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Wo der Preis nicht mehr zählt

Metalle: Anwender auf der Suche nach dem perfekten Material
Wo der Preis nicht mehr zählt

Wo der Preis nicht mehr zählt
Den Umgang mit den speziellen Eigenschaften von Formgedächtnismetallen haben noch nicht alle hiesigen Hersteller von Medizinprodukten im Griff. Anwendungen wie Gefäß-Stents in den USA zeigen, welches Potenzial sich aus den Rohteilen herauskitzeln lässt Bild: Euroflex
Standard-Werkstoffe für Kanülen und Katheter kommen aus Asien. Von den dortigen Anbietern wollen sich die hiesigen Werkstoff-Fachleute mit ihrem Know-how abheben. Sie beraten Anwender bei der Metall-Wahl für innovative Produkte.

Wenn die minimal-invasive Chirurgie Erfolge feiert und Implantate stabiler werden, haben auch Werkstoff-Spezialisten ihren Anteil daran. „Die Anforderungen an Oberflächengüte, Mikrostruktur, Festigkeit und Biegeeigenschaften steigen, und unsere Techniker diskutieren mit den Anwendern, was mit Stählen oder verschiedenen Legierungen heute machbar ist“, sagt Detlef Artmeyer, Vertriebsleiter bei der Zapp Medical Alloys GmbH, einer Tochtergesellschaft der Zapp AG in Schwerte. Unter diesem Dach hat der Werkstoff-Anbieter seit 2005 seine Aktivitäten für die Medizintechnik-Branche gebündelt, so dass Drähte, Stäbe, Profile, Bänder und Bleche aus Stahl, Titan und seinen Legierungen ebenso wie Chrom-Cobalt-Materialien aus einer Hand verfügbar sind.

„Unter unseren neuen Werkstoffen stößt beispielsweise ein nickelfreier, austenitischer Edelstahl auf Interesse“, so Artmeyer. Dieser sei für Spezialanwendungen wie die Wirbelsäulenchirurgie eine relativ günstige Alternative zum Reintitan, und „das war auch der Grund, weshalb wir ihn ins Programm aufgenommen haben – obwohl die Hoch-Zeit der nickelfreien Werkstoffe etwa zehn Jahren zurückliegt.“
Die Anforderungen der Anwender an das Rohmaterial stoßen laut Artmeyer heute zum Teil schon an technische Grenzen. „Die geforderte Fehlertiefe bei Stäben oder die geforderte Geradheit ist manchmal im industriellen Maßstab schon nicht mehr zu machen“, sagt der Schwerter. Solche Aufträge setzt Zapp in einer Art Werkstattfertigung um, die auch den oft nur geringen geforderten Mengen entspricht. „So haben wir die Möglichkeit, die Qualität häufiger im Binokular zu prüfen oder Proben ins Labor zu geben.“ Solcher Service hat seinen Preis, aber die innovativen Entwickler wissen ihn zu schätzen.
Für die Zukunft rechnet Artmeyer zwar nicht mit einer Vielzahl neuer Werkstoffe auf dem Markt – dafür sei die Zulassung denn doch zu aufwändig –, aber sowohl das Formgedächtnismetall Nitinol, eine Legierung auf der Basis von Nickel und Titan, als auch Magnesium-Legierungen sind seiner Ansicht nach „spannende Wachstumsbereiche, mit denen wir uns beschäftigen“.
In diesem Segment rechnet auch Dr. Jochen Ulmer, Technical Manager bei der Pforzheimer Euroflex GmbH, mit einer Vielzahl zukünftiger Entwicklungen. „Nitinol ist bei hiesigen Medizintechnik-Herstellern zwar dem Namen nach bekannt“, sagt er, „aber den Umgang mit den speziellen Eigenschaften dieses Materials haben noch nicht alle im Griff.“ In klassische Simulationsprogramme seien die relevanten Daten so gut wie nicht integriert, und mancher Anwender habe sich nach dem ersten Versuch enttäuscht vom Nitinol angewendet. „Man muss sich mit dem Werkstoff beschäftigen – aber die Anwendungen in den USA zeigen uns, was darin an Potenzial steckt.“ Gefäß-Stents für die Venen im Beim seien ein Beispiel dafür. Sie überstehen das Knicken des Kniegelenks unbeschadet und seien mit keinem anderen Material zu realisieren.
Abgesehen vom High-Tech-Werkstoff Nitinol experimentieren die Hersteller aber auch mit verbreiteteren Materialien. Gerade wer Katheter oder andere Klasse-1-Produkte anbiete, probiere eher mal eine neue Werkstoff-Lösung aus, hat Euroflex-Mitarbeiter Dr. Ulmer beobachtet. Derzeit gehe es vor allem darum, mögliche Nachteile bei den etablierten Werkstoffen „auszubügeln“, beispielsweise den Nickelanteil im Stahl auf Null zu senken oder mit Werkstoffen höchster Reinheit zu arbeiten, um auch kleinste Teile in hoher Qualität fertigen zu können. „Da gehen wir mit unseren Anwendern in Nischen, bei denen der Preis praktisch keine Rolle mehr spielt.“ Halbzeuge aus Standard-Werkstoffen, die in großen Mengen für Kanülen oder Katheter gebraucht werden, seien hingegen für hiesige Anbieter aus Preisgründen praktisch kein Thema mehr. „Dieses Segment ist etwas für Anbieter aus Asien.“
Für den Einsatz von Magnesium-Legierungen wagt Ulmer noch keine Prognosen. Geeignete Materialien seien vorhanden, mit denen sich beispielsweise im Körper abbaubare Stents fertigen ließen. „Die Forschung an solchen Ansätzen läuft seit fünf oder sechs Jahren, aber marktreife Produkte sind bisher noch nicht entstanden.“ Wer sich hier engagiere, müsse also über einen „langen finanziellen Atem“ verfügen. Gerade in diesem Segment könnten aber auch die Verpflichtungen zur Verschwiegenheit dazu führen, dass noch wenig über den aktuellen Entwicklungsstand bekannt ist.
Die Konkurrenz durch Kunststoffe fürchtet der Pforzheimer nicht. „Natürlich fallen wegen der steigenden Rohstoffpreise aus Kostengründen immer wieder Einwegprodukte weg“, räumt er ein. Aber für viele implantierbare Werkstoffe, auf die sich Euroflex spezialisiert habe, seien Kunststoffe einfach noch keine Alternative. „Sie erreichen nicht die geforderte Stabitlität, und auch ihre langfristige Biokompatibilität ist noch nicht geklärt.“
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de

