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(Fast) alle Länder machen mit

Patente in der EU: Welche Chancen und Risiken das Einheitspatent für Mittelständler bringt
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Einheitliche Spielregeln sind gut – aber ob sich die Hoffnungen auf sinkende Kosten für die Schutzrechte erfüllen, ist noch nicht klar Bild: Fotolia/fotomek
Das EU-weit gültige, so genannte „Einheitspatent“ geht weiter als das Europäische Patent und wird seit langem unter Anwälten und in der Industrie diskutiert. 2015/2016 soll es nun starten, mit Vor- und Nachteilen für die Hersteller von Medizinprodukten.

Wer sich heute in mehreren Staaten der EU eine Erfindung patentieren lassen will, kann sich für eine einmalige Anmeldung beim Europäischen Patentamt entscheiden und erhält damit das EP-Patent: ein Bündelpatent, das in allen EU-Staaten und zusätzlich in zehn weiteren EPÜ-Staaten Schutz bieten kann. Eingeführt wurde diese Möglichkeit vor gut 40 Jahren, und sie genießt in Europa wie auch international einen guten Ruf und bietet hohe Qualität beim Schutz. Bei der Einführung des EP-Patents gab es allerdings viele Unsicherheiten, wie sich die grenzübergreifende Umsetzung gestalten würde.

