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Optischer Taktgeber fürs Herz

Messtechnik: Schnelle Kamera beobachtet fluoreszierende Zellen bei der Arbeit
Optischer Taktgeber fürs Herz

Die Optogenetik nutzt Licht, um genetisch veränderte Zellen anzuregen. Forscher der Stony Brook University wollen solche Zellen als optische Herzschrittmacher verwenden. Um die Arbeit der Zellen zu beobachten, nutzen sie eine Hochgeschwindigkeitskamera.

Seit 1958 der erste vollimplantierbare „Pacemaker“ eingesetzt wurde, hat sich das Funktionsprinzip nicht geändert: Bleibt der regelmäßige Herzschlag aus, erzeugt die Elektronik anstelle des Sinusknotens, des natürlichen Taktgebers des Herzens, elektrische Impulse, die die Herzmuskelzellen zur Kontraktion bringen. Obwohl millionenfach bewährt, sind elektronische Herzschrittmacher nicht ohne Nachteile: Die Batterien müssen etwa alle fünf Jahre ausgetauscht werden, außerdem ist die Elektronik empfindlich für elektromagnetische Strahlung.

Ein ganz neues Konzept verfolgen Forscher der Stony Brook University im US-Bundesstaat New York. Das Prinzip: Sie verwenden keine elektrischen Impulse, sondern optische, die von einer kleinen Menge genetisch veränderter, lichtempfindlicher Zellen erzeugt werden. Sie dienen als eine Art biologisches Relais: Ein Lichtimpuls regt die Zellen an, diese sind mit dem umgebenden Gewebe so verbunden, dass sie elektrische Impulse an die übrigen Bereiche des Herzens übertragen. Die Kontraktion des Herzens würde dann auf optischem Wege über eine Glasfaser ausgelöst. Dank der Fortschritte bei Festköper-Lichtquellen könnte das Energie sparen und die Lebensdauer der Batterie auf vermutlich 50 Jahre verzehnfachen. Zudem sind Glasfasern verträglicher für den Patienten und weniger bruchgefährdet als elektrische Leitungen.
Mit ihrer Arbeit geben die Biomediziner dem neuen Forschungsfeld der Optogenetik einen wichtigen Impuls. Die Optogenetik – die Synthese aus Gentechnik und Optik – gilt als eines der spannendsten Forschungsgebiete der letzten Jahre in der Biomedizin und wurde 2010 vom renommierten Fachmagazin Nature Methods zur Methode des Jahres erkoren. Zellen werden dabei genetisch so verändert, dass sie auf Lichtimpulse reagieren. So ist es Biomedizinern bereits gelungen, Gehirnzellen mit Licht zu manipulieren und dadurch sogar das Verhalten von Tieren zu beeinflussen. Die US-Forscher um die Projektleiterin und Bioingenieurin Prof. Emilia Entcheva haben nun erstmals solche modifizierten Zellen mit Herzmuskelzellen gekoppelt und so den Grundstein für optische Herzschrittmacher gelegt.
Kern der Idee ist die „Tandem-Einheit“, ein System von lichtempfindlichen Spenderzellen und Zellen aus dem Herzen. Die Spenderzellen wurden mit lichtempfindlichen Schaltermolekülen – genetisch modifizierten Channelrhodopsin-Proteinen aus Algen – versehen. Durch einen Impuls mit blauem Licht einer Wellenlänge von 470 Nm öffnen sich die Ionenkanäle des Proteins und produzieren ein elektrisches Signal. Dieses Signal wird sofort an den zweiten Zelltyp der Tandem-Einheit, die Herzmuskelzelle, übertragen, und bringt diese synchron zur Kontraktion.
Der Vorteil dieses Ansatzes: Die Herzmuskelzellen selbst werden weder genetisch manipuliert noch direkt über einen elektrischen Leiter stimuliert. Für eine künftige Therapie würde es genügen, eine kleine Menge genetisch veränderter Zellen, wie zum Beispiel Stammzellen eines Patienten, als Taktgeber in die Herzmuskelzellen zu spritzen. Nur rund eine halbe Million der genetisch veränderten Zellen – nicht mal ein paar Quadratmillimeter Gewebe – dürften nach Schätzungen des Teams als „Relais“ ausreichen, um ein ausreichend starkes elektrisches Gewitter und damit die Kontraktion eines ganzen Herzens auszulösen.
Ob die Idee der Tandem-Zelleinheiten funktioniert, wurde mit Zellpaaren und Herzmuskelgewebe überprüft. Dazu wurden die vom Licht ausgelösten Anregungswellen optisch verfolgt. Ein ausgeklügeltes Messsystem, das detaillierte Bilder in hoher Geschwindigkeit und hoher Auflösung liefert, zeigt die Ausbreitung der elektrischen Wellen in den Zellhaufen und im veränderten Herzgewebe. Dies ist wichtig, weil sich die elektrischen Impulse schnell und synchron ausbreiten müssen, damit das Herz korrekt pumpt. Die Ergebnisse in den Zellproben im Labor sind ermutigend: Die Herzmuskelzellen verhalten sich völlig identisch, egal ob sie über die optisch stimulierten Nachbarzellen angeregt werden, oder direkt über einen elektrischen Impuls, wie bei einem herkömmlichen Herzschrittmacher.
Doch wie misst man die Funktion des Zell-Relais, vom Start des optischen Lichtimpulses bis zur Kontraktion der angedockten Herzmuskelzellen? Und das über eine längere Serie von Kontraktionen? Das Team nutzte dazu eine zweite Lichtquelle, die grünes Licht mit einer Wellenlänge von 535 Nm seitlich in den Zellhaufen wirft, ohne die lichtempfindlichen Ionenkanäle zu aktivieren. Stattdessen dient das Licht dazu, einen schnellen Signalfarbstoff in den Zellen anzuregen. Bei jedem elektrischen Impuls, der das Herzgewebe anregt, verändert der Farbstoff seine Fluoreszenz innerhalb von Millisekunden und sendet rotes Licht mit 630 Nm aus. Dieses Fluoreszenzlicht wird mit einer lichtempfindlichen Kamera aufgenommen und zu Bildfolgen verarbeitet, die die exakte Ausbreitung der elektrischen Aktivierung in den Zellen über die Zeit zeigen.
Eine entscheidende Rolle in dem Versuchsaufbau spielt die Kamera, die extreme Anforderungen erfüllen muss: Sie muss nicht nur schnell sein und eine hohe Auflösung bieten, sie muss auch sehr empfindlich sein, weil das Fluoreszenzlicht aus den Zellen äußerst schwach ist. EMCCD-Kameras sind eigens für so schwaches Licht gedacht, weil sie die Signale schon auf dem Sensor verstärken. Doch sie schaffen die zweite Anforderung nicht – eine schnelle Bildfolge von über 200 Aufnahmen pro Sekunde bei einer Million Pixel. Besonders schnelle Kameras bieten andererseits eine geringere Bildauflösung. „Wir haben viele Kameras probiert, doch keine genügte zunächst unseren hohen Anforderungen“, erinnert sich Emilia Entcheva. 2005, am Ende des Auswahlprozesses, entschied sie sich für die Hochgeschwindigkeitskamera pco.1200 hs der PCO AG mit Sitz in Kelheim. Die Kamera bietet eine hohe Bildrate von 636 Bildern pro Sekunde bei einer Auflösung von 1280 x 1024 Pixeln mit einem Dynamikumfang von 10 Bit. Einziger Nachteil: Der CMOS-Bildsensor ist nicht empfindlich genug für das schwache Fluoreszenzsignal aus den Zellen. Doch mit einem passenden, sehr schnellen Bildverstärker lässt sich das ausgleichen.
Der Flaschenhals in der Messapparatur ist die Datenübertragung. Schließlich geht mit der hohen Bildrate auch ein hohes Datenvolumen einher. Der in der Kamera eingebaute Speicher mit seinen 4 GB kann zwar kurze Bildsequenzen zwischenspeichern. Bei voller Geschwindigkeit zeichnet die Kamera allerdings 1 GB in jeder Sekunde auf. Deshalb schlossen die Wissenschaftler für Beobachtungen von einigen Minuten einen schnellen RAID-Speicher mit mehreren Festplatten an. Natürlich gebe es nach mittlerweile sechs Jahren auch bei EMCCD-Kameras große Fortschritte, so Prof. Emilia Entcheva. Doch eine Kamera mit vergleichbaren Leistungsdaten wie die pco.1200 hs kenne sie nach wie vor nicht – vor allem was die kombinierte zeitliche und räumliche Auflösung betrifft. Nach ihrem Erfolg rechnet die Biomedizinerin mit weiteren Forschungsgeldern für die nächsten fünf Jahre. Diese sollen auch dazu genutzt werden, die Leistungsfähigkeit des Messaufbaus weiter zu steigern – gemeinsam mit PCO und neuen, weiterentwickelten Kamerasystemen.
Bernd Müller Freier Fachjournalist, Bonn
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