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Bilder und Patientendaten per Brille

Augmented Reality im OP: Mehr Sicherheit für den Patienten
Bilder und Patientendaten per Brille

Augmented Reality im OP wird heute erforscht und könnte in zehn Jahren schon Alltag sein – wobei die Systeme dafür nicht zwingend von Medizinprodukteherstellern stammen, wie Prof. Dr. med. Claus-Dieter Heidecke und PD Dr. med. Maciej Patrzyk vom Uniklinikum Greifswald erläutern.

Herr Dr. Patrzyk, welche Rolle hat Augmented Reality in der Chirurgie?

Patrzyk: Augmented Reality erweitert durch eingespielte Bilder das, was wir in der Realität wahrnehmen. Und sie gibt uns die Möglichkeit, während der Operation auf einfache Weise auf eine Vielzahl von Daten zurückzugreifen. Und obwohl die Technik an sich nicht neu ist und zum Beispiel in der Industrie oder für die Navigation verbreitet genutzt wird, ist das für die Chirurgie eine Innovation. Die erste Anwendung in diesem Bereich liegt erst gut zehn Jahre zurück: Damals wurden zum Beispiel in Straßburg bei einer Nebennierenoperation CT-Bilder ins Operationsfeld übertragen. Seither hat sich in der medizinischen Nutzung vielgetan.
Wie wird das im OP-Umfeld heute genutzt?
Heidecke: Man muss vorwegschicken, dass wir derzeit noch vor allem von Forschungsprojekten und Prototypen reden. Am Markt verfügbar ist nur eine Entwicklung vom Fraunhofer Mevis. Das System setzt für Leberoperationen 2D-CT-Daten in dreidimensionale Darstellungen um, die Pfortader, Gallengänge, Venen, Arterien und den Tumor erkennbar machen. Aus diesen Daten wird ein Vorschlag für den Ablauf der Operation errechnet, der dann im OP auf dem iPad verfügbar ist. Der Vorteil ist, dass das System die kritischen Stellen kennt und Sicherheitsabstände für jeden Schnitt einkalkuliert. Unter den Forschungsprojekten sind heute Anwendungen bei neurochirurgischen Operationen am Kopf am weitesten gediehen. Da der Kopf während des Eingriffs fixiert wird, muss die Software keine nennenswerten Bewegungen im Körper des Patienten berücksichtigen. Aber an Programmen, die auch Atmung und Herzschlag und deren Auswirkungen aufs Gewebe berücksichtigen, wird schon gearbeitet.
Was ist die Vision für die Chirurgie?
Heidecke: In Zukunft sind alle Daten im Rechner, zum Beispiel Daten einer Leber mit allen relevanten Markierungen, und das System meldet während der Operation, wenn ein Schnitt sich zu weit in Richtung gefährdeter Strukturen bewegt. Noch weiter gedacht wäre auch eine Kombination mit Robotern denkbar.
Wo liegen die größten Vorteile, die Augmented Reality zu bieten hätte?
Heidecke: Wir können beim Eingriff sehr nahe an Strukturen wie eine bestimmte Ader heran, um einen Tumor zu entfernen – näher als heute. Die Technik schützt also den Patienten.
Wie bewerten Sie die Möglichkeiten, die Daten in den OP zu bringen?
Patrzyk: Tragbare Technologie ist eindeutig ein Trend der Zukunft. Eine Datenbrille wäre aus meiner Sicht eine sehr gute Lösung, denn damit hat man die Hände frei, was für einen Chirurgen zählt. Auch wenn Google Glass wegen vieler Bedenken nicht kommen wird, gibt es eine ganze Reihe kleiner und kleinster Unternehmen, die sich mit ähnlichen Geräten befassen, die sich auch für den Einsatz in der Medizin eignen würden.
Wer wird solche Systeme anbieten?
Patrzyk: Apple selbst hat das Thema Augmented Reality bei Leberoperationen bekannt gemacht, und es gibt viele Techniken aus der Unterhaltungselektronik, die ihren Weg in die Medizin gefunden haben. Daher würde es mich nicht wundern, wenn Produkte für Augmented Reality in der Chirurgie nicht von klassischen Medizinprodukteherstellern kommen.
Heidecke: Die ersten Entwicklungen können von kleinen Unternehmen stammen, die dann sicher, wie in der Pharmabranche, von Konzernen übernommen werden. Allerdings sind die Hürden für medizinische Anwendungen hoch, was im Sinne der Patientensicherheit aber sinnvoll ist.
Welche Ansätze führen eventuell in die Irre?
Patrzyk: Alles, was bisher vorgeschlagen wurde, wird weiter verfolgt, so dass man nicht sagen kann, dass irgendjemand einen falschen Weg eingeschlagen hätte.
Heidecke: Auf den falschen Weg könnte man eher geraten, wenn man an die Anwendungen denkt. Was man mit solchen Systemen tut, sollte immer dem Patientennutzen dienen und darf keine Spielerei sein. Falsch wäre im Übrigen auch, wenn sich Mediziner auf die Technik verließen und davon verleitet würden, bei einer Operation höhere Risiken einzugehen. Aber das lässt sich durch ausführliche Trainings im Vorfeld vermeiden.
Wie schwierig ist es für Ärzte, mit Augmented-Reality-Systemen zu operieren?
Heidecke: Ohne Übung ist das nicht möglich. Aber das gilt natürlich für jede neue Operationstechnik. Die Zeit zu hospitieren und zu lernen, muss man sich geben. Völlig neu ist ja auch, dass uns plötzlich eine wirkliche Datenflut zur Verfügung steht. Den Umgang damit muss man lernen – auch für eventuell auftretende Stress-Situationen, damit es dann nicht zu Verwirrungen kommt.
Patrzyk: Eine Brille wie Google Glass habe ich bei Demonstrationen als sehr gut intuitiv bedienbar erlebt. Und damit wäre es sogar möglich, den Patienten beim ersten Blick auf ihn über den Rechner identifizieren zu lassen und die zu ihm gehörenden Daten eingespielt zu bekommen. Auch das würde zur Sicherheit beitragen.
Welche Rolle wird Augmented-Reality in den Operationssälen in fünf bis zehn Jahren spielen?
Heidecke: Es wird sicher nicht für jede Operation eingeführt. Was alles sinnvoll wäre, wird stark von den Kosten abhängen, die die Systeme verursachen, die aber auch für die Bearbeitung der Daten, die Installation in einem Hightech-OP und das Training der Ärzte anfallen.
Patrzyk: Ich glaube, dass wir in fünf bis zehn Jahren eine ganze Reihe solcher Systeme nutzen werden. Vor acht Jahren habe ich über OP-Simulation gelächelt, doch jede Tagung dazu brachte einen Quantensprung – und heute ist das Verfahren üblich. Die Situation bei der Augmented Reality dürfte vergleichbar sein.
Welche Technik aus der Unterhaltungsindustrie hat noch Chancen, in den Dienst der Medizin gestellt zu werden?
Patrzyk: Die Holografie bietet meiner Ansicht nach sehr interessante Möglichkeiten. Aber derzeit ist mir noch keine marktreife Anwendung in der Medizin bekannt.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de

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