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Nitinol ermöglicht andere Instrumente
Wie man Ideen, die den Einsatz des Formgedächtniswerkstoffes Nitinol erfordern, in medizinische Produkte umsetzt, wissen die Experten der Karlsruher Endosmart GmbH, die 2002 von zwei ehemaligen Mitarbeitern des Forschungszentrums Karlsruhe gegründet wurde. „Seit fünf Jahren entwickeln und fertigen wir Nitinol-Teile speziell für die Medizintechnik-Branche“, sagt Dr. Bernd Vogel, einer der beiden Gründer.
Die Anwendungsmöglichkeiten reichten weit über Implantate wie Stents oder ähnliche Anwendungen hinaus, betont der Firmenchef. Instrumente wie Sauger oder Spatel aus herkömmlichen Metallen, die sich ein Chirurg während der OP für den Patienten individuell zurechtbiege, versuche das Klinikpersonal heute oftmals mit mäßigem Erfolg wieder in die ursprüngliche Form zu bringen – bis der Arzt das unansehnliche Instrument nicht mehr benutzen möchte oder kann. Bei medizinischen Instrumenten aus Nitinol bleibe die Biegefähigkeit für den Einsatz im OP erhalten, aber das Gerät komme nach der Hitzesterilisation in der alten Form, also „wie neu“ aus dem Autoklaven.
Um solche Teile zu fertigen, brauche es allerdings anderes Know-how als beim Verarbeiten klassischer Metallwerkstoffe. „Gerade das Schweißen ist eine heikle Angelegenheit: Wenn man da einen Fehler macht, wird das Material spröde und bricht.“ Laut Vogel seien es vor allem solche Erfahrungen, die Medizintechnik- Anbietern den Spaß am neuen Material verdürben. Dabei seien die Vorteile der vielfach wieder einsetzbaren Instrumente aus Nitinol auch gegenüber dem Einkäufer in einer Klinik zu argumentieren. „Diese Geräte kosten heute nur noch das zwei- oder dreifache eines herkömmlichen Instruments, und das kann sich durchaus lohnen“, sagt der Karlsruher.
Weitere Einsatzgebiete seien Instrumente für die Urologie, wie beispeilsweise spitzenlose Fangkörbchen für das Entfernen von Nierensteinen oder Spreizsysteme für den OP, die ohne Federstrukturen elatisch seien. „Hierbei zählt, dass sich die neuen Systeme besser reinigen lassen.“ Beratung und Fertigung von bis zu 1000 Teilen pro Monat übernehmen die Karlsruher.
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