Eine ähnliche Situation bietet sich heute, da eine Idee Wirklichkeit werden soll, deren Ursprünge weiter zurückreichen als das EP-Patent. Die Rede ist vom Einheitspatent, das seit über 50 Jahren auf der Agenda der Europäischen Union steht. Es wird auch als Gemeinschaftspatent oder als Patent mit einheitlicher Wirkung bezeichnet und soll, wenn es eingeführt ist, den Schutz von Erfindungen stärker vereinheitlichen, als das bisher beim EP-Patent der Fall ist.
Obwohl sich der Weg zum Einheitspatent lange zog, scheint eine Einigung nun nicht mehr fern. Der wichtigste Meilenstein: Bereits am 19. Februar 2013 wurde das „Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht (EPGÜ)“ von 24 EU-Staaten unterzeichnet. Nur Spanien und Polen waren nicht mit von der Partie. Insgesamt sind allerdings drei Gesetzgebungswerke, die als „Patent-Reform-Paket“ bezeichnet werden, erforderlich, um das Einheitspatent einzuführen. Neben dem EPGÜ gehören dazu die „Verordnung über das Einheitspatent“ und die „Verordnung über die Übersetzungsregelungen zum Einheitspatent“. Beide wurden bereits am 31. Dezember 2012 veröffentlicht. Somit sind die Dinge zwar weit fortgeschritten, aber einige Fragen gilt es noch zu klären.
Um zu verstehen, was sich im Patentrecht ändern kann, lohnt sich ein Blick auf die gültigen Regelungen. Das Europäische Patent (EP-Patent) ist im Grunde ein Hilfs- oder Zwischenkonstrukt, das seit 1973 gilt und manches, aber längst nicht alles vereinheitlicht. Als Bündelpatent zerfällt es, sobald das EPA das Patent erteilt hat, in nationale Patente und muss national aufrechterhalten werden. So zahlt der Inhaber seine Jahresgebühren an die nationalen Patentämter und muss Übersetzungen in die jeweiligen nationalen Sprachen liefern – auch wenn dieser Aspekt durch das Londoner Abkommen vereinfacht wurde. Bei Verletzungs- oder Nichtigkeitsverfahren muss er seine Ansprüche vor den nationalen Gerichten geltend machen, was einen nicht unerheblichen Aufwand mit sich bringt. Beispielsweise müssen in den einzelnen Ländern nationale Vertreter benannt werden, die vor den Gerichten vertretungsberechtigt sind und mit Rechtsprechung und Gesetzen dort vertraut sind. Besonders in der exportorientierten Medizintechnik ist dies für mittelständische Unternehmen von hoher Bedeutung. Aufgrund nationaler Verletzungs- und/oder Nichtigkeitsverfahren kann das ursprünglich erteilte EP-Patent auch unterschiedliche Wirkungen in den einzelnen nationalen Staaten entfalten.
Diese Nachteile soll das Einheitspatent zukünftig überwinden: Die Jahresgebühren würden nach der Patenterteilung nur noch an das Europäische Patentamt als zentrale Institution gezahlt. Die Vorgabe, die Texte zu übersetzen, soll entfallen. Die derzeit größte Herausforderung ist aber immer noch die einheitliche Gerichtsbarkeit, die für alle Verfahren zuständig wäre. Dieses Thema hat die Europäische Union vor allem an der Umsetzung des Einheitspatents gehindert. Doch ist deren Aufbau inzwischen schon in vollem Gang ist. So werden bereits die Richter des Einheitspatentgerichts (EPG) ausgesucht und die einzelnen Kammern etabliert. Das Ziel all dieser Aktivitäten ist, dass das Einheitspatent im Zeitraum 2015/ 2016 verwirklicht und erteilt werden kann. Der zweite Stolperstein ist die bis heute nicht realisierte einheitliche Sprachenregelung für alle Mitgliedstaaten.
Aber auch darüber hinaus gibt es noch Dinge zu klären. So tritt das unterzeichnete EPGÜ unter anderem erst dann in Kraft, wenn mindestens 13 Mitgliedstaaten das Abkommen ratifiziert haben. Deutschland, Großbritannien und Frankreich müssen laut Art. 89 Abs. 1 EPGÜ zwingend darunter vertreten sein. Mit Stand vom 31.12.2014, haben aber erst sechs Staaten unterzeichnet – Deutschland und Großbritannien sind nicht dabei. Jedoch wird für 2015 die erforderliche Ratifikation für beide Länder erwartet.
Bisher sind auch Fragen zur Gebührenordnung noch nicht geklärt. Es wird eine Gebührenhöhe erwartet, die etwa dem entspricht, was ein Anmelder für vier bis fünf nationale Validierungen des bisherigen EP-Patents zu zahlen hätte. Ein EP-Patent, das in weniger als vier Staaten aufrechterhalten wird, wäre demnach günstiger als das neue Einheitspatent.
Das Einheitspatent ist allerdings keine Lösung, auf die sich alle mittlerweile 28 EU-Staaten geeinigt hätten, sondern lediglich eine so genannte „Verstärkte Zusammenarbeit“ im Rahmen des Vertrags von Amsterdam. Italien und Spanien sind wegen einer mangelnden Sprachenübereinkunft frühzeitig ausgestiegen.
Seitens der Industrie wird die Kostenfrage besonders kritisch betrachtet. Die anfängliche Hoffnung, dass die entfallenden Übersetzungen und das einheitliche Verfahren nach der Patenterteilung die Kosten gegenüber dem EP-Patent sinken lassen würden, wird sich nach dem derzeitigen Stand nicht erfüllen. Sowohl die Kosten der Aufrechterhaltung der Patente als auch die „zentralisierten“ Gerichtskosten werden höher sein als ursprünglich angenommen. Dazu kommen Unsicherheiten, was die tatsächliche Arbeit des völlig neuen Gerichtssystems angeht: Wie werden zum Beispiel Patentverletzungsverfahren und Nichtigkeitsverfahren gehandhabt? Welche Anwälte können die Unternehmen vertreten? Sind zusätzliche Ausbildungen für Rechts- und/oder Patentanwälte notwendig? Diese Fragen sind noch nicht geklärt.
Trotz aller Schwierigkeiten und berechtigter Einwände wird aber letztendlich kein Weg am Einheitspatent vorbeiführen. Daher müssen sich Anwälte, die Verantwortlichen in den Unternehmen sowie Erfinder mit dem Thema befassen. Und es bieten sich mit dieser Veränderung Chancen, das Patentrecht zu vereinfachen – und das könnte gerade Mittelständlern zu Gute kommen.
Dr. Dieter Westphal Forum Medtech Pharma, Nürnberg
Weitere Informationen Über alles, was mit dem Einheitspatent zusammenhängt, informiert die Fachtagung der Bayern Innovativ und des Forum Medtech Pharma am 9. Juni 2015 im Deutschen Patent- und Markenamt in München. www.medtech-pharma.de

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