Hydrogele aus vernetzten Polymeren helfen, Wunden zu heilen, oder sie machen Kontaktlinsen verträglich. Wie Göttinger Wissenschaftler jetzt herausfanden, sind „intelligente“ Hydrogele auch ein lebenswichtiger Bestandteil unserer Körperzellen. In winzigen Kernporen der Zellkernhülle wirken sie wie hoch selektive Siebe, die den Stoffaustausch kontrollieren.
In einer menschlichen Zelle werden in jeder Minute mehrere Millionen Zellbausteine zwischen Zellkern und Zytoplasma hin und her transportiert. Dabei müssen die Kernporen innerhalb von Millisekunden akribisch unterscheiden, was den Kanal passieren darf und was nicht. „Diese enorme Effizienz hat etwas Faszinierendes und wir möchten verstehen, wie die Zelle diese erreicht“, erklärt Dirk Görlich, Leiter der Abteilung Zelluläre Logistik am Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie. Die Erkenntnisse könnten nach Ansicht der MPI-Wissenschaftler dazu beitragen, neue Materialien für die Biotechnologie oder Medizintechnik zu entwickeln: Denn Hydrogele sind bereits jetzt aus unserem Alltag kaum noch wegzudenken. Sie dienen als Superabsorber in Hygieneartikeln oder sind wichtiger Bestandteil von Kontaktlinsen und Wundauflagen. „Intelligente Hydrogele, die mehr leisten als nur Wasser zu speichern, könnten Impulse liefern,“ so Zellbiologe Görlich.
Die Untersuchung der Fragestellung war jedoch kein leichtes Unterfangen, denn eine einzelne Kernpore besteht aus rund 700 Proteinmolekülen oder etwa 20 Mio. Einzelatomen. Die Göttinger Wissenschaftler konzentrieren sich daher auf die Barriere im Kanal der Kernpore. Sie lässt kleinste Moleküle passieren, verhindert jedoch den Durchtritt größerer Zellbausteine.
Verblüffend sind die „intelligenten“ Eigenschaften dieser Barriere: Denn binden sich größere Zellbausteine an molekulare Shuttle-Proteine, können sie die Barriere überwinden. Neben den Shuttle-Proteinen werden auch Kernporenproteine (Nups) gebraucht, doch wie sie die hoch selektive Barriere bilden und aufrechterhalten, war bislang umstritten.
Görlichs Team postulierte dazu ein Modell: Besondere Bereiche bestimmter Kernporenproteine lagern sich zusammen und bilden ein dreidimensionales Sieb, in das Wasser eingelagert ist und das deshalb als Hydrogel bezeichnet wird. Bastian Hülsmann, Wissenschaftler in der Abteilung Zelluläre Logistik, gelang es nun erstmals, die Funktionsweise der Barriere unter Bedingungen zu untersuchen, wie sie in lebenden Zellen herrschen. Wichtige Dienste lieferte ihm dabei der afrikanische Krallenfrosch. Aus seinen Eiern stellte der Biochemiker einen Extrakt her, der alle Komponenten enthielt, um funktionsfähige Zellkerne zusammenzubauen. Im nächsten Schritt wurde getestet, welche Proteine der Kernpore für die Barriere gebraucht werden.
Den drastischsten Effekt gab es, wenn den Zellkernen das Protein Nup98 fehlte: Die Barriere der Kernpore brach in sich zusammen. Kernporen, die alles durchlassen, entstanden auch, wenn die Proteine so verändert wurden, dass sie nicht mehr in der Lage waren sich zu vernetzen und ein Hydrogel zu bilden. Die Versuche bestätigen also, dass die Barriere aus einem „intelligenten“ Hydrogel besteht.
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