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Organersatz Von der Stange

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Organersatz Von der Stange

3D-Druck | Mit dem Knochenersatzmaterial Osteoflux steht Kieferorthopäden erstmals ein biologisch regenerierbares Gewebe zur Verfügung, das sich rasch individuell an Knochendefekte anpassen lässt. Gefertigt wird es im Biodrucker.

Patrick RothFachjournalist aus Neuchâtel

Das erste „industriell hergestellte“ menschliche Organ wird in Form eines Kubus ausgeliefert. Auf den ersten Blick erinnert das Knochenersatzmaterial an ein Stück Würfelzucker. Aber der erste Eindruck täuscht. Osteoflux ist nicht kristallin und bröckelig, sondern biologisch aktiv und belastbar. Das 3D-gedruckte Material wird präoperativ mit Frästurbinen und Bohrer aus dem Instrumentarium der Dentalpraxis bearbeitet und lässt sich dadurch hochpräzise in die individuelle Form bringen, die für das passgenaue Überbrücken oder Auffüllen von Knochendefekten benötigt wird. Damit unterscheidet sich Osteoflux grundsätzlich von den aktuell in der Kieferorthopädie eingesetzten Knochenersatzmaterialien, die entweder tierischen Ursprung haben oder dem Patient selbst entnommen werden – aus Mundhöhle, der Hüfte oder dem Schädel.
Dass Osteoflux in einem additiven Verfahren hergestellt wird, ist dabei kein Marketing-Gag. Erst der Bioprinting genannte Prozess ermöglicht die biologische Architektur der als Scaffold bezeichneten Stützstruktur, welche das rasche und feste Verwachsen des Knochenimplantats mit dem natürlichen Knochen von Patienten begünstigt. „Unser Knochenersatzmaterial ist nicht inert, wie die meisten, aktuell eingesetzten, 3D-gedruckten Implantate aus Metall, Kunststoff“, unterstreicht Marc Thurner, CEO des Schweizer Unternehmens Vivos-Dental, das Osteoflux entwickelt hat. Mit Hilfe eines spezialisierten 3D-Biodruckers wird Schicht für Schicht ein Konstrukt aus Trikalziumphosphat und Hydroxylapatit aufgebaut, dessen gitterartige Struktur das Einwachsen von Blutgefäßen und die Besiedelung des Implantats mit körpereigenen Knochenzellen begünstigt.
Chemisch ist Osteoflux dem menschlichen Knochen sehr ähnlich. Das neue Material unterscheidet sich aber von gängigen Knochenaufbaumaterialien, da es synthetisch ist und industriell hergestellt wird, aber nicht vom Tier stammt. Intra-operativ wird das Implantat mit patienteneigenem Blut besiedelt. „Das synthetische Gewebe von Osteoflux induziert den Knochenwiederaufbau, der durch einen enzymatischen Prozess gesteuert wird“, erklärt Thurner, „dadurch wird das feste Einwachsen beschleunigt.“ Zuerst bahnen sich neue Blutgefäße einen Weg durch das mikroskopische Labyrinth des Scaffolds; diese unterstützen den Stoffwechsel, durch den neues Gewebe aufgebaut wird. Knochendefekte werden somit durch ein bereits knochenähnliches Template aufgefüllt, das nach und nach wieder abgebaut und durch körpereigenes Knochengewebe ersetzt wird.
Dass das erste künstliche Standard-Organ Osteoflux aus der Schweiz und noch präziser aus Villaz-St-Pierre im ländlichen Kanton Fribourg kommt, ist kein Zufall. Am selben Ort ist auch die Regenhu Ltd. Zuhause. Der 3D-Bioprinter-Hersteller hat die Entwicklung von Osteoflux überhaupt erst ermöglicht. Das Unternehmen ist auf die Produktion modularer, multifunktionaler 3D-Bioprinter spezialisiert. Diese Bioprinter können mit diversen Drucktechnologien aus- und aufgerüstet werden. Zurzeit sind elf verschiedene Druckkopf-Technologien einsatzbereit: für Zellen, Hydrogele, Pasten, aber auch für Kunststoffe und Keramik.
Die Forschungsgeräte von Regenhu können mit bis zu acht unterschiedlichen Druckköpfen ausgerüstet werden, je nach Applikation. Im Druckprozess werden verschiedene Biomaterialien pro Schicht deponiert. Für komplexe Materialmatrizen werden abwechslungsweise unterschiedliche Materialien „gedruckt“. Diese werden aber nicht zwingend übereinander abgelagert, sondern können auch auf einer Ebene vermischt werden. „Das Applikationsfeld der Drucker ist auf Biomaterialien fokussiert“, betont CTO Michael Kuster, „mit Hilfe unterschiedlicher Druckkopf-Technologien sind wir in der Lage, in beliebiger Geometrie kontrolliert bioaktive Wirkstoffe wie Zellen, Proteine und Hydrogele oder eben Osteoflux zu drucken.“ Die klinische Zulassung des 3D-gedruckten Knochenersatzmaterials wird in der zweiten Jahreshälfte erwartet.
Die Zukunft von 3D-gedruckten Geweben wird bei Regenhu bereits vorbereitet. Seit kurzem bietet das Unternehmen für seine Bioprinter auch eine Elektrospinning-Druckkopf-Technologie an. Das Verfahren ermöglicht die Herstellung polymerer Fasermatten mit Faserdurchmessern, die der natürlichen Umgebung von Zellen sehr ähnlich sind. Auch biologische Polymere können durch Elektrospinning verarbeitet und gedruckt werden. „Die Kombination von Bioprinting und Elektrospinning erlaubt es uns, buchstäblich in eine neue Dimension von Bioarchitekturen vorzustoßen“, freut sich Michael Kuster. Gewebestrukturen im Größenbereich von Nanometern können mit der neuen Technologie kontrolliert erzeugt werden.
Durch die Kombination von Osteoflux und Elektrospinning werden in Zukunft Implantate möglich sein, die gleichzeitig auf der mikroskopischen Ebene und im Nanobereich strukturiert sind. Insbesondere im Bereich von Zellmembranen, wie sie zum Beispiel in der Lunge oder im Blutkreislauf vorkommen, kann dieser Ansatz gänzlich neue, gedruckte Gewebe ermöglichen. Aktuell wird die neue Anwendung bei Regenhu in Zusammenarbeiten mit der Universität Utrecht erforscht. Der rasante Fortschritt im Bereich der additiven Technologien deutet darauf hin, dass auch die nächste Generation künstlicher Organe aus dem 3D-Biodrucker kommen wird. ■
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