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Ein Teil, viele Funktionen

Fertigung: Medizintechniker entdecken neue Verfahren der Kunststofftechnik
Ein Teil, viele Funktionen

Sonderverfahren der Spritzgießtechnik und deren Kombinationen sind in der Medizintechnik vielfach noch neu. Welche Vorteile solche Verfahren bringen, erläutern die Kunststoff-Experten von Oechsler.

Herr Dr. Drummer, Herr Riehl, welche modernen Fertigungsverfahren sind für Medizintechniker besonders interessant?

Drummer: Bisher standen für die Medizintechnik wegen der vielen rechtlichen Vorschriften die Sicherheit in der Produktion und kontrollierte betriebliche Abläufe im Vordergrund. Was den Einsatz neuer Verfahren der Kunststofftechnik angeht, lag dieser Industriezweig daher hinter anderen zurück. Das ändert sich aber gerade, und die Hersteller von Medizinprodukten zeigen zunehmendes Interesse daran, neue Verfahren in ihre Abläufe zu integrieren. Damit erschließen sie sich Vorteile wie mehr Funktionsdichte, neue Funktionalitäten oder kleinere Bauteile – die andere Branchen beispielsweise mit dem Mehrkomponenten- oder Keramikspritzguss, der Magnettechnik und speziellen Lösungen für die Oberflächentechnik schon in der Breite für sich nutzen. Riehl: Bei Anfragen aus der Medizintechnik geht es immer häufiger darum, Teile zu dekorieren, Mechatronik oder elektrische Funktionen zu integrieren oder bewegliche Teile anzuspritzen. Auch Fragstellungen zur Fluidik sind direkt im Formteil zu lösen.
Für welche Produkte aus dem medizinischen Bereich haben Sie diese Techniken bereits eingesetzt?
Drummer: Den Mehrkomponenten-Spritzguss, der in der Medizintechnik mit seinen vielfach spezifischen Kunststoffen noch nicht so verbreitet ist, haben wir zum Beispiel für eine Blutanalysenkassette von Fresenius genutzt. Unsere Aufgabe war es, ein Trägerteil mit Fließkanälen zu generieren, das mit der Sensorkarte von Fresenius kombiniert wird. Darüber hinaus arbeiten wir an antriebstechnischen Lösungen, für die wir Magnete und Verzahnungen liefern, sowie an Sensoren.
Riehl: Für eine weitere medizinisch-pharmazeutische Entwicklung nutzen wir den Zwei-Komponenten-Spritzguss, um eine Hart-Weich-Lösung herzustellen. Der steife Bereich des Teils, also die Hartkomponente, wird als Träger und Führung gebraucht, der weiche Bereich erzeugt sowohl statische als auch gegeneinander bewegliche Dichtelemente.
Was lässt sich damit für die Produkte erreichen?
Drummer: Sie können mit Sonderverfahren des Spritzgusses Teile hoher Qualität und Funktionsdichte produzieren, und auch solche, die sonst gar nicht herzustellen wären. Mit dem Montagespritzguss beispielsweise können wir Verbindungen erzeugen, die sich ohne Zerstörung nicht lösen lassen. Das schließt Manipulationen durch den Anwender aus und ist auch deshalb für die Medizintechnik sehr interessant. Die optische Attraktivität lässt sich ebenfalls steigern, durch lokale Metallisierungen oder andere Effekte. Auch lassen sich kunststoffgebundene Magnete ohne zusätzlichen Platzbedarf für Sensor- oder Aktorfunktionen in Baugruppen integrieren.
Riehl: Dass Fertigung und ‚Montage‘ der Magnete im Spritzguss erfolgen, ist auch im Hinblick auf Verschmutzungen durch magnetische Partikel und Fertigungsausschuss von großer Bedeutung. Beides kann hierdurch minimiert werden.
Welche Werkstoffe kommen bei kunststoffgebundenen Magneten für die Medizintechnik in Frage?
Drummer: Um solche Produkte herzustellen, sind Magnetfüllstoffe, Kunststoffmatrix, Füllstoffe und Additive erforderlich. Welche Materialien geeignet sind, hängt von den technischen Anforderungen und der Nähe zum Körper ab, mit der das Produkt eingesetzt werden soll. Ferrite – die ja keramische Oxide sind – eignen sich für die Medizin im allgemeinen besser als metallische Magnetwerkstoffe. Darüber hinaus kommen niedrig viskose Kunststoffe mit möglichst geringem Anteil an flüchtigen Stoffen zum Zuge, das gleiche gilt für die Additive. Da die Wahl der Werkstoffe die magnetischen Eigenschaften des Teils beeinflusst, muss man die Auslegung daraufhin optimieren.
Wie sieht es mit der Zulassung als Medizinprodukt aus?
Drummer: Für die kunststoffgebundenen Magnete haben wir Zulassungen für den Wasser- und Lebensmittelbereich – und bei den Vorgaben dazu gibt es ja einige Überschneidungen zur Medizintechnik. Für die Medizintechnik selbst läuft bei einem Projekt das Zulassungsverfahren. Wir arbeiten hier sehr eng mit den Rohstoffherstellern zusammen, und diese stellen auch erforderliche Informationen bereit.
Miniaturisierung ist ein Trend. Wo ist derzeit die fertigungstechnische Grenze für die Kunststoffverarbeitung angesiedelt?
Drummer: Wir können mit der Spritzgießtechnik Teile von wenigen Zehntel Milligramm herstellen. Die parallele Aufgabe ist, diese beim derzeitigen Stand der Technik auch zu handhaben und zu verbauen. Das ist mitunter selbst für die Grundlagenforschung noch schwierig zu beantworten, da wenig darüber bekannt ist, wie sich Struktur und Eigenschaften in diesen Größenordnungen gegenseitig beeinflussen. Auch die Oberflächenspannung hat einen deutlich stärkeren Einfluss auf das Handling. Im Sinne der Mikrosysteme müssen somit neben der reinen Formgebung auch die Folgeprozesse betrachtet werden. Aber auch hier könnten integrierende Verfahren der Kunststofftechnik neue Ansätze liefern.
Sie arbeiten mit Forschungseinrichtungen zusammen. Welche zukünftigen Herausforderungen sehen Sie ?
Drummer: Es wird darum gehen, zunehmend interdisziplinäre Anforderungen zu lösen, bei denen zum Beispiel Aufgaben der Elektronik, der Optik oder der Fluidik mit Hilfe der Kunststofftechnik in kurzen Fertigungsketten in einem Produkt vereint werden. Der Trend geht zunehmend dahin, eine wachsende Zahl unterschiedlicher Bauteilfunktionen nahe an den Spritzguss heranzubringen oder sogar zu integrieren. Dies gilt im übrigen nicht nur für die Kombination gegebenenfalls modifizierter Kunststoffe, sondern auch für andere Materialien. Bei den Werkstoffen selber wurde in der Compoundentwicklung mit neuen Makrofüllstoffen ja schon eine gewisse Dynamik erreicht, aber dieses Thema ist noch lange nicht ausgereizt. Und mit Nanofüllstoffen fangen wir gerade erst an: Weil man damit Modifikationen erreichen kann, ohne zum Beispiel die Optik zu beeinflussen, ist das ein unwahrscheinlich spannendes Feld.
Riehl: In diesem Bereich ist unsere Erwartung an neue Entwicklungen hoch – und wir werden unseren aktiven Teil dazu beitragen, nicht zuletzt beim Generieren serienfähiger Lösungen.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de

Magnet integriert
Im Kunststoff eingebundene Magnete (Polymer Bonded Magnets, PBM) können beinahe beliebig ausgeformt werden und sind nach Auskunft des Herstellers elastischer als herkömmliche Magnete. Weil die Kanten weniger bruchempfindlich sind, lassen sich die PBM einfacher weiterverarbeiten, sind korrosionsbeständig und daher auch in feuchter Umgebung zu verwenden. Unterschiedliche Richtfelder im Spritzgusswerkzeug ermöglichen es, zahlreiche magnetische Funktionen in ein Bauteil zu intergrieren. Eingesetzt werden können PBM in Antrieben sowie in Sensoren.

Ihr Stichwort
• Mehrkomponentenspritzguss
• Mikrosystemtechnik
• Kunststoffgebundene Magnete • Zulassung als Medizinprodukt • Nanofüllstoffe
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