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Risikobewertung – in Zukunft weniger Tierversuche

Biologische Sicherheit
Risikobewertung – in Zukunft weniger Tierversuche

Risikobewertung – in Zukunft weniger Tierversuche
Mit Zellkulturen lassen sich auch ohne Tierversuche die Effekte nachweisen, die Inhaltsstoffe auf das Gewebe haben können Bild: Fotolia/kazoo80
Biologische Sicherheit | Um das toxikologische Risiko von Medizinprodukten zu bewerten, wurden bisher Daten aus Tierversuchen eingesetzt. Für die Pharmabranche sind bereits Verfahren beschrieben, die solche Experimente ersetzen können. Ähnliche Regelungen sind für Medizinprodukte in Vorbereitung.

Dr. Albrecht PothDr. Knoell Consult, Mannheim

Wer für ein Medizinprodukt eine weltweite Zulassung erhalten will, muss Aussagen zur biologischen Sicherheit seines Produktes machen. Bisher waren aufwendige Tierversuche, die unerwünscht und auch mit hohen Kosten verbunden sind, die einzige Möglichkeit, zu den erforderlichen Daten zu kommen. Die Normenreihe ISO-10993, die solche Tests beschreibt, umfasst nicht weniger als 20 Teile.
Den Rahmen für die Bewertung legt bisher Anhang A der DIN EN ISO 10993-1: „Beurteilung und Prüfungen im Rahmen eines Risikomanagementsystems“ fest. Demnach müssen für ein Medizinprodukt die toxikologischen Endpunkte bestimmt werden, basierend auf dem Kontakt zum Patienten beziehungsweise der Kontaktzeit. Diese Endpunkte sind bei der Bewertung der biologischen Sicherheit zu berücksichtigen.
Aber schon seit 2007 diskutiert der Expertenkreis des ISO TC 194, der sich mit der ISO-10993-Normen-Serie befasst, neue Konzepte der Risikobewertung – auch als Alternative zum Tierversuch. Anregungen dafür liefert beispielsweise der Pharmabereich. Auf dieser Basis wurde ein systematischer Prozess vorgeschlagen, der in der derzeit aktuellen DIN EN ISO 10993-1:2010-04 beschrieben ist.
Weitere Änderungen sind jedoch bereits in Vorbereitung. Sie sollen dazu führen, dass auch Möglichkeiten der alternativen Toxikologie in die Bewertung von Medizinprodukten einfließen können – beispielsweise der Nachweis nachteiliger Effekte durch Zellkulturmethoden.
Im Zuge dieses Prozesses werden die drei für die biologische und toxikologische Bewertung wichtigen Normenteile (DIN EN ISO 10993-1, -17, -18) überarbeitet und an die neuen Gegebenheiten angepasst. Weitere Änderungen werden in den anderen Normenteilen erwartet
Tierversuche erst im zweiten Schritt – wenn überhaupt
Nach Revision der ISO 10993-1, etwa Anfang bis Mitte 2018, wird künftig der Fokus auf der quantitativen und qualitativen Charakterisierung der Medizinprodukte liegen und die Durchführung von Tierversuchen, wenn überhaupt notwendig, in einem zweiten Schritt erfolgen. Extrahierbare und herauslösbare Bestandteile zu bestimmen, wird ein wichtiger Aspekt sein, denn so lassen sich auch prozessbedingte Verunreinigungen feststellen – im Pharmabereich ist das für Produkte wie Nasalapplikatoren oder Verschlussmaterialien von Behältnissen bereits etabliert. Die genaue Vorgehensweise wird in der revidierten Fassung der DIN EN ISO 10993-18: „Chemische Charakterisierung von Werkstoffen“ beschrieben, mit der Ende 2018/Anfang 2019 zu rechnen ist.
Welche Methoden angewendet werden, um die tolerierbaren Aufnahmemengen oder die tolerierbaren Kontaktgrenzwerte der Bestandteile zu bestimmen, beschreibt die DIN EN ISO 10993-17 „Verfahren zur Festlegung zulässiger Grenzwerte für herauslösbare Bestandteile“. In deren für Mitte/Ende 2019 erwarteter Revision werden neue Konzepte der Risikobewertung aufgenommen.
Ob ein toxikologisches Risiko von den Bestandteilen ausgeht, wird anhand vorliegender Daten aus der Literatur abgeleitet oder auch mittels Prüfungen. Wie intensiv ein Patient mit herauslösbaren Bestandteilen in Kontakt kommen darf, hängt auch von seinem Körpergewicht ab. Weitere Faktoren sind die Häufigkeit der Anwendung, die Qualität der zugrunde gelegten Daten und die Übertragung tierexperimenteller Daten auf den Menschen. So kommt man schließlich zu Grenzwerten auch für solche Substanzen, für die keine toxikologischen Daten vorliegen
Bewertung ist eine Aufgabe für Experten
Datenrecherche, Datensichtung, die Herleitung möglicher Grenzwerte, die Bestimmung und Anwendung von Sicherheitsfaktoren, die Expositionsberechnung, aber auch der Einsatz von Struktur-Wirkungs-Beziehungs-Modellen für chemische Substanzen, für die keine toxikologischen Daten vorhanden sind, werden von Wissenschaftlern erstellt werden müssen, die über eine fundierte toxikologische Ausbildung verfügen.
Es ist davon auszugehen, dass die Vorgehensweise ohne weitere Tierversuche bei vielen toxikologischen Endpunkten erfolgreich angewendet werden kann. Wo die Form des Medizinproduktes eine Rolle spielt – wie bei der Implantation und Blutverträglichkeit der Produkte –, lässt sich das Vorgehen allerdings nicht übertragen.
Weitere Punkte sind Irritation und Sensibilisierung. Beispiele aus der Zulassung kosmetischer Rohstoffe oder Industriechemikalien zeigen, dass es hierfür schon validierte Alternativmethoden gibt. Sie sind im Einsatz und in OECD- oder EU-Prüfrichtlinien dokumentiert.
Dabei handelt es sich meist um zellbasierte Prüfsysteme. Anfang September 2016 startete ein Ringversuch, um ein solches Prüfsystem mit dreidimensionalen Human-Hautmodellen zu validieren. Es soll das mögliche irritative Potenzial von Medizinprodukten vorhersagen. Hierzu wurden Polymermaterialien hergestellt, die Chemikalien mit irritativer wie auch nicht-irritativer Wirkung in geringer Menge enthalten. Mehr als 10 Prüflaboratorien nehmen an dieser Ringstudie teil, die die Reproduzierbarkeit bewerten soll. Wird das Prüfverfahren validiert, ist davon auszugehen, dass diese Variante auch für Medizinprodukte relevant wird. Da bei der Sensibilisierung die gleiche Vorgehensweise geplant ist, wird zukünftig für alle Arten von Medizinprodukten eine Vorhersage mit zellbasierten Prüfsystemen möglich sein.
Sind die Verfahren global etabliert, wird das voraussichtlich die Bewertung beschleunigen und die Kosten senken. Die In-Vitro-Ersatzmethoden werden den finanziellen und zeitlichen Aufwand im Vergleich zum Tierversuch allerdings nicht reduzieren. Hier ist der Verzicht auf Tierversuche das entscheidende Argument. So leistet auch die Medizinprodukteindustrie einen Beitrag zum 3R-Prinzip („Reduce, Replace, Refine“) , das im vierten Artikel der Tierversuchsrichtlinie 2010/63/EU beschrieben ist. ■
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