Unternehmen, Kliniken und Forschungsinstituten, denn das Internet der Dinge soll auch im Bereich Gesundheit Einzug halten. Personalisierte vernetzte Gesundheitsvorsorge ist das Stichwort der Stunde.

Anke BiesterFachjournalistin im Aichstetten

Oulu ist die nördlichste Großstadt der Europäischen Union und die fünftgrößte Stadt Finnlands. Ihre Universität ist die zweitgrößte des Landes. Berühmt ist Oulu nicht nur für die jährlich ausgetragene Luftgitarren-Weltmeisterschaft, sondern auch als Zentrum der finnischen IT-Wirtschaft sowie für seine ausgeprägte Wellnesskultur.
Mit den letzten beiden Punkten ist auch der fruchtbare Boden beschrieben, durch den Oulu eine der am schnellsten wachsenden Stadtregionen Nordeuropas geworden ist. Ingenieurwissen, das sich schon früh mit Nokia auf Informationstechnologie spezialisierte, wird nun mit anderen Bereichen, zum Beispiel mit medizinischer Expertise, verflochten. Kein Wunder also, dass der Turnover in dieser Region im Bereich Life Sciences 2015 rund 500 Mio. Euro betrug. Zum Vergleich: Der finnische Export von Gesundheitstechnologien betrug in demselben Jahr 1,92 Mio. Euro.
Vernetzung von der Klinik bis zum Patienten zu Hause
Die Verknüpfung von IT und Medizin ist in der Stadt und ihrem Krankenhaus gerade im Hinblick auf den dünn besiedelten Norden interessant. Diese Region macht über die Hälfte des Landes aus, aber hier leben nur 741 000 Menschen – viele von ihnen haben es weit bis zum nächsten Arzt oder Krankenhaus. Dort sind lange Wartezeiten bisher ein echtes Manko im Gesundheitssystem. Oulu plant daher bis 2030, sein Krankenhaus mit rund 500 Mio. Euro zu modernisieren und zum smartesten Klinikum der Welt zu machen. Dazu setzen die Verantwortlichen auf die vollständige Digitalisierung des Gesundheitssektors. Ähnlich wie beim Internet der Dinge sollen nicht nur im Krankenhaus Geräte miteinander verbunden sein. Die Vernetzung soll bis in die einzelnen Häuser, beziehungsweise bis zu den Geräten und Handys der Patienten hin reichen.
Die Idee dahinter ist, dass die Menschen unabhängig von Ort und Zeit zum Beispiel per App und passendem Gerät ihre aktuellen Gesundheitsdaten selbstständig messen sowie aktuelle Daten und Vergleiche einsehen können. Ebenso einfach sollen sie einen Arzt kontaktieren können. Rezepte, Feedback und Testergebnisse werden dann elektronisch an sie übermittelt. Mit wem sie ihre Daten teilen, soll in der Hand der Patienten liegen.
Dementsprechend boomt der Markt für Eigenüberwachung und Selbstversorgungsapparate. Im Oulu University Hospital werden bereits heute moderne Überwachungstechnologien eingesetzt, zum Beispiel mit dem Patienten Monitoringsystem Esko, das basierend auf den Anforderungen von Gesundheitsexperten mit fortschrittlichen Techniken entwickelt wurde. Ebenso „top of the art“ sind nach eigenen Angaben die Lösungen für die Notfallversorgung.
Und um beim Bild vom fruchtbaren Boden zu bleiben: Damit Forschungsergebnisse schnell und effektiv in Produkte und Dienstleistungen umgewandelt werden, düngt Oulu Health fleißig den Acker. Es ist eines von fünf Zentren der strategischen Partnerschaft Oulu Innovation Alliance (OIA) und gehört zum internationalen Netzwerk der European Connected Health Alliance.
Direktes Feedback von Experten
Ein Beispiel: Damit neue Technologien und Verfahren die wirklichen Bedürfnisse der Anwender treffen, wurden die Oulu Health Labs gegründet: Im Oamk Sim Lab der Oulu University of Applied Sciences werden Produkte und Ideen von professionellen Lehrern für Gesundheitsversorgung und Studenten getestet. Umgekehrt können Mitarbeiter im Simulated Test Lab trainiert werden. Auf den täglichen Gebrauch der Technik zu Hause hat sich das Oulu City Lab konzentriert: Hier können Produkte und Dienstleistungen in allen Sozial- und Gesundheitsfürsorgebereichen in der Stadt Oulu getestet werden – direktes Feedback von Experten und Nutzern inklusive.
2015 eröffnete das OYS Test-Lab des Oulu University Hospital (OYS). Es dient als erste Testumgebung für den Klinikbereich. Mögliche Produkte und Verfahren können an unterschiedliche Testszenarien angepasst werden. „Alles ist angepasst an die Bedürfnisse, modular aufgebaut, dynamisch und schnell zu ändern. Derzeit können wir 90 Prozent der Gesundheitsvorsorge in einem Klinikum simulieren”, erklärt Timo Alalääkkölä, Projektmanager von OYS Test-Lab auf der Internetseite von Oulu Health.
Nicht nur die multi-disziplinäre Zusammenarbeit und Rapid Prototyping treiben geplante Entwicklungen voran. Besonders die Einbindung von Patienten ermöglicht auf die realen Bedürfnisse abgestimmte Produkte. „Wir haben Patienten, die als Beobachter an solch simulierten Behandlungen teilnehmen und wertvolles Feedback geben“, sagt Alalääkkölä.
Mit „Wille“ zum 5G-Netzwerk
Wie so ein Projekt erfolgreich durchgeführt werden kann, zeigt sich beim Wireless Lab Environment for Business, kurz „Wille“: In ihm sollen bessere medizinische Dienste entwickelt werden, die die tägliche Arbeit und Notfallversorgung in Kinderkliniken unterstützen. „In diesem Projekt, das vom Centre of Health and Technology koordiniert wird, nutzen wir das OYS test lab, beziehen die Eltern von kranken Kindern mit ein, um ihre Bedürfnisse kennenzulernen, arbeiten mit Gesundheitsexperten des Oulu University Hospitals zusammen, unterstützen Unternehmen und entwickeln ein 5G-Netzwerk für das OYD test lab”, zählt Petri Karinen, Head of International Affairs and Senior Advisor bei Business Oulu auf.
5G? Ja: Damit die digitalen Datenmengen dieser smarten Umgebung allerorten auch schnell übertragen werden können, setzt Oulu ganz auf die fünfte Generation des Mobilfunks, 5G. Sie soll Datenraten von bis zu 10 Gigabit pro Sekunde erreichen und wäre damit etwa 10-mal so schnell wie der aktuelle LTE-Standard. In vielen EU-Ländern steckt diese Technik noch in der Entwicklungsphase, doch Finnland plant, das Netz so schnell wie möglich allen zugänglich zu machen. Oulu will das erste 5G-Krankenhaus der Welt werden.
Dabei geht die Digitalisierung bis auf die Probenebene hinunter: Die finnische Biobank Borealis entwickelt ein digitales Ökosystem für nationale Biobanken. Forscher können bald auf Gewebeproben in Form hochaufgelöster Bilder zugreifen. Professionell gewartete Mustersammlungen können mit Informationen aus der klinischen Versorgung und akkumulierten Forschungsdaten verknüpft werden. Eine neue Infrastruktur für Probensammlungen, Management und Datenbankauswertungen entsteht. Gemeinsam mit dem Forschungsprogramm der Geburtenkohorten-Studien ergeben sich daraus beste Forschungsmöglichkeiten.
Optimale Voraussetzungen also für Forscher und Start-ups. Das betont auch Petri Karinen: „Weltweit gibt es etwa 5000 Gesundheits- und Wellness-Startups, mehr als 300 von ihnen kommen aus Finnland, Tendenz steigend. Hier arbeiten Start-ups, die öffentliche Hand und Forschungsorganisationen gut zusammen.“ Eines von vielen Beispielen ist die 2011 gegründete Spektikor AG aus Oulu. Das Unternehmen produziert einen 149 mm x 54 mm kleinen und 40 g leichten Herzschlagmesser für medizinisches Fachpersonal. Mit LEDs und einem Zifferndisplay visualisiert das Gerät die Herzfrequenz des Patienten und erlaubt das Überwachen mehrerer Patienten aus einiger Entfernung. Er wird bereits in Krankenwagen genutzt, von Rettungssänitätern in neun finnischen Krankenhausdistrikten und den finnischen Streitkräften.
Auch im Ausland weiß man um das Potenzial: Das deutsche Cluster Medical Mountains aus Tuttlingen kooperiert eng mit dem Cluster Business Oulu. Die Digitalisierung der Medizintechnik soll forciert werden. ■